Ganz logisch gedacht, muss Living Forest ja schon ziemlich gut sein, immerhin konnte es sich bei der Wahl zum »Kennerspiel des Jahres 2022« gegen Dune: Imperium durchsetzen – ein Spiel, welches uns im Test voll überzeugt hat.

Erklärungsbedürftiges Thema

Bei Flügelschlag geht es für die Spielerinnen und Spieler darum, möglichst tolle Vögel in ihren Refugien anzusiedeln, und bei Paleo dreht sich alles ums Überleben des Steinzeit-Stamms. Das sind sehr verständliche Spielthemen, die es einem erleichtern, die recht komplexen Spiele zu erklären.

Neulinge finden sich im Spielgeschehen schnell zurecht, auch wenn nicht gleich jedes Detail verinnerlicht ist. Bei Living Forest ist das anders, das Thema des Spiels ist eher gewöhnungsbedürftig, gar bizarr.

Die Spielerinnen und Spieler übernehmen jeweils die Rolle eines Waldgeistes (Frühling, Sommer, Herbst, Winter). Diese Waldgeister bekämpfen unter anderem den gemeinsamen Gegenspieler Onibi, einen bösen Geist, der ständig Feuer legt, welches, wenn es nicht bekämpft wird, allen die Kartenhand versaut.

Also müssen die Flammen gelöscht werden. Wer zwölf Flammen löscht, löst das Ende des Spiels aus und hat gute Chancen zu gewinnen.

Nebenbei pflanzen die Waldgeister auf ihren Tableaus Bäume an und sammeln Blumensymbole auf ihren Handkarten. Hat jemand am Ende einer Runde zwölf unterschiedliche Bäume beisammen oder kann zwölf offen ausliegende Blumen vorweisen, geht das Spiel ebenfalls zu Ende.

Zwölf Flammen, zwölf Bäume oder zwölf Blumen. Das Spielende kann also auf drei verschiedene Arten ausgelöst werden. Das ist schon einmal interessant und lädt dazu ein, verschiedene Strategien auszuprobieren.

Flammen, Bäume oder Blumen?

Sollte am Ende einer Spielrunde mehr als eine Person das Ende der Partie eingeläutet haben, wird geschaut, wer unter den Beteiligten die höchste Gesamtanzahl an Flammen, Bäumen und Blumen besitzt. Erstaunlicherweise kommt es ziemlich häufig dazu, dass mehrere Personen in derselben Spielrunde fertig sind, insbesondere wenn zu dritt oder viert gespielt wird. Living Forest fühlt sich also schon wie ein Wettrennen an, da niemand allzu sehr zurückfallen möchte beim Sammeln.

Je mehr Spielerinnen und Spieler teilnehmen, desto interaktiver (und auch spannender) wird es, weil man sich gegenseitig Flammen, Bäume und Blumen klauen kann. Zudem sind clevere Spielmanöver immer wieder möglich und je nach Spielsituation kann man in einer Runde auch mal vier, fünf oder mehr Flammen und Bäume ergattern.

Mit etwas Glück bei der Kartenauslage und der Spielreihenfolge ist es zudem möglich, nahezu alle benötigten Blumen in zwei gut geplanten Runden einzuheimsen und so alle anderen zu überrumpeln. Es ist nämlich immer erkennbar, wie viele Flammen und Bäume alle besitzen, die Blumen kommen aber oft überraschend aus dem Kartenstapel oder der Auslage. Wer da nicht aufpasst, was die Mitspielerinnen und Mitspieler sich so schnappen, hat dann vielleicht das Nachsehen.

Ein bunter Mix

Es ist viel möglich im »Kennerspiel des Jahres 2022«. Mechanisch ist das Ganze ein bunter Mix unterschiedlicher Elemente. Karten werden in jeder Runde »Push your luck«-mäßig umgedreht, bis die Spielerinnen und Spieler freiwillig aufhören oder aufhören müssen, weil sie drei bestimmte Symbole aufgedeckt haben.

Passiert Letzteres hat man in der Runde nur eine statt zwei Aktionen zur Verfügung. Tierkarten mit unterschiedlichen Aktionssymbolen werden aus einer Auslage gekauft, so entsteht ein individuelles Deck.

Auf einem Rundkurs werden die Mitspielerinnen und Mitspieler übersprungen, um ihnen Dinge zu klauen. Bäume werden ebenfalls gekauft und auf den Ablagen angesiedelt.

Je länger das Spiel läuft, desto mehr Bonuszüge kommen hinzu. Kurz gesagt: Das Spiel ist ein Potpourri an Mechaniken, hat von allem etwas und läuft trotzdem rund. Damit hat Aske Christiansen, der Autor des Spiels, die Jury überzeugt. Sie schreibt zu Living Forest:  

»Drei zentrale Faktoren machen den Nervenkitzel und Reiz von ›Living Forest‹ aus: Das spannende Wettrennen auf zwölf Punkte, das riskante Zocken beim Kartenaufdecken und die hohe Interaktion mit den Mitspielenden.«

Fazit: Living Forest ist ein gutes Brettspiel. Es kombiniert eine Reihe an Elementen, die zwar schon aus anderen Spielen bekannt sind, macht dies aber äußerst unterhaltsam. Besonders überzeugt, dass es drei Wege zum Sieg gibt, ständig gezockt wird, es in größerer Runde sehr interaktiv zugeht und man sich gegenseitig ständig etwas klauen kann.

Living Forest macht halt vieles richtig, aber nichts so überragend gut.

Macht das Living Forest zum besten Kennerspiel des Jahrgangs? Das dürfte Geschmackssache sein. Dune: Imperium erscheint mir noch etwas frischer und erzählt tatsächlich eine Geschichte, welche dank des Blockbuster-Films für viele Spielerinnen und Spieler zugänglicher sein dürfte als diese dubiose Story im Wald. Trotzdem gibt es, siehe oben, sicherlich auch triftige Gründe, Living Forest auszuzeichnen.

So richtig hart kann man die Jury für ihre Entscheidung also nicht kritisieren, wenngleich ich es für unwahrscheinlich halte, dass Living Forest zu einem wirklichen Longseller wird. Ich vermute eher, dass über das Spiel in ein, zwei Jahren nicht mehr groß geredet wird. Living Forest macht halt vieles richtig, aber nichts so überragend gut, dass es aus der großen Masse an Spielen auf Kennerniveau dauerhaft herausragen dürfte.

Nachtrag: Mittlerweile gibt es mit Challengers! bereits einen Nachfolger. Das Spiel wurde im Juli 2023 zum »Kennerspiel des Jahres 2023« gewählt. Mit Living Forest: Kodama ist zudem eine Erweiterung zu Living Forest erschienen.

Lichtwesen namens Kodama erweitern das taktische Repertoire des Kennerspiels. Kodama-Symbole verschaffen einem, wenn es gut läuft, Boni und extra Elemente. Außerdem können die Blumensymbole aus dem Grundspiel nun auch für echte Aktionen genutzt werden, nämlich um an Kodama-Karten zu kommen.

Nach zwei Dutzend Partien Living Forest begrüße ich die Abwechslung, welche Kodama bietet, obwohl die neuen Möglichkeiten natürlich auch zu längeren Denkpausen führen. Mit den Kodama dürfte die Geschichte der Waldgeister aber endgültig ausgereizt sein, es gibt jetzt genügend Szenarien für ein Spiel mit einem solch schrägen Setting.

Living Forest von Aske Christiansen, Pegasus Spiele, 2–4 Personen ab 10 Jahren, ca. 40 Euro. Living Forest: Kodama, ca. 30 Euro.