Cover; Artwork (Pandemic Legacy: Season 0)

Fangen wir mal mit der offensichtlichen Ironie der Geschichte an: Ein neues Brettspiel, bei dem es darum geht, gemeinsam eine Pandemie zu bekämpfen, sollte eigentlich das perfekte Spiel für diese Zeit sein. Doch leider verhindern die realen Corona-Maßnahmen, dass wir Pandemic Legacy: Season 0 überhaupt so angemessen erleben können, wie das Spiel es verdient hätte.

Darüber kann man schmunzeln, aber schade ist es trotzdem. Immerhin hatte ich mich auf Season 0, das Prequel zu Season 1 und 2 der Pandemic Legacy-Reihe, wahnsinnig gefreut. Und nicht nur das. Ich hatte das Spiel bereits ordentlich gehypt, zwar augenzwinkernd, aber doch gut dokumentiert, ohne dass ich es überhaupt auch nur ausgepackt hatte.

Für diejenigen, die nicht ganz verstehen, worum es hier eigentlich geht, kurze Erklärung: Bei Pandemic Legacy handelt es sich um kooperative Legacy-Spiele. Bei solchen Werken verändern sich Spiel und Spielmaterial von Partie zu Partie.

Doch leider verhindern die realen Corona-Maßnahmen, dass wir Pandemic Legacy: Season 0 überhaupt so angemessen erleben können, wie das Spiel es verdient hätte.

Die Spielerinnen und Spieler erleben gemeinsam eine Geschichte, die sich basierend auf den Entscheidungen der Gruppe individuell entwickelt und die erst nach fünfzehn bis zwanzig Partien auserzählt ist. Dann ist allerdings auch das Spiel komplett durch. Zurücksetzen kann man nichts, da auf dem Weg zum großen Finale Karten zerrissen, Aufkleber angebracht und das Spielbrett beschriftet wurden.

Dieses recht neue Brettspiel-Genre wurde 2015 durch Season 1 der Serie populär, Season 0 war als krönender Abschluss der Trilogie gedacht.

Da sich ein Legacy-Spiel erst im Laufe vieler Partien komplett erschließt und neues Material (und auch Regeln) nur nach und nach ins Spiel kommt, sind Rezensionen haarig. Man will ja nichts spoilern, hat das Spiel meist nur in einer Gruppe gespielt und hatte eventuell Glück oder Pech mit dem Spielverlauf.

Inhalt (Pandemic Legacy: Season 0)

Ein Abenteuer gemeinsam zu bestehen, macht zudem viel des Reizes dieser Spiele aus, also kann man die Mitspielerinnen und Mitspieler nicht mal eben zu Testzwecken austauschen. Nach einigen Partien können Neulinge eh kaum mehr ins Spielgeschehen einsteigen.

Season 1 hatten meine Frau und ich mit Nachbarn im Rekordtempo durchgezockt. Dann hatte meine Frau genug und die Nachbarn sind weggezogen und ich musste Season 2 mit meiner regulären Gruppe schaffen, was ein Heidenspaß mit Gleichgesinnten war.

Beide Optionen fielen also für Season 0 weg, so blieb nur noch die Zweier-Runde zu Hause. Ich schreibe bewusst »nur noch«, weil meine Mitspielerin eigentlich gar keine Lust mehr auf eine Legacy-Kampagne verspürte, aber mir zuliebe dann doch mitmachte.

Eine nicht-repräsentative Twitter-Umfrage bestätigte übrigens, dass es vielen Spielerinnen und Spielern ähnlich erging: Da sich reguläre Spielrunden wegen Corona nicht treffen konnten, wurden Familienmitglieder mehr oder weniger zwangsverpflichtet.

Season 0, das können wir spoilerfrei verkünden, hat ein Setting, das ich als sehr reizvoll empfinde: Es ist das Jahr 1962 und der Kalte Krieg kann in jedem Moment richtig heiß werden, West und Ost stehen sich feindlich und hochgerüstet gegenüber. Wie in einem guten alten Agententhriller oder James Bond-Film aus dieser Zeit ist die Situation eher in Schwarz-Weiß als in Grautönen dargestellt.

Wir sind selbstverständlich als westlicher Geheimdienst unterwegs, die Sowjets unsere Gegner. Daran bestehen zumindest anfänglich keine Zweifel und die roten Agenten breiten sich über den Globus aus wie in früheren Spielen Seuchen-Marker. Das ist also anders. Doch als wir erfahren, dass die Sowjets eine Geheimwaffe erfunden haben, ahnen wir Pandemic Legacy-Fans natürlich sofort, dass es sich vermutlich eher um eine Bio- als um eine Atomwaffe handeln wird. Es geht also gut los …

Der Prolog dient wie gewohnt als Tutorial (ohne Legacy-Elemente) und ist kaum komplexer als eine normale Partie Pandemie. Wir entscheiden uns dafür, ihn nur einmal durchzuspielen, obwohl wir gleich mal krass verlieren. Also starten wir mit der Januar-Partie, holen die Legacy-Karten hervor und lesen los.

Jetzt wird es interessant und eines sollte ich noch kurz erklären: Eine Pandemic Legacy-Kampagne bildet ein komplettes Jahr ab, es geht los im Januar und endet im Dezember. Gewinnt die Gruppe eine Partie, geht es im nächsten Monat weiter. Verliert man, gibt es noch eine zweite Chance, bevor der nächste Monat in Angriff genommen wird.

Man kann also nie in einem Szenario hängen bleiben, was ein guter Kniff ist, um das Momentum aufrecht zu halten. Außerdem wird auf diese Weise sichergestellt, dass eine Pandemic Legacy-Kampagne fünfzehn bis zwanzig Partien umfasst. Auf den Jahres-Aspekt spielt übrigens Rob Daviau, der das Spiel zusammen mit Matt Leacock erfunden hat, in diesem pointierten Tweet an:

Wenn das Spiel unter diesem Gesichtspunkt also tatsächlich perfekt in unsere Zeit passt, quasi wie die Faust aufs Auge des Corona-Jahres, warum bin ich dann so kläglich gescheitert? Nun, ganz so kläglich auch wieder nicht, immerhin haben wir es bis in den Juli geschafft. Doch das war harte Arbeit.

Ein Blick in die Season 0-Schachtel offenbart, dass sehr viel Material innerhalb recht kurzer Zeit hinzukommt. Und mit dem Material kommen neue Regeln, Konzepte, Entscheidungen.

Was in einer motivierten Runde mit Spielerinnen und Spielern für Begeisterung sorgen würde, wird zur Bürde, wenn die Mitspielenden nur halbherzig dabei sind. Was bedeuten diese Marker noch mal? Müssen wir das jetzt auch noch lesen? Was war noch mal die Neuerung der letzten Partie am vergangenen Dienstag?

Verpackung (Pandemic Legacy: Season 0)

Als Season 1 herauskam und überall bejubelt wurde, hieß es, man müsse das Spiel »bingen«, also so schnell runterspielen, wie man eine Netflix-Serie »binge-watchen« würde. Das fand ich damals schon nervig, weil – mal ehrlich – wer ist schon in der Lage, mit einer festen Gruppe ein 30-Stunden-Spiel ratz-fatz durchzuzocken? Nur wenige besonders motivierte Vielspielerinnen und Vielspieler mit sehr viel Zeit.

Der zweite Tipp lautete, am besten ließe man das Spiel aufgebaut irgendwo herumstehen, sodass man sofort wieder losspielen könne, wenn die Gruppe zusammenkommt. Das war für mich auch damals schon kein überragend praktikabler Tipp, weil man dafür ja einen großen eigentlich unbenutzten Tisch benötigt. Hat auch nicht jeder in der Wohnung und schon gar nicht während des Lockdowns, wenn jede Tischfläche fürs Home Office oder Home Schooling in Beschlag genommen wird.

Lange Rede, kurzer Sinn. Nach acht Partien haben wir uns entschieden, Season 0 fürs Erste abzubrechen. Der Aufbau des Spiels dauert locker eine Viertelstunde, gefühlt länger, dann mussten wir ständig Regeln nachschlagen und nach jeder Partie kommt noch mal eine Viertelstunde Nachbearbeitung hinzu, da Boni verteilt werden und die Story weiter vorangetrieben wird.

Abends ab neun im dauermüden Zustand nach einem Jahr Pandemie war uns das zu viel Arbeit, vielleicht sieht das in ein paar Monaten wieder anders aus, doch wirklich realistisch ist das nicht. Eigentlich müsste ich mir dann nämlich ein neues Spiel besorgen und eine andere Gruppe zusammentrommeln, das wird schwierig. Da ist es einfacher, mir wohl oder übel einzugestehen, dass Corona mich doch in die Knie gezwungen und mir ein potenzielles Spiele-Highlight komplett vermasselt hat.

Denn dass es sich um ein spannendes, komplexes Spiel mit toller Story und wichtigen Entscheidungen handelt, kann ich durchaus erkennen. Das stand auch nie zur Disposition.

Fazit: Eine Rezension ist dieser Text nicht und wahrscheinlich liest er sich auch unfair dem Spiel gegenüber. Pandemic Legacy: Season 0 kann ja nichts dafür, als richtiges Spiel zur falschen Zeit veröffentlicht worden zu sein. Denn dass es sich um ein spannendes, komplexes Spiel mit toller Story und wichtigen Entscheidungen handelt, kann ich durchaus erkennen. Das stand auch nie zur Disposition.

Es ist wahrscheinlich tatsächlich der krönende Abschluss der Pandemic Legacy-Trilogie und als solcher werden bestimmt noch viele Spielerinnen und Spieler das Werk genießen. Ich kann euch allerdings nur raten: Wartet ab, bis die echte Pandemie vorbei ist und spielt nur mit Leuten, die wirklich Lust auf ein solch intensives (und regelintensives) Spiel haben, sonst scheitert ihr ähnlich gnadenlos wie ich.

Pandemic Legacy: Season 0 von Rob Daviau und Matt Leacock, Asmodee, 2-4 Personen ab 14 Jahren, ca. 65 Euro.