Artwork; Lilith (Diablo 4)

Diablo 1 & 2 stehen bei mir auf derselben Stufe wie Final Fantasy 6 oder Half-Life – absolute Ausnahmetitel, die sich für immer in meine Seele eingebrannt haben. Die Tatsache, dass ich mich nicht mehr an meine erste sexuelle Erfahrung erinnern kann, aber sehr wohl an meine erste Session mit Diablo, sagt viel über das Spiel und meine geistige Gesundheit aus.

Diablo 3 kam mir eher wie ein comichafter Klon vor, der versuchte, es allen recht zu machen, und daher weder Fisch noch Fleisch war. Mit dem F2P-Mobile-Dingsbums Diablo Immortal wurde ich auch nicht warm, doch die Vorfreude auf Diablo 4 blieb ungebrochen. Ich war mir sicher, dass Blizzard ein Spitzenspiel abliefern würde, einfach weil sie das mussten, um die Marke Diablo vor dem Absturz zu bewahren.

Back in Hell

Schon nach den ersten Minuten, die ich mit der Beta verbracht habe, war mir klar, dass Diablo IV ein Meilenstein des Genres werden würde. Den Entwicklern ist es gelungen, eine Suchtspirale mit enormer Sogwirkung und der perfekten Balance zwischen Anspruch, Herausforderung und Spaß zu erzeugen.

Schon die eingeschränkte Beta-Version wischte mit Diablo 3 locker den Boden auf und die finale Fassung übertrifft selbst meine kühnsten Erwartungen. Blizzard hätte das Spiel »Diablo Deluxe« nennen sollen.

Das beginnt schon bei den makabren Kulissen, die extrem detailreich in Szene gesetzt und mit zerstörbaren Objekten vollgestopft wurden. Ihr hinterlasst also buchstäblich eine Spur der Verwüstung, wenn ihr euch durch schummrige Höhlen, verfluchte Gemäuer und düstere Gewölbe kämpft. Außerdem ist den Entwicklern das seltene Kunststück gelungen, eine Spielwelt auf die Beine zu stellen, die den Charme eines handgezeichneten Kunstwerks verströmt, obwohl es sich um moderne Polygongrafik handelt.

Kampf (Diablo 4)

Die hochauflösenden Texturen können ihre Pracht nicht nur auf teuren Gaming-PCs, sondern auch auf PS5 und Xbox Series X entfalten. Die Optik ist knackscharf und die Framerate selbst im größten Gedränge angenehm flüssig. Es kommt zwar gelegentlich zu Nachladerucklern, aber insgesamt ist die Performance echt top.

In Anbetracht des technischen Zustands, in dem manche Titel heutzutage veröffentlicht werden, verdient Blizzard definitiv ein dickes Lob. Da ist es fast schade, dass ich die prächtige Rüstung meines Lieblingsbarbaren aufgrund der isometrischen Perspektive nur im Ausrüstungsmenü aus der Nähe bewundern kann.

Die bösen Microtransactions

Wo wir gerade bei der prächtigen Rüstung sind: Ich habe mir im In-Game-Store ein kosmetisches Rüstungsset für stolze 25 € gekauft, weil ich ein dummes Opfer bin. Blizzard ruft hier echt happige Preise auf, aber wenigstens verzichtet man auf Pay2Win-Angebote. Der Shop beschränkt sich bislang auf kosmetische Items und ich hoffe, dass es so bleibt.

Mittlerweile habe ich sechs Tage im Spiel verbracht und nicht nur die Kampagne beendet, sondern auch mehrere Charakterklassen und diverse Koop-Sessions gespielt. Manche behaupten, dass man Stufe 100 und somit das Endgame erreichen muss, um Diablo 4 angemessen zu bewerten.

Das mag stimmen, aber dennoch kann ich nach fast vierzig Stunden guten Gewissens behaupten, dass meine Lust auf das Spiel nur noch größer geworden ist. Das Grundgerüst ist so genial, dass selbst die 43. Fetch-Quest motiviert ohne Ende.

Barbaren (Diablo 4)

Der Sweetspot

Das Gameplay ist perfekt ausbalanciert, um das Belohnungszentrum in meinem Gehirn mit maximaler Effizienz zu triggern. Wenn ich wie ein wilder Derwisch durch Dämonenhorden pflüge und sie plötzlich ein seltenes Rüstungsteil fallen lassen, während sie in einem brutalen Effektgewitter verenden, dann ist das jedes Mal wie Weihnachten.

Alle paar Meter stolpert man über Kisten, alte Gräber, hohle Baumstämme und andere Umgebungsobjekte, die Loot enthalten können. Außerdem werdet ihr in der Wildnis immer wieder mit besonderen Events konfrontiert, die bereits ab Weltstufe 2 richtig hart werden können.

Mit dem Druiden hatte ich in manchen Abschnitten bereits auf der ersten Weltstufe meine Probleme. Nach sieben gescheiterten Versuchen, einen Dungeon-Boss zu erlegen, habe ich mich zurückgezogen, um sämtliche Skills neu zu verteilen und siehe da, der Dämon war in wenigen Minuten geplättet. Das Zurücksetzen der Fähigkeiten kostet zwar etwas Gold, aber das ist immer noch besser als sich hoffnungslos zu verskillen.

Gut gerüstet

Richtig geil finde ich, dass ich unerwünschte Rüstungseigenschaften durch Neue ersetzen und nutzlosen Kram für Materialien zerlegen kann, um meine bevorzugte Ausrüstung zu verbessern oder durch Edelstein-Slots zu erweitern. Selbst minderwertiger Loot hat einen gewissen Wert, weil sich nützliche Materialien extrahieren lassen.

Es ist höchst motivierend, dass sich mit etwas Fleiß, auch mittelmäßige Waffen in mächtige Tötungsinstrumente verwandeln lassen. Ihr seid also nicht nur auf hochkarätige Drops angewiesen. Das bedeutet auch, dass man extrem viel Zeit mit der Optimierung der Ausrüstung verbringen kann, wenn man möchte.

Pferd (Diablo 4)

Man wird ständig belohnt, ohne dass es inflationär anmutet. Ganz gleich, ob man eine der zahlreichen Nebenquests absolviert, statusverbessernde Altäre entdeckt oder einen der monsterverseuchten, zufallsgenerierten Dungeons säubert. Selbst nach stundenlangen Sitzungen hatte ich immer noch das Verlangen, »nur noch schnell eine weitere Aufgabe zu erledigen«, um meinem Ziel, eine unbesiegbare Kampfmaschine zu erschaffen, einen Schritt näherzukommen.

Masse, statt Klasse?

Es ist schade, dass es nur fünf Charakterklassen gibt, aber sie spielen sich allesamt hervorragend. Zum Barbaren fühle ich mich besonders hingezogen, weil ich als Grobmotoriker eine Angriff-ist-die-beste-Verteidigung-Spielweise bevorzuge und mich gerne mitten ins Getümmel stürze.

Der Jäger ist ideal, wenn man lieber mit dem Bogen aus sicherer Entfernung agiert, der Zauberer punktet mit fetter Zerstörungsmagie, der Totenbeschwörer schickt Untote in den Kampf und der Druide wirkt durch seine Formwandlerfähigkeiten und mächtige Natur-Magie besonders vielseitig. Ich bin jedenfalls gespannt, welche weiteren Klassen in zukünftigen Erweiterungen ihren Weg ins Spiel finden werden.

Lilith macht Ärger

Der Story zufolge sind fünfzig Jahre vergangen, seit wir Sanktuario und seine Bewohner das letzte Mal vor der Auslöschung bewahrt haben. Gleich zu Beginn werden wir mit Lilith, der Tochter eines höllischen Oberbösewichts, konfrontiert und mehr wird zur Geschichte nicht verraten. Die Kampagne ist zwar nicht oscarverdächtig, aber spannend erzählt und mit beeindruckenden Zwischensequenzen unterlegt, sodass ich immer wissen wollte, was als Nächstes passiert.

World Boss (Diablo 4)

Was mich aber am meisten flasht, ist das wuchtige Spielgefühl, das selbst kleine Scharmützel mit Standardgegnern zu packenden und intensiven Erlebnissen macht, die jeden Moment im Spiel spannend und unvorhersehbar gestalten. Ihr müsst sorgfältig abwägen, welche Gegner ihr zuerst bekämpft und welche Fähigkeiten ihr an welcher Stelle einsetzt, um nicht vorschnell ins Gras zu beißen. Es gibt für jede Herausforderung eine geeignete Lösung und das Spiel fühlt sich nie unfair an.

Ihr spürt an jeder Ecke, wie viel Arbeit und Liebe in dieses Spiel investiert wurde.

Fazit: Diablo 4 bietet keine bahnbrechenden Innovationen und verzichtet auf Experimente. Stattdessen hat Blizzard die Spielerfahrung auf ein neues Level gehoben, indem man jahrelang an bewährten Genre-Mechaniken gefeilt und ihnen den perfekten Schliff verpasst hat.

Ihr spürt an jeder Ecke, wie viel Arbeit und Liebe in dieses Spiel investiert wurde. Die exzellent ausbalancierten Kämpfe, die ausufernden Anpassungsmöglichkeiten für jede Charakterklasse, die erstklassige Grafik und eine nahtlos implementierte Online-Komponente zählen zum Besten, was das Action-RPG-Genre zu bieten hat.

Ich empfinde es wirklich als Privileg, die nächsten Wochen und Monate in Sanktuario verbringen zu dürfen. Sogar The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom, das ich bereits zu meinem Spiel des Jahres ernannt hatte, ist auf Eis gelegt, bis ich mich am Endgame von Diablo IV sattgesehen habe.

Diablo IV ist seit dem 6. Juni 2023 für PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One und Xbox Series X|S erhältlich.