Key Art (Ghostwire: Tokyo)

Dass Resident Evil-Erfinder Shinji Mikami auf abgefahrene Gruselabenteuer steht, ist kein Geheimnis, aber Ghostwire: Tokyo ist selbst für seine Verhältnisse ziemlich speziell.

Im Zentrum der Handlung steht Akito, der seine sterbliche Hülle nach einem Unfall mit einem Geist namens KK teilen muss. Gleichzeitig wird Tokyo von Dämonen heimgesucht und als wäre das nicht schlimm genug, liegt auch noch Akitos Schwester Mari schutz- und bewusstlos im Krankenhaus.

Akito muss sich also mit seinem unkonventionellen »Mitbewohner« arrangieren, um Mari zu retten. Damit beginnt ein abgefahrenes Schauermärchen, das stark von japanischer Folklore inspiriert ist und beinahe ohne Schockmomente oder Jump-Scares auskommt.

Spielerisch ist Ghostwire: Tokyo meilenweit von Resident Evil oder The Evil Within entfernt und wandelt eher auf Bioshock-Pfaden.

Unheimliche Begegnungen

Ein Lob verdient die unkonventionelle Gegnerschar: Es gibt Anzugträger, die bis zur völligen Erschöpfung arbeiten mussten und jetzt nach unserer Lebenskraft lechzen. Noch gefährlicher sind ihre fettleibigen Kollegen, die ihre unterdrückte Wut entfesseln, nachdem sie ein Dasein ohne Wertschätzung durchleiden mussten.

Die sogenannten Marionetten konzentrieren sich wiederum aufs Wohl ihrer Kollegen, weil ihre eigene Existenz so leer und traurig ist. Quasi Sozialkritik auf zwei Beinen und in größeren Gruppen extrem gefährlich.

Silhouette (Ghostwire: Tokyo)

Glücklicherweise stattet KK seinen Wirt mit übernatürlichen Fähigkeiten aus, die den Kampf gegen die Dämonenschar erleichtern. Akito schleudert den bösen Geistern mächtige Wind-, Wasser- und Feuermagie entgegen, bis sie (im wahrsten Sinne des Wortes) ihr Innerstes offenbaren.

Dieser Kern lässt sich durch Gedrückthalten der L-Taste gewaltsam entfernen, was ziemlich cool aussieht und dank Vibrationsfunktion angenehm wuchtig anmutet.

Die »Munition« für magische Attacken muss immer wieder neu aufgeladen werden und daher empfiehlt es sich, mit Bedacht vorzugehen und zu planen, in welcher Reihenfolge man die Gegner angreift. Schließlich gibt es Geister, die Alarm schlagen, ihre Kollegen heilen und so weiter.

Seid ihr im leichten Schwierigkeitsgrad unterwegs, dürft ihr aber gerne alle Vorsichtsmaßnahmen über Bord werfen, da Akito total overpowered durch die Metropole schlendert.

Selbst auf »Normal« hatten wir keine Probleme und deshalb hat sich »Schwer« als das perfekte Setting herauskristallisiert. Zumal sich Gegner easy austricksen lassen, indem man den Rückwärtsgang einlegt und sie nacheinander erledigt, während sie stur auf Akito zulaufen. Es existiert übrigens eine vierte Stufe namens »Tartari«, aber von der haben wir unsere Finger gelassen.

Magische Fingerfertigkeiten

Jedenfalls macht das Kampfsystem durchaus Laune, doch das begrenzte Angriffsrepertoire dämpft die Langzeitmotivation. Euch stehen drei popelige Zauber und eine physische Waffe in Form eines Bogens zur Verfügung.

Regen (Ghostwire: Tokyo)

Dämonen mit Pfeilen zu durchlöchern, bereitet keine große Freude, denn es wirkt einfach deplatziert und unausgegoren. Deutlich sinnvoller finden wir die Talismane, mit denen Gegner gelähmt oder getäuscht werden können.

Im Endeffekt latscht ihr 12 Stunden lang durch eine komplett ausgestorbene Stadt, um Dämonen plattzumachen und Zeug einzusammeln. Außerdem wird der Erkundungsdrang immer wieder gebremst, da ein großer Teil Tokios in übernatürlichen Nebel gehüllt ist.

Ihr könnt euch nur dort frei bewegen, wo die sich die tödlichen Schwaden bereits verflüchtigt haben. Dies erreicht ihr durch die Säuberung korrumpierter »Torii-Tore«, die in der ganzen Stadt herumstehen.

Zwar dürft ihr auch stealthy zur Tat schreiten, eure Feinde hinterrücks erledigen und magische Fähigkeiten aufbrezeln, aber das täuscht nicht über die herrschende Monotonie hinweg. Zumal Akitos Skilltree absolut unspektakulär daherkommt, denn jedes Upgrade liefert nur minimale Verbesserungen.

Wen interessiert es, ob man 10 oder 13 Pfeile im Köcher tragen darf oder eine Sekunde mehr Zeit hat, um die Kerne der Gegner zu extrahieren? Selbst wenn man alle Skill-Erweiterungen aktiviert, fühlt sich Akito nicht viel mächtiger an als zu Beginn seines Abenteuers.

Vielleicht hätte man die Zahl der freischaltbaren Upgrades auf ein Viertel reduzieren sollen, damit der persönliche Fortschritt bedeutsamer wirkt?

Die Optik ist stimmungsvoll, kann aber nicht annähernd mit der grafischen Opulenz eines Horizon Forbidden West oder Ratchet & Clank: Rift Apart mithalten. Viele Umgebungen wirken viel zu steril und auch die ein oder andere Matschtextur trübt das Auge.

Dafür verdient die deutsche Vertonung ein dickes Lob. Nicht nur, weil der beliebte Son-Goku-Sprecher Tommy Morgenstern einen verdammt guten Job macht.

Zum Vollpreis würde ich Ghostwire: Tokyo trotzdem nicht kaufen, denn dafür ist das Gesamtpaket zu eintönig.

Fazit: Die Kämpfe hingen mir irgendwann zum Hals raus, aber die Erkundung fand ich spaßig, weil ich Tokio und japanische Mythologie interessant finde. Immer wieder Wege aufspüren zu müssen, um in Gebäude oder auf ihre Dächer zu gelangen, hatte ebenfalls seinen Reiz.

Einige Nebenmissionen zauberten mir ein Grinsen ins Gesicht – nicht, weil sie spielerisch anspruchsvoll wären, sondern weil sie mit abgedrehten Geschichten glänzen. So musste ich einem Geist eine Rolle Toilettenpapier besorgen, damit er endlich seinen Hintern abwischen und Frieden finden kann.

Außerdem habe ich gelernt, dass man lediglich eine Gurke benötigt, um Kappa-Dämonen zu ködern und einzufangen. Zum Vollpreis würde ich Ghostwire: Tokyo trotzdem nicht kaufen, denn dafür ist das Gesamtpaket zu eintönig.

Ghostwire: Tokyo wurde am 25. März 2022 für PC und PlayStation 5 veröffentlicht.