Cover; Artwork (Flügelschlag)

»Frauen mögen das Spiel«, ist so ein Satz, den ich nicht unbedingt in eine Rezension schreiben würde. Muss ich zum Glück auch nicht, weil Elizabeth Hargrave, die Autorin des Spiels Flügelschlag, ihn im Interview selbst ausspricht. Ich nicke, denn das war mir in unseren Testrunden durchaus auch schon aufgefallen.

Das opulent ausgestattete Erstlingswerk der US-Amerikanerin ist eines der schönsten Spiele überhaupt. Das dürfte auch keine bloße Frage des Geschmacks sein, dafür sehen Schachtel, Spielkarten (170 komplett unterschiedliche gibt es!) und restliches Material zu spektakulär aus. Futterwürfel werden nicht einfach so gerollt, sondern in ein Vogelhäuschen geworfen, aus dem sie dann als typische Vogelnahrung (Würmer, Beeren, Getreide, aber auch Mäuse oder Fischchen) wieder herausrollen. Eier sind keine schnöden Pappmarker, sondern kleine, realistisch aussehende Plastikeier in Pastellfarben. Keine Frage, Flügelschlag bietet eine höchst immersive – und immer friedliche – Spielerfahrung.

Das alles kommt natürlich nicht von ungefähr, erklärt Hargrave: »Ich saß in einer Spielerunde und beschwerte mich darüber, dass alle Spiele, die ich liebe, Themen behandeln, die ich langweilig finde.« Anstatt weiter darüber zu jammern, legte Hargrave los und entwickelte ihr eigenes Spiel. Als Hobby-Ornithologin lag es nahe, ein Spiel mit vielen bunten Vögeln zu erschaffen. Allerdings war es keine leichte Geburt, so die Autorin, die folgenschwere Unterhaltung fand nämlich schon 2014 statt, fertig war das Spiel erst viereinhalb Jahre später.

Preisverleihung (Flügelschlag)

»Ich saß in einer Spielerunde und beschwerte mich darüber, dass alle Spiele, die ich liebe, Themen behandeln, die ich langweilig finde.«

Die lange Entwicklungszeit deutet schon darauf hin, dass es nicht bloß darum ging, etwas Bildschönes zu erfinden, sondern etwas Bildschönes, das auch spielmechanisch den von Hargrave verehrten klassischen Euro Games in nichts nachsteht. Kurzum: Es sollte ein perfektes Produkt werden, eine runde Kombination aus Spiel, Grafik und Verpackung.

Kommen wir jetzt also mal zum Spiele-Teil dieser Rezension, nachdem klar sein dürfte, dass Grafik und Verpackung über jede Kritik erhaben sind.

Bei Flügelschlag geht es darum, dass jeder Spieler versucht, das beste Refugium für Wildvögel anzulegen. Dazu müssen die Flattermänner allerdings erst mal in unsere Wald-, Feld- und Marschbereiche gelockt werden. Dazu benötigen wir bestimmtes Futter, ist ja logisch, und später auch Eier. Was wohl bedeuten soll, dass angesiedelte Vögel brüten und Nachwuchs schlüpft.

Aufgebautes Spielbrett (Flügelschlag)

Bis hierhin ist das noch Spiele-Standard: Ressourcen beschaffen, Ressourcen tauschen gegen Karten. Einige Verkomplizierer im Auge behalten: Nicht alle Vögel können überall in meinem Refugium angesiedelt werden, außerdem taucht häufig kein passendes Federvieh auf oder bestimmtes Futter ist knapp. Gelegentlich wird gewertet. Jeder etwas erfahrenere Brettspieler dürfte diese Mechaniken leicht durchschauen.

Der wirklich spannende Twist kommt bei Flügelschlag erst über die angesiedelten Vögel ins Spiel. Die meisten unserer neuen gefiederten Freunde haben nämlich immer wieder nutzbare Fähigkeiten, die sich in Wald, Feld und Marsch aktivieren lassen. Auf diese Weise können wir »Engines« bauen, die uns viel mehr Ressourcen, Eier, Karten und Punkte sammeln lassen, als es sonst möglich wäre.

Punkte, richtig gelesen. Denn um diese geht es im Endeffekt doch wieder. Nicht vergessen: Flügelschlag ist und bleibt im Kern ein recht klassisches Euro Game.

Ein herausragendes Gesellschaftsspiel

Dass Flügelschlag spielmechanisch nicht der ganz große Wurf ist, ist hoffentlich aus der Beschreibung hervorgegangen. Es ist trotzdem ein herausragendes Gesamtpaket, das in jeder Partie dank der vielen verschiedenen Karten und teils sehr unterschiedlichen Zwischen- und persönlicher Schlusswertungen immer etwas anders verläuft. In einer Partie hatte ich ausschließlich Greifvögel vor mir liegen und ließ diese ständig jagen. Dann haben mir einmal viele kleine Vögel unglaublich viel Futter verschafft, was an anderen Tagen echte Mangelware ist. Ja, bei Flügelschlag muss man flexibel spielen, weil die sich im Spiel befindlichen Karten bestimmte taktische Entscheidungen verlangen.

Hatte ich schon erwähnt, dass das Spiel spektakulär gut aussieht?

Mir gefällt das ausgesprochen gut. Das Spiel überfordert zudem nicht. Wer gut klarkommt mit Familienspielen wie Catan oder Azul, wird auch dieses Kennerspiel beherrschen und nach und nach verschiedene Strategien ausprobieren.

Allerdings wird man beim Testen von Strategien vermutlich sehr bald eines bemerken: Ohne Eier und zumindest ein paar »wertvolle« Vögel wird es schwierig bis unmöglich zu gewinnen. Dass exzessives Eiersammeln eine zu starke (und in den letzten Runden langweilige) Strategie sei, wurde viel kritisiert. Vielleicht zu Recht. Man sollte dabei aber auch nicht vergessen, dass man sich erst mal in eine Position bringen muss, um viele Eier legen zu können. Dafür braucht man wiederum ausreichend große Nester und eine gute Eierproduktion, soll heißen: genügend angesiedelte Vögel im Feld und diese müssen auch erst mal angelockt werden …

Kennerspiel des Jahres 2019 (Flügelschlag)

Nee, auf Flügelschlag lasse ich nichts kommen. Es ist ein exzellentes »Kennerspiel des Jahres«, zudem funktioniert es hervorragend zu zweit und zu dritt. Auch mit vier Spielern flutscht es noch gut, einzig zu fünft kam es mir ein paar Mal arg lang vor. Vom recht stolzen Preis (um 45 Euro) würde ich mich auch nicht abschrecken lassen. Hatte ich schon erwähnt, dass das Spiel spektakulär gut aussieht? Ja? Dann kann man es ja auch als kleines Kunstwerk sehen, das man sich im Wohnzimmer in die Vitrine stellt. Dafür ist es dann ziemlich günstig.

Flügelschlag von Elizabeth Hargrave, Feuerland Spiele, 2-5 Spieler ab 12 Jahren, ca. 45 €.