Früher standen auf den Spielen von Ravensburger immer diese putzigen Altersangaben »6–99« oder »12–99«. Man durfte die Spiele mit der blauen Ecke also mit seinen Urgroßeltern zocken, so man welche hatte. Das Spiel Der Kartograph aus dem Hause Pegasus hingegen ist für »1–100« Spieler. »Wie soll das denn gehen?«, denkt man da erst einmal und erwartet ein Großgruppenspiel für den Kirchentag oder Juso-Kongress.

Doch keine Angst, der kleine Gag klärt sich auf, sobald man das Spiel auspackt: Es sind nämlich einhundert Blatt auf dem beiliegenden Ankreuzblock, ergo könnten auch einhundert Leute zusammen Der Kartograph spielen. Ich gebe es zu: Das ist ganz witzig. Allerdings auch nur auf den ersten Blick, denn es kann ja auch bedeuten, dass es eigentlich egal ist, wie viele Menschen mitspielen. Der erfahrene Spieler weiß nämlich: Eine solche Angabe bedeutet meist »Achtung, dies ist ein Mehrspieler-Solitärspiel«. Was wiederum so viel bedeutet wie: »Jeder wurschtelt vor sich hin und am Ende schauen wir alle auf von unserem Wertungsblatt und vergleichen die erzielten Siegpunkte«. Solche Spiele können auch Spaß machen, sind aber meist etwas für introvertierte Tüftler. Auf Der Kartograph trifft dies glücklicherweise nicht ganz zu.

Karten (Der Kartograph)

Der Kartograph ist ein sogenanntes Flip’n’Write-Spiel. Es werden Karten umgedreht und je nachdem, welche Formen und Landschaften auf den Karten zu sehen sind, können die Spieler auf ihrem Wertungsblatt Tetris-mäßig eine Fläche ausmalen. Da wir als Kartographen unterwegs sind, vermessen wir auf unserem Blatt selbstverständlich ein unbekanntes Land und tragen Wälder, Städte, Felder und Gewässer ein, Berge sind schon vorhanden.

Als sechstes Element kommen noch Monster hinzu – allerdings mit einem innovativen Kniff, der das Spiel interessanter macht, als man auf den ersten Blick meinen könnte: Immer wenn eine Monsterkarte umgedreht wird, muss man sein Blatt an einen Nachbarn geben, welcher dann die Monster für einen einzeichnet. Das fühlt sich wirklich an wie ein Überfall, denn selbstverständlich wählt der hilfsbereite Nachbar die denkbar fieseste Position für die Monster aus. Auf diese Weise hat man bei Der Kartograph, anders als bei eigentlich allen anderen Spielen dieses Genres, eine direkte Konfrontation, was natürlich super für die Stimmung am Tisch ist.

Karten; Monster (Der Kartograph)

Auch sonst bietet das Spiel einiges an Abwechslung. So sind pro Partie nur vier (von 16 vorhandenen) Wertungskarten im Spiel, die jeweils zweimal zur Wertung herangezogen werden. Mal bekommt man Punkte für belegte Reihen und Spalten, mal für miteinander verbundene Berge, mal für große Städte und so weiter. Die vielen Kombinationsmöglichkeiten der Wertungskarten (4 mal 4 mal 4 mal 4, also 256) sorgen dafür, dass jede Partie etwas anders verläuft.

Corona-bedingt habe ich Der Kartograph nur zu zweit und solo gespielt. Und ja, die Einspielervariante ist auch okay. Als Zweierspiel hat das Spiel dann aber richtig überzeugt, und auch nicht nur mich. Kürzlich wurde Der Kartograph als eines von drei Spielen zum »Kennerspiel des Jahres 2020« nominiert. Das dürfte auch die richtige Kategorie sein, denn so ganz ohne ist das Spiel nicht. Man benötigt zwei, drei Partien, um sich in die Regeln hineinzufuchsen und den Grundkonflikt zwischen unmittelbar bevorstehenden und später erfolgenden Wertungen zu verstehen. Außerdem sind nicht alle Wertungen gleich punkteträchtig, sodass es Sinn ergeben kann, einige links liegen zu lassen und sich auf die krasseren zu fokussieren. Das alles zusammen genommen ergibt ein sehr rundes und immer noch schnelles Spiel von maximal einer Dreiviertelstunde.

Verpackung (Der Kartograph)

Allerdings wird das schöne Spielerlebnis gelegentlich durch eine wirklich misslungene Regel zerschossen, die besonders am Ende des Spiels zum Tragen kommen kann: Habe ich nicht ausreichend Platz für die gerade umgedrehte Landschaft, darf ich ein einzelnes Kästchen meiner Wahl mit einer Landschaft meiner Wahl ausmalen. Für mich ergibt das überhaupt keinen Sinn, da auf diese Weise einige Spieler nutzlose Großflächen auf ihr Blatt malen müssen, während andere auf einmal die perfekten Teile bekommen, ohne dass sie dafür vorher besser gespielt haben. Als Hausregel bietet sich an, festzulegen, dass man nichts einzeichnen darf, wenn die vorgegebene Form nirgendwohin passt. Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, dass dieser Regelfehler dem Spiel bei der Preisverleihung noch schaden könnte.

Mein zweiter Kritikpunkt, dass die Wertungsblätter am Ende einer Partie häufig sehr unübersichtlich aussehen, weil die Spieler nicht besonders ordentlich gezeichnet haben, ist dagegen ein Klagen auf sehr hohem Niveau.

Eine klare Empfehlung für alle, die Spiele auf dem Level von Flügelschlag oder der EXIT- und Adventure Games-Serien mögen.

Fazit: Ob nun mit oder ohne »Kennerspiel des Jahres«-Logo ist Der Kartograph eine klare Empfehlung für alle, die Spiele auf dem Level von Flügelschlag oder der EXIT- und Adventure Games-Serien mögen. Wie gesagt, das gilt, wenn man die offiziellen Regeln für die oben genannte Situation einfach geflissentlich ignoriert.

Der Kartograph von Jordy Adan, Pegasus Spiele, 1–100 Spieler ab 10 Jahren, 19,95 Euro.