Artwork (Far Cry 6)

Im Augenblick ergeht es Ubisoft ein bisschen so wie dem Sprüche-Diktator Anton Castillo, den man aus dem jüngst erschienenen Far Cry 6 kennen könnte. Denn auch bei der französischen Spieleschmiede zerbersten Molotowcocktails, zumindest in Form von überraschend nüchternen Testwertungen für den Open-World-Shooter.

Ungeachtet eines der niedrigsten Metascores der Seriengeschichte hat Ubisoft große Pläne mit dem fiktiven Inselstaat Yara, dem Schauplatz von Far Cry 6. So soll das durchaus hübsche Abziehbild Kubas ein halbes Jahr lang mit neuen Inhalten versorgt werden. Und das ist doch eine tolle Sache, nicht wahr?

In der Tat spricht aus Spielersicht erst mal nichts dagegen, dass der karibische Knarrenurlaub elf Mal per DLC verlängert werden soll. Schon gar nicht in Anbetracht dessen, dass acht der Erweiterungen nicht einen Peso kosten werden.

Aber wie hat sich Ubisofts Service-Strategie eigentlich auf den Launch-Content ausgewirkt? Und warum bringen Publisher überhaupt Seasons nach Einzelspielerhausen? Dieser Artikel gibt Antworten darauf – und erläutert die Vor- sowie Nachteile von Live-Services nicht nur bei Far Cry.

Roadmap (Far Cry 6)

Ein Programmurlaub mit Überlänge

Anders als die Vorgänge im Spiel selbst ist die Roadmap für Far Cry 6 auch im Singleplayer-Bereich nicht revolutionär. Hitman 3 zum Beispiel erhielt über neun Monate hinweg ganze sieben Content-Updates, Civilization VI wurde elf Monate lang »erweitert«, und Deep Silvers Kingdom Come: Deliverance wurde erst nach 15 Monaten zu den Urkunden gelegt.

Gemeinhin umsorgen AAA-Entwickler ein aktuelles Einzelspieler-Abenteuer über eine Zeitspanne von sechs Monaten, sodass Ubisofts Servicepläne perfekt im Schnitt liegen. Was dagegen Fragen aufwerfen kann, ist der beträchtliche Umfang des Fahrplans.

Demnach soll Far Cry Numero 6 bis zum April 2022 drei große DLCs erhalten, als da wären in dieser Reihenfolge: Insanity, Control und Collapse. Dazwischen, im Oktober und November, kommen für umme vier Special Operations hinzu sowie ab Dezember drei Cross-over-Missionen mit Helden aus der Welt des Films. On top: Seit dem 7. Oktober jede Woche neue »Aufstände« plus neue Ausrüstungsgegenstände für Hauptfigur Dani.

Das ist eine Menge Holz beziehungsweise Software, die unter Umständen der Release-Version fehlen könnte. Ist das denn der Fall? Fakt: Es gibt in Far Cry 6 mindestens neun Hauptoperationen, zu denen sich minimum sieben Substorys gesellen. Allein zum Beenden der Main-Story braucht es laut der Website HowLongToBeat, die auf Durchschnittsdaten von Spielern basiert, um die 20 Stunden.

Damit dauert die Entsorgung Anton Castillos gemäß derselben Site ungefähr drei Stunden länger als die seiner Kollegen aus den Teilen 2 bis 5. Cryteks erste Ausgabe aus dem Jahr 2004 unterliegt bei der Gesamtspielzeit den anderen Teilen.

Boot (Far Cry 6)

Und weiter? Die Zahl der Waffen, mit denen wir Castillos Schergen einschwärzen können, übersteigt im sechsten Far Cry-Teil problemlos die 100. Der Umfang des Fuhrparks ist mit 16 Einträgen nicht ganz so großzügig wie der des fünften Teils, der für das Sequel übrigens die technische Basis bildet. Trotzdem lässt er auch auf längere Sicht kaum Wünsche offen.

Bei den Nebenbeschäftigungen trifft Ubisoft mit dem von PETA kritisierten Hahnenkampf oder dem Klassiker Domino längst nicht jeden Geschmack, doch Zerstreuungen vom Guerillaleben sind in Fülle vorhanden.

Warten auf den DLC

Ein Problem des Service bei Singleplayer-Spielen bleibt dennoch, dass sie nicht annähernd den Content und somit die Langzeitmotivation eines »echten« Service-Games (sprich: eines Online-Shooters oder MMOs) bieten. Gerade der oft kritisierte Gameplay-Loop von Open-World-Spielen wie Far Cry latscht sich schnell aus und lässt Spieler oft mit nervigen Wartezeiten bis zur jeweils nächsten Saison zurück.

Und mal Hand aufs Herz: Seht ihr euch in einem halben Jahr noch gegen das Castillo-Regime kämpfen?

Bei Far Cry 6 sind das Zeiträume von bis zu anderthalb Monaten – lang genug, dass etliche Einzel- wie auch Koop-Spieler ihren Nachhauseweg von Yara antreten dürften.

Tod (Far Cry 6)

Man könnte sagen, dass es durchaus noch schlechtere Ideen gibt, als einen riesigen Free-roam-Shooter zu sechs Monaten Service zu verurteilen. Auch die Update-Dichte stimmt bei Far Cry 6 weitgehend. Allerdings verlaufen sich die Vorteile für Spielerinnen und Spieler in dem meist geringen Umfang der einzelnen Updates. Und mal Hand aufs Herz: Seht ihr euch in einem halben Jahr noch gegen das Castillo-Regime kämpfen?

Der Tod …

Die Frage, wo nun dennoch all der Service für Einzelspieler herkommt, fand in Ubisofts Fall ihre letzte Zwischenstation im Jahr 2016. Damals machte das Unternehmen im Rahmen des eigenen »Investor Day« sinngemäß klar, dass es die Zukunft der Videospiele im Multiplayer-Segment sehe. Passend dazu ranken sich aktuell Gerüchte um einen künftigen Online-Fokus der Far Cry-Reihe.

Eine Ansage, die für manche Fans vielleicht überraschend kam. Tatsächlich aber schippert Ubisofts Shooter-Flaggschiff seit dessen Akquirierung vor 15 Jahren zielsicher in Richtung eines echten Service-Games. Aus gutem Grund, denn eigentlich wurde die klassische Einzelspieler-Kampagne und damit auch Far Cry nach dem ersten größeren Aufkommen der MMOs beerdigt.

Schild (Far Cry 6)

… und die Wiederauferstehung

Far Cry 3 aus dem Jahr 2012 zählte im Grunde zu einer wiederbelebten neuen Generation von One-Man-Shows. Es war ein Zugeständnis an frustrierte Einzelkämpfer, die dem branchenweiten Ausflug in Multiplayer-Terrain nichts abgewinnen konnten. Was nicht heißt, dass am Ende nicht auch Offline-Zocker eine kräftige Portion Mehrspieler bekamen – und zwar in Form von ausgekoppelten »Extra«-Missionen, Waffen, Tieren und anderem.

Natürlich probierte man seinerzeit noch andere Reanimationsmethoden, etwa den weitgehend wieder überwundenen Trend Episodic Gaming. Dieses Geschäftsmodell hatte für Publisher den Vorteil, dass nicht mehr eigens dafür eingestellte Tester, sondern die Kunden selbst das Playtesting übernahmen. Das tun sie bis heute bereitwillig in Early-Access-Programmen, die es Entwicklern und Publishern ermöglichen, nicht wirtschaftliche Spiele schnell wieder abzustoßen.

Geht es nach der Website Steam Charts, reduzierte sich die Spielerschaft von Far Cry 5 zwischen April und Mai 2018 um etwa 84 Prozent.

Wie auch immer: In einem großen Teil der Branche scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass Service-Modelle die meiste Kohle in die Kassen spülen. Und was im Bereich des Online-Multiplayers funktioniert, das muss sich doch auch auf Singleplayer-Spiele übertragen lassen?

Nun ja: Geht es nach der Website Steam Charts, reduzierte sich die Spielerschaft von Far Cry 5 zwischen April und Mai 2018 um etwa 84 Prozent. Die Spielerzahl zum Launch wurde danach auch nicht mehr annähernd erreicht. Und weshalb sollte sich das beim sechsten Teil anders verhalten, handelt es sich im Kern ja um dasselbe Spiel.

Warum dann aber überhaupt Service für Einzelspieler-Titel? Am wahrscheinlichsten ist es, dass Anhänger potenziell rentabler Singleplayer-Marken die Überfahrt ins einträglichere Mehrspieler-Segment mitmachen sollen. Und weil Publisher-Gondolieri allzu unruhige Gewässer weiträumig zu umfahren verstehen, dürfte ein Teil ihrer Passagiere wirklich in der goldenen Zukunft ankommen.

Aber es ist eine Zukunft, in der wir auf Live-Service-Plattformen nur noch Assassin’s Creed Infinity und Battlefield Infinite spielen werden.