Key Art (HeroQuest)
© Avalon Hill/Hasbro

Dungeon Crawler sind eine ganz spezielle Kategorie von Brettspielen. Auf BoardGameGeek (BGG), der großen Spieledatenbank, sind über 500 Einträge gelistet, und doch laufen die meisten Spiele ähnlich ab: Gemeinsam geht es hinab in das Verlies oder in eine Höhle und dort müssen die Heldinnen und Helden sich mit Monstern herumschlagen, Schätze bergen, Feinde bekämpfen und irgendwie lebendig wieder herauskommen.

Mal geht das Abenteuer kooperativ vonstatten, mal spielen alle gegeneinander und manchmal muss man sich hier und da helfen, gewinnt aber doch alleine.

Von »Dungeons & Dragons« zu »HeroQuest«

1989 erschien HeroQuest bei MB. Das Spiel war nicht der erste Dungeon Crawler, doch eines der ersten Brettspiele, welches erzählerische Elemente aus den damals besonders beliebten Pen-&-Paper-Rollenspielen wie Dungeons & Dragons übernahm. Fans von Stranger Things, die bereits die vierte Staffel gesehen haben, dürfte das bekannt vorkommen.

HeroQuest kam in einer überdimensionierten Schachtel daher mit trashig-schönem Cover und wahnsinnig viel Spielmaterial aus Plastik und Pappe: Helden- und Monsterfiguren, offenen und verschlossenen Türen, Möbelstücken und vielen anderen Elementen, mit denen man einen Dungeon bauen konnte, der auch optisch einiges hermachte.

Kein Wunder also, dass die größten HeroQuest-Nostalgiker von heute damals zehn bis vierzehn Jahre alt waren. Das perfekte Alter für solch einen blutigen Spaß, außerdem schaltete MB sogar Fernsehwerbung für das Spiel, was zur großen Bekanntheit beigetragen haben dürfte.

Spielfeld (HeroQuest)
© Avalon Hill/Hasbro

Spielerisch war HeroQuest eher einfach gestrickt: Barbar, Zwerg, Magier und Alb, die allesamt männlichen Helden des Spiels, konnten sich aus einem Buch eine vorgegebene Quest aussuchen und dann ging es los: würfeln, ziehen, würfeln, kämpfen, würfeln, suchen, bis die Schwarte krachte.

Immer tiefer hinein in den Dungeon, bis entweder eine Aufgabe gelöst war und man es zurück zur Treppe schaffte (Hurra!) oder aber es galt: Tod durch Monster-Einwirkung und das ganze Szenario noch einmal durchzocken.

Die Monster und Dungeon-Effekte kontrollierte ein Dungeon Master, welcher hinter einem Sichtschutz gegen alle anderen antrat. So verbrachten manche ihre Zeit in den frühen Neunzigern.

Von »Magic: The Gathering« zu »Gloomhaven«

Irgendwann war HeroQuest nicht mehr im Handel erhältlich und Fantasy-Fans wandten sich anderen Projekten zu, zum Beispiel Magic: The Gathering, welches 1993 in den USA erschien und etwas später auch bei uns. Es kamen zwar weiterhin neue Dungeon Crawler auf den Markt, doch so richtig Fahrt nahm das Genre erst wieder in den Jahren nach 2010 auf, als Highlights wie Descent, Maus & Mystik und Zombicide erschienen.

Als das megaopulente Gloomhaven ab 2015 alle Kickstarter-Rekorde brach und ziemlich schnell auf BGG als bestes Brettspiel überhaupt gerankt wurde, gab es dann kein Halten mehr: Gefühlt wurden alle paar Wochen neue Dungeon Crawler veröffentlicht, entweder als Crowdfunding-Kampagnen oder ganz traditionell über bekannte Verlage.

An dieser Stelle geht es allerdings nicht um das original Gloomhaven, welches eine extrem hohe Einstiegshürde hat und weit über hundert Stunden Beschäftigung bietet, sondern um seinen kleinen Ableger Gloomhaven: Die Pranken des Löwen.

Cover (Gloomhaven: Die Pranken des Löwen)
© Feuerland Spiele

Die Pranken des Löwen ist als günstigere und dank eines cleveren Tutorials auch als einsteigerfreundlichere Variante des großen Bruders konzipiert. Anstatt an die einhundert Szenarien gibt es bei Die Pranken des Löwen vollkommen ausreichende 25.

Besonders praktisch ist, dass das Kampagnen-Ringbuch gleichzeitig als Spielbrett fungiert und so die Aufbauzeit gehörig verkürzt wird – wenngleich das Spiel, meiner Wahrnehmung nach, noch immer im hohen Kennerbereich verortet ist. Komplexer und aufwendiger als Flügelschlag oder Paleo ist es allemal.

30 Jahre altes Brettspiel mit App

Die Pranken des Löwen ist nicht nur der Titel des Spiels, sondern auch der Name einer Söldnertruppe, der alle angehören, dementsprechend handelt es sich um ein kooperatives Spiel. Monster, Verbrecher, Kultisten und andere Effekte werden durch eine »KI« gesteuert, niemand muss mehr den Spielleiter geben.

Ein echter Vorteil im Vergleich zum traditionellen HeroQuest-Erlebnis. Zur HeroQuest-Neuauflage, die in diesem Jahr auf Deutsch erschienen ist, gibt es allerdings eine Begleit-App, welche den Part des Dungeon Masters übernehmen kann. Diese funktioniert zwar gut, nur müssen alle Bewegungen jetzt doppelt durchgeführt werden, erst im Dungeon, dann in der App.

Diese Begleit-App ist das bedeutendste Update, welches dem neuen HeroQuest verpasst wurde. Die neuen Miniaturen sehen zwar anders aus als vorher, aufs Spiel wirkt sich das allerdings nicht aus. Das gilt natürlich auch für die vielen weiblichen Monster, die hinzugekommen sind.

Gesamtes Set (Gloomhaven: Die Pranken des Löwen)
© Feuerland Spiele

Besser als die Pappaufsteller, welche in Die Pranken des Löwen für Monster jeglichen Geschlechts genutzt werden, sind die Minis aber allemal. In Sachen Optik, Ausstattung und, daraus resultierend, Kultfaktor reicht Die Pranken des Löwen an den Klassiker (noch) nicht heran, aber vielleicht gleicht sich das über die Jahre an.

Dafür bietet Die Pranken des Löwen ein in allen Bereichen moderneres Spielerlebnis. Die Charaktere haben sehr unterschiedliche Fähigkeiten und jeweils eigene Kartendecks. Mit diesen werden die Figuren nicht bloß bewegt, die Karten werden auch zum Kämpfen eingesetzt.

Würfelproben entfallen also komplett und alle Teilnehmenden treffen ständig strategisch weitreichende und taktisch knifflige Entscheidungen. Welche beiden Karten nutze ich in dieser Runde? Was halte ich in der Hand für den nächsten Raum? Auf welche Karte kann ich am ehesten verzichten?

Dem Schicksal beziehungsweise Würfelglück oder -pech ist niemand mehr komplett auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, wenngleich in Form von bestimmten Modifizierern bei den Kämpfen auch hier etwas Unvorhersehbarkeit ins Spiel kommt. Durch gute Planung und Erfahrung kann man sich aber immer ganz gut vorbereiten und so die Risiken minimieren.

Wenn man noch immer nicht sicher ist, welcher Dungeon Crawler der richtige ist, dürfte der krasse Preisunterschied zwischen den Spielen den Ausschlag geben.

Fazit: HeroQuest ist ein legendäres Spiel mit Kult- und Retrofaktor. Das kann dem Werk niemand mehr nehmen. Fans werden es lieben, egal ob wir hier die Spielmechaniken als altbacken, viel zu glückslastig und überkommen bezeichnen oder nicht.

Es sieht ja auch cool aus, und Spielerinnen und Spieler, die HeroQuest noch aus den Neunzigern kennen, können es jetzt dank der gut funktionierenden App zusammen mit ihren Kindern zocken und müssen nicht mal mehr den Part des Dungeon Masters übernehmen.

Gloomhaven: Die Pranken des Löwen hingegen ist ein Strategiespiel, das in allen Belangen auf der Höhe der Zeit ist: Ein ausgeklügelter Kampagnenmodus, individuelle Charakterfähigkeiten, innovativer Kartenmechanismus, clevere Mechanismen für die Gegner und nicht zuletzt ein Tutorial über die ersten fünf Szenarien machen es zum objektiv besseren Spiel.

Allerdings ist Die Pranken des Löwen noch immer schwierig zu erlernen und verlangt eigentlich nach einer festen Spielrunde, bei der die Rollen für die gesamte Dauer der Kampagne (also bis das Spiel durchgespielt ist) fest vergeben sind. Mal locker flockig eine Partie mitspielen, weil es so interessant aussieht, ist nicht wirklich drin.

Damit haben wir also zwei sehr unterschiedliche Dungeon Crawler für unterschiedliche Zielgruppen. Allerdings ist HeroQuest mit rund 120 Euro fast doppelt so teuer wie Gloomhaven: Die Pranken des Löwen.

Wenn man nicht gerade mit seinen Kindern spielen möchte und noch immer nicht sicher ist, welcher Dungeon Crawler der richtige ist, dürfte der krasse Preisunterschied zwischen den Spielen den Ausschlag geben für Die Pranken des Löwen. Es ist ja auch das rundere Spiel.

HeroQuest von Stephen Baker, Avalon Hill/Hasbro, für 1–5 Personen ab 14 Jahren (offizielle Angabe), ca. 120 Euro. Clevere Zehnjährige können unter Anleitung aber schon locker mitspielen.

Gloomhaven: Die Pranken des Löwen von Isaac Childres, Feuerland Spiele, für 1–4 Personen ab 14 Jahren, ca. 65 Euro. Die Altersangabe des Verlags trifft zu.