Artwork (Elden Ring)

Okay, der Satz war nicht hundertprozentig ernst gemeint, enthält aber durchaus ein Körnchen Wahrheit. Elden Ring vereint nämlich die geilsten Features der preisgekrönten Masochisten-Spiele und verpflanzt diese in eine offene Spielwelt, wie man sie noch nie zuvor gesehen hat.

Damit wären wir beim ersten Punkt, der Soulsborne-Puristen schon im Vorfeld zweifeln ließ. Sie befürchteten, dass eine Open World nicht mit der Komplexität und dem Detailreichtum der schaurig-schönen Schauplätze von Bloodborne, Dark Souls oder Demon’s Souls mithalten kann.

Diese Angst war nicht unbegründet, schließlich gibt es genügend Genrevertreter, die sich Copy-&-Paste-Vorwürfe gefallen lassen müssen. Man denke nur mal an die vielen Gebäude in Dying Light 2, die eine sich ständig wiederholende Innenarchitektur bieten.

Glücklicherweise hat From Software eine stimmungsvolle und glaubhafte Welt mit eigener Persönlichkeit erschaffen. Hier herrscht kein Baukasten-Feeling, sondern das Flair des Handgemachten.

Elden Ring gelingt das Kunststück, eine große, offene Welt voller spielerischer Freiheit zu präsentieren, die uns immer wieder mit atemberaubendem Level-Design beglückt. Gleich in den ersten Stunden habe ich Stormveil Castle einen Besuch abgestattet – ein architektonisches Meisterwerk, das gleichzeitig den morbiden Charme des Zerfalls verströmt.

Ein paar Schritte durch das bröckelnde Gemäuer genügten, um mir einen Eindruck davon zu vermitteln, wie imposant dieses Schloss einst war und welche schrecklichen Dinge sich dort zugetragen haben müssen. Selbst jetzt, nach über 50 Stunden, stolpere ich immer noch über neue Schauplätze, die mit ihrem kreativen und komplexen Design beeindrucken.

Beklemmende Freiheit

Absolut krass finde ich, wie Elden Ring immer wieder mit meinen Erwartungen spielt. Ich möchte nichts spoilern, aber man bekommt nur selten das, was man erwartet.

Beispiel: In der Ferne erkenne ich eine riesige Gebäudekuppel. Ist es ein Versammlungsort? Eine Kirche, vielleicht? Ich stecke mein Fernrohr wieder ein und reite auf das Bauwerk zu. Als ich mich nähere, baut sich ein furchteinflößender Riese vor mir auf. Er scheint zu beschützen, was auch immer sich hinter diesen Mauern verbirgt.

Ameisen (Elden Ring)

Als Angsthase, der wenig Mut, aber genügend Pfeile besitzt, entschließe ich mich, den Giganten mit dem Bogen zu erledigen. Es kostet zwar Zeit, ist aber sichererer, als den haushohen Unhold per Schwert zu beackern. Auf diese Weise habe ich bereits in Demon’s Souls einen fetten Drachen zur Strecke gebracht.

Meine Geduld zahlt sich aus und als der Große fällt, öffne ich stolz die mächtige Tür zum Gebäude, um meine Belohnung entgegenzunehmen. Leider erwartet mich dort nur ein großer leerer Raum. Die Plattform in der Mitte entpuppt sich als Aufzug, und ich steige in die Tiefe hinab.

Unten angekommen, werde ich mit einem Labyrinth voller Riesenameisen konfrontiert. Es ist dunkel, aber ich wage es nicht, meine Fackel zu verwenden, da ich mich mit dem Schild sicherer fühle. Ich komme in eine riesige Höhle, die einen Tempel beherbergt.

Hier schlurfen humanoide Gestalten umher und an der Decke hängt ein riesiges Insektenvieh. Ich schleiche vorsichtig zu einer erhöhten Position, um mir einen Überblick zu verschaffen.

Ich habe Angst, mich dieser Herausforderung zu stellen und fliehe in einen weiteren dunklen Gang, wo ich auf seltsame Kreaturen stoße, die an Eidechsen mit großen Kulleraugen erinnern. Sie sind ziemlich angriffslustig, aber ich wende meine bewährte »Mit erhobenem Schild rückwärtslaufen, blocken und kontern«-Taktik an.

Ich sehe das buchstäbliche Licht am Ende des Tunnels. Es leuchtet rötlich und führt mich auf eine kleine Plattform in einer Höhle, die so gigantisch ist, dass ich ihre Grenzen nicht erkennen kann. Ist das da unten etwa Lava? Befinde ich mich in der Hölle?

Ich erkenne keine Möglichkeit, die Plattform sicher zu verlassen und so bleibt mir nur der Rückzug zum Aufzug. Da ich die meisten Monster bereits gekillt habe, laufe ich mit der brennenden Fackel zurück, um mir die Umgebung etwas näher anzusehen. Ich entdecke nützliche Schleifsteine für die Waffenverbesserung und einen Durchgang, den ich zuvor übersehen hatte.

Faszinierende Entdeckungen

Der unscheinbare Tunnel führt mich in einen weiteren Riesenraum. Hier stehen versteinerte, deformierte Gestalten herum, aber was mir viel mehr Angst macht, ist dieses 30 Meter große Knochengerüst, das auf einem steinernen Thron sitzt.

Monster auf Pferd (Elden Ring)

Mein Instinkt rät mir zur Flucht, aber ich bin zu fasziniert von der morbiden Schönheit dieses Ortes. Ich entschließe mich, die Räumlichkeit näher unter die Lupe zu nehmen.

Drei Minuten später bin ich tot und erwache am zuletzt besuchten Ort der Gnade. So heißen die Checkpoints, die nach dem Ableben als Startpunkt dienen – ähnlich wie die Leuchtfeuer in Dark Souls.

Jedenfalls ist Elden Ring vollgestopft mit derart vielschichtigen Locations und einige davon habe ich nur durch Zufall entdeckt. Selbst Nebenschauplätze, die für die Haupt-Quest keinerlei Relevanz haben, strotzen nur so vor liebevollen Details und kreativen Ideen.

Manch unscheinbarer Pfad hat mich in Dungeons geführt, die mehr Spielzeit erfordern als eine komplette Call of Duty-Solo-Kampagne! Natürlich gibt es auch in dieser Open World eintönige Umgebungen, wie etwa Sumpf- oder Waldgebiete mit vielen Grün- und Brauntönen, aber sie wirken nie öde oder austauschbar.

Über allem hängt eine düstere, unheilvolle Stimmung. Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit dominieren, zumal es keine größeren Siedlungen oder Dörfer gibt. NPCs trifft man nur vereinzelt und es gibt auch keine minutenlangen Dialoge wie in Horizon Forbidden West oder Dying Light 2.

Während andere Open-World-Spiele wie riesige Spielplätze oder Vergnügungsparks wirken, hat man in Elden Ring wirklich das Gefühl, in einer feindseligen Welt ausgesetzt worden zu sein. Diese zu erkunden, erinnert mich eher an The Legend of Zelda: Breath of the Wild und weniger an Skyrim oder Immortals Fenyx Rising.

Anstatt Markierungen auf der Karte abzuarbeiten, orientiert man sich an markanten Merkmalen in der Umgebung und wird eher von der eigenen Neugierde angetrieben. Ich habe die Karte nur selten genutzt, weil bei vielen Checkpoints ein dezenter Glitzereffekt in die Richtung der nächsten Haupt-Quest deutet.

Das Storytelling beschränkt sich ebenfalls aufs Nötigste. Es geht um den titelgebenden Elden Ring, der in mehrere Einzelteile zerbricht und die Welt ins Chaos stürzt. Es liegt am Spieler, seine einzelnen Fragmente zu finden, um den Ring und die göttliche Ordnung wieder herzustellen.

Monster (Elden Ring)

Ganz ehrlich: Hätte man George R. R. Martins Namen nicht schon im Vorfeld in den Medien breitgetreten, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass der Game of Thrones-Autor an diesem Projekt beteiligt ist.

Hart, aber fair

Was Elden Ring von Dark Souls unterscheidet, ist nicht nur die offene Spielwelt, sondern auch die bereits angesprochenen Checkpoints. Diese sind deutlich fairer platziert, was das Abenteuer etwas frustfreier macht.

Zumal selbst lange Wege dank eines agilen Reittiers nie zum Problem werden. Ein wahrer Segen, insbesondere dann, wenn es darum geht, die verlorenen Runen wiederzuerlangen, die man beim Sterben verliert. Diese fungieren als Universalwährung, die man bei Händlern in neue Ausrüstung oder am Lagerfeuer in den Stufenaufstieg investiert.

Während ich in Demon’s Souls manchmal eine Stunde oder mehr unterwegs war, um meine Seelen wieder einzusammeln, nahm dieser Aspekt in Elden Ring deutlich weniger Spielzeit in Anspruch.

Insgesamt finde ich Elden Ring nicht leichter als andere Souls-Spiele, aber es ist viel zugänglicher, weil man mehr Möglichkeiten hat. Manche Gegner, die zu Fuß richtig nerven können, lassen sich auf dem Pferd fast schon nebenbei erledigen.

Es gibt aber auch Feinde, die man besser auf zwei Beinen attackiert. Die vielen Heimlichkeitsfunktionen können das Heldenleben ebenfalls erleichtern. Damit meine ich nicht nur das Schleichen, sondern auch diverse magische Tarnfähigkeiten, die zum Herumexperimentieren einladen.

Die Spielmechanik ist also flexibler und lässt sich besser dem eigenen Stil anpassen, ganz gleich, ob man sich auf blanken Stahl oder lieber auf Magie verlässt. Ich habe zu Beginn instinktiv die Bekennerklasse gewählt, eine ausgeglichene Mischung aus Ritter und Magier.

Best of Souls

Mit welchem der geistigen Vorgänger lässt sich Elden Ring am besten vergleichen? Manchmal fühlte ich mich beim vorsichtigen Durchqueren düsterer Gemäuer stark an Demon’s Souls erinnert, doch im Kampf ist die Verwandtschaft zu Dark Souls am unverkennbarsten.

Sprungtaste und Stealth-System verströmen wiederum Sekiro-Vibes, während die Weapon-Skill-Mechanik eine gewisse Ähnlichkeit zu den Trickwaffen aus Bloodborne erkennen lässt. Meiner Meinung nach vereint Elden Ring die besten Elemente seiner Wegbereiter, und diese Vielseitigkeit wird durch den Open-World-Aspekt zusätzlich unterstrichen.

Es würde mich nicht wundern, wenn Elden Ring gegen Ende des Jahres sämtliche Game-of-the-Year-Listen anführt.

Fazit: Ich kann euch ganz genau sagen, was Elden Ring so besonders macht. Es ist der sogenannte »Was is’n des da drüben?«-Effekt. Während ich die faszinierende mittelalterliche Fantasy-Welt durchquere, sage ich alle paar Meter: »Was is’n des da drüben?« Genau so war es auch in Nintendos The Legend of Zelda: Breath of the Wild.

Man sieht oder hört etwas Auffälliges, die Neugierde ist geweckt und schon gehts ab in den Kaninchenbau! In Elden Ring schwingt aber ständig ein Gefühl des drohenden Unheils mit, denn man weiß, dass jede Begegnung in dieser feindseligen Welt den Tod bedeuten kann. Ich kann euch gar nicht sagen, wie häufig ich starkes Herzklopfen hatte oder staunend mit offenem Mund vor der Glotze saß.

Es gibt nur zwei Dinge, die mich an Elden Ring wirklich stören:

  1. Die Grafik befindet sich auf Last-Gen-Niveau und trotzdem läuft das Spiel auf meinem fetten PC mit GeForce RTX 3090 ziemlich unrund.
  2. Mir gehen die altbekannten, leuchtenden Kurznachrichten anderer Spieler auf den Senkel. Da es sich zu 99 % um irgendwelche sinnlosen Troll-Kommentare handelt, geht die Stimmung flöten und deshalb spiele ich ausschließlich im Offline-Modus. Das nimmt mir wiederum die Möglichkeit, als Invasor in fremde Spiele einzudringen oder Elden Ring im Koop-Modus zu zocken. Wieso kann man diese dämlichen Nachrichten nicht einfach deaktivieren?

Davon abgesehen, habe ich an diesem Meisterwerk wirklich nichts auszusetzen und es würde mich nicht wundern, wenn Elden Ring gegen Ende des Jahres sämtliche Game-of-the-Year-Listen anführt.

Elden Ring ist am 25. Februar 2022 für PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One und Xbox Series X|S erschienen.