Key Art (Age of Empires 4)

Endlich sind sie vorbei, die langen Monate und Jahre des Wartens, des Bangens und Hoffens. Des Wartens auf eine Wiedergeburt eines der besten Strategiespiele überhaupt, des Bangens, ob es für Age of Empires 2 überhaupt jemals einen würdigen Nachfolger geben kann und des Hoffens, dass hier etwas Großartiges auf uns zukommt.

Die Zeit zwischen der Ankündigung von Age of Empires 4 und dem finalen Release war für mich ein Wechselbad der Gefühle. Ich habe in meiner Jugend Hunderte Stunden mit AoE 2 verbracht, die überwiegende Menge an historischem Wissen vor der 9. Klasse aus den Kampagnen rund um Johanna von Orleans und Co. gesammelt und endlose Netzwerkpartien mit Kumpels gezockt.

Wenn ich heute ein Spiel benennen müsste, auf das ich wie kein anderes mit einer rosaroten Nostalgiebrille zurückblicke, dann wäre es Age of Empires 2. Umso gespannter und gleichzeitig auch angespannter war ich nach der Ankündigung von Age of Empires 4.

Der dritte Serienteil hatte mich eher enttäuscht, doch Teil 4 sollte ja den Entwicklern zufolge zu den Wurzeln der Reihe zurückkehren. Hat das geklappt? Die Beta machte mir große Hoffnungen – und so viel sei schon jetzt verraten, die Release-Fassung hat diese Hoffnungen fast vollständig erfüllt.

Eine Kampagne ganz in der Tradition von »AoE 2«

Mal Hand aufs Herz: Welcher AoE 2-Fan hat dieses Strategiespiel damals vor allem wegen der Kampagne gezockt? Vermutlich nicht allzu viele. Die meisten AoE-Veteranen werden sich wohl im Netzwerkmodus oder später online mit der KI und anderen Spielern auf randomisierten Karten gemessen haben.

Trotzdem waren die einzelnen Kampagnen von AoE 2 ein integraler Bestandteil des Spiels. Ich habe sie damals auch alle durchgespielt und ganz nebenbei viel gelernt.

Dass die Präsentation der Kampagnenmissionen sich deutlich von der Konkurrenz unterschied und im Vergleich zu Warcraft 3 oder Command and Conquer etwas trocken daherkam, störte mich nicht.

Elefanten (Age of Empires 4)

Das hat sich bei Age of Empires 4 nicht großartig geändert, denn die Entwickler nehmen bei der Kampagne das Motto der Originaltreue gegenüber AoE 2 durchaus ernst: Wir spielen erneut historische Ereignisse nach, die uns diesmal nicht mehr mit Text und gezeichneten Bildern, sondern mit Live-Action-Videos näher gebracht werden. Ein Erzähler klärt uns in gewohnter Manier über die historischen Ereignisse auf, in deren Mittelpunkt bei AoE 4 die Eroberung Britanniens durch Wilhelm I. steht.

Was sofort auffällt: Die Entwickler haben die gesamte Kampagne und deren Präsentation mit unglaublich viel Liebe zum Detail gestaltet. Wer sich für die historischen Hintergründe im Spiel interessiert, kann zusätzliche Videos freischalten, in denen etwa einzelne Waffen oder Kriegstaktiken erklärt werden.

Die gesamte Aufmachung der Kampagne war und ist für mich als bekennende AoE-Enthusiastin und promovierte Historikerin ein absolutes Fest und genau das, was ich mir von einem würdigen AoE 2-Nachfolger erwartet habe. Ich konnte den einzelnen Missionen und ihrer Präsentation an allen Ecken und Enden anmerken, wie viel Herzblut und Mühe das Team bei Relic Entertainment in die Vermittlung der historischen Hintergründe gesteckt hat.

Umso unverständlicher wirkt auf mich deshalb die Kritik der GameStar-Redaktion, welche die Kampagne in ihrem Test als langweilig bezeichnete. Vielleicht ist das in diesem Fall wirklich Geschmackssache.

Aus alt mach neu

Aber die Kampagne ist ja nun einmal auch gar nicht das Kernstück von Age of Empires 4, auch wenn Spieler mit den einzelnen Missionen gut und gerne 30 bis 40 Stunden beschäftigt sein dürfen. Denn das, was AoE 2 groß gemacht hat, waren doch die Mehrspielerpartien.

Aktuell ist es nicht ganz einfach zu beurteilen, wie gut sich Age of Empires 2 langfristig im Multiplayer schlägt – dafür ist es einfach noch nicht lange genug auf dem Markt. Allerdings kann ich schon jetzt sagen: Relic Entertainment hat in Sachen Gameplay ganz viel richtig gemacht.

Wer zum ersten Mal eine Hand an Age of Empires 4 legt, wird direkt mit einem zünftigen Tutorial begrüßt, das die Grundlagen des Spiels erklärt. Kenner der Serie finden sich schnell zurecht und können die Einführung bei Bedarf auch überspringen.

Landschaften (Age of Empires 4)

Auf den ersten Blick bleibt nämlich alles beim Alten: Wir starten mit einem Dorfzentrum und einer Handvoll Dorfbewohner in der Dunklen Zeit. Jetzt geht es darum, eine Basis inklusive einer florierenden Wirtschaft aufzubauen und diese gegen angreifende Gegner zu verteidigen.

Um eine Partie zu gewinnen, müssen wir unterschiedliche Siegbedingungen erfüllen, die wir im Vorfeld festlegen können, etwa die Zerstörung unseres Feindes (Vernichtung seiner Wahrzeichen) oder den bereits aus dem Vorgänger bekannten Bau eines Weltwunders.

Außerdem gibt es überall auf der Karte sogenannte Heilige Stätten. Wer alle diese Orte erobert und erfolgreich verteidigt, gewinnt das Spiel. Das erinnert ein wenig an andere Spiele aus dem Hause Relic Entertainment (Warhammer 40.000: Dawn of War) und sorgt für Spannung. Leider fehlt der aus AoE 2 bekannte und beliebte Königsmord-Modus – ich hoffe, dass die Entwickler diesen noch nachliefern, weil ich diese Variante immer am liebsten gespielt habe.

Was außerdem noch fehlt, sind einige Komfortfunktionen, die mir manchmal den Spielspaß verhagelt haben: Eine davon betrifft beispielsweise das Einquartieren von Einheiten. Wir können nämlich nicht etwa alle Dorfbewohner im Sichtfeld anwählen und einquartieren, sondern müssen sie alle einzeln anwählen.

Das ist im Fall eines Angriffs ganz schön umständlich. Außerdem vermisse ich Möglichkeiten zum Kommandieren einzelner Trupps, wie »Stellung halten« oder »Patroullieren« sowie eine ganze Reihe aus AoE 2 bekannter Hotkeys.

Grafisch ok, klanglich ein echter Genuss

In einer Hinsicht orientiert sich Age of Empires 4 dann aber doch wieder sehr deutlich an seinem Vorvorgänger: Die Grafik sieht gut aus, aber nicht überragend. Gebäude stürzen schick ein, ihre einzelnen Modelle sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet und auch die Effekte können sich durchaus sehen lassen.

Trotzdem: Bei größeren Schlachten, in denen viele Einheiten durcheinanderlaufen, kommt es dann schon zu kleineren Grafikbugs. Alles in allem gibt es hier aber nicht viel zu meckern – und Age of Empires 4 läuft dafür auch auf älteren Systemen flüssig.

Ein echtes Erlebnis ist Relics AoE-Interpretation aber in Sachen Sound. Da geht mir ganz besonders das Herz auf, weil ich vor Jahren regelmäßig die Spiel-CD von AoE 2 in meinen Discman geschoben habe, um dessen tolle Musik genießen zu können.

Age of Empires 4 setzt hier noch einen obendrauf und liefert nicht nur bei der musikalischen Untermalung, sondern auch bei den Soundeffekten auf Top-Niveau ab. Besonders cool: Die Sprachsamples der Einheiten verändern sich mit den Zeitaltern.

Age of Empires 4 ist nicht perfekt – aber es könnte der Echtzeitstrategie wieder neuen Aufwind verleihen.

Fazit: Ja, zugegeben, einige Bestandteile von Age of Empires 4 werden vielleicht nicht jedem gefallen, wie etwa die Kampagne. Das Gameplay hat auch noch ein paar Ecken und Kanten, fehlende Komfortfunktionen und Features, die die Entwickler aber nachliefern wollen.

Trotzdem, auch unabhängig davon haben die Entwickler mich fast wunschlos glücklich gemacht. Age of Empires 4 ist genau das Spiel geworden, das ich mir gewünscht habe. Als Fan der Reihe fühle ich mich, als käme ich nach Hause in eine vertraute Blockhütte, in der schon das warme Feuer im Kamin knistert, die Wolldecke auf dem Plüschsofa auf mich wartet und der heiße Kakao auf dem Tisch steht.

Age of Empires 4 ist nicht perfekt – aber es hat die Chance, langfristig ein echtes Strategiehighlight zu werden und könnte dem totgeglaubten Genre der Echtzeitstrategie wieder neuen Aufwind verleihen. Bis es so weit ist, baue ich aber schon mal fleißig weiter Stein, Gold und Holz ab.

Age of Empires 4 ist seit dem 28. Oktober 2021 für PC erhältlich.