Key Art (Far Cry 6)

In manchen Artikeln zu Far Cry 6 wird kritisiert, dass Ubisofts neues Open-World-Abenteuer zwar soziale Missstände, Korruption und Faschismus thematisiert, diese aber eigentlich nur als Mittel zum Zweck missbraucht.

Ich kann die Kritik nachvollziehen, denn ich perforiere gerade eine Truppe Soldaten mit rasiermesserscharfen Audio-CDs, die aus einer Waffe abgefeuert werden, die den Sommerhit »Macarena« abspielt. Das Ganze passiert in einem Arbeitslager, das mit den Leichen unschuldiger Regimeopfer gepflastert ist und während ich die Melodie fröhlich mitsinge, hackt mein Kampfgockel Chicharron auf die vorrückenden Feinde ein.

Das wirkt manchmal absurd und bitterböse, aber ich finde nicht, dass hier Verbrechen gegen die Menschlichkeit trivialisiert werden. Letzten Endes ist Far Cry 6 nur ein weiterer Kampf zwischen Gut und Böse, der in Videospielen schon lange als Vorwand dient, um Dampf abzulassen.

In Far Cry 6 verschlägt es uns auf die fiktive Karibikinsel Yara, deren Bevölkerung unter dem unmenschlichen Regime von »El Presidente« Anton Castillo leidet. Regimekritiker werden im Sekundentakt hingerichtet und unschuldige Bürger verschleppt, um als Laborratten missbraucht und auf Plantagen versklavt zu werden. Das ist aber nur ein klitzekleiner Teil der fiesen Machenschaften und was der Drecksack Castillo sonst noch plant, verrate ich aus Spoilergründen nicht.

Open-World-Ego-Shooter-Action, bei der nicht Realismus, sondern der Spaßfaktor im Mittelpunkt steht!

Dabei hält sich El Presidente keineswegs für einen Bösewicht, schließlich möchte er den heruntergekommenen Inselstaat einfach nur in ein Paradies auf Erden verwandeln. Umso härter geht er gegen Guerillas vor, die seiner Herrschaft ein Ende setzen möchten und damit kommen wir zu unserer Hauptfigur Dani Rojas. Sie ist entweder männlich oder weiblich und muss sämtliche Widerstandskämpfer vereinen, um Yara aus Castillos Klauen zu befreien.

Vista (Far Cry 6)

Es gibt viel zu tun

Eigentlich möchte sich Dani aus dem Staub machen, um in den Vereinigten Staaten vom Amerika ein neues Leben zu beginnen, doch dann kommt alles ganz anders und er/sie wird zum Staatsfeind Nummer 1. Im Prolog wird ohne große Umschweife der Grundstein gesetzt für eine Guerilla-Karriere in bester Far Cry-Tradition und das bedeutet: Open-World-Ego-Shooter-Action, bei der nicht Realismus, sondern der Spaßfaktor im Mittelpunkt steht!

Die paradiesische Spielwelt umfasst Hunderte von Kilometern und kann zu Fuß oder mit einer Vielzahl von Transportmitteln bereist werden. Es gibt Pferde, Motorboote, bewaffnete Jeeps, Jetski, Traktoren, Wingsuits, Fallschirme, Panzer, Helikopter, Flugzeuge und so weiter.

Um an Anton Castillo heranzukommen, gilt es zunächst Dutzende Einsätze zu absolvieren, die erfreulich abwechslungsreich gestaltet wurden. So müsst ihr etwa Geiseln befreien, Schlüsselpersonen eliminieren, feindliche Kriegsschiffe zerstören oder Gerätschaften in euren Besitz bringen. Sind alle Regionen und auch die Herzen der Widerstandskämpfer erobert, dürft ihr in die Hauptstadt vorstoßen.

Falls ihr euch lediglich auf die Kampagnenmissionen konzentriert, spielt ihr Far Cry 6 in rund 20 Stunden durch, doch die Serie war schon immer ein schier unerschöpfliches Füllhorn der Nebenbeschäftigungen und in dieser Hinsicht schießt Far Cry 6 echt den Vogel ab.

Ihr könnt Rebellenlager ausbauen, Loot und Schätze finden, um Dani mit neuen Waffen oder Fähigkeiten auszustatten, Flugabwehrstellungen zerstören, Stützpunkte und Checkpoints erobern, Fische angeln, Tiere jagen, Fahrzeuge sammeln, Mitstreiter zu Aufträgen entsenden und Hahnenkämpfe austragen, die wie ein klassisches Prügelspiel a la Street Fighter funktionieren.

Nette Variation der klassischen Ubi-Formel

Genau wie frühere Episoden ist Far Cry 6 also ein riesiger Abenteuerspielplatz mit dem feinen Unterschied, dass die Karte nicht mehr ständig mit Icons und Missionsmarkern zugeballert ist. Verfügbare Aktivitäten wollen erst entdeckt werden und ihre Zahl wächst quasi mit eurem Aktionsradius. Euer Fortschritt fühlt sich viel natürlicher und nicht mehr wie das stupide Abarbeiten einer Aufgabenliste an.

Dani (Far Cry 6)

Ein weiterer Unterschied ist das Fehlen von Rollenspiel-Elementen. Auf einen Skill-Tree mit freischaltbaren Fähigkeiten verzichtet Far Cry 6, stattdessen lassen sich Waffen und Ausrüstungsgegenstände mit Mods ausstatten. Diese aktivieren bestimmte Perks wie etwa panzerbrechende Geschosse, Gift- und Feuerschaden, mehr Präzision beim Zielen oder die Möglichkeit, noch leiser zu schleichen.

Der Vorteil ist, dass sich die Spielfigur so immer wieder den unterschiedlichen Herausforderungen anpassen lässt. Simples Beispiel: In einer sehr frühen Mission müsst ihr Tabakfelder abfackeln und Chemie-Fässer zerstören. Feuerfeste Handschuhe und eine Maske mit Giftresistenz erleichterten den Job erheblich.

Nimm’s (nicht) leicht

Auf der Insel sind Feinde unterschiedlicher Klassen und Qualitätsstufen unterwegs und auch hier macht sich das Modding der Waffen bezahlt. Für jeden Feind gibt es passende Perks, die das Guerilla-Leben leichter machen. So lassen sich gepanzerte Feinde mit panzerbrechender Munition logischerweise viel schneller erledigen.

Dass in Stützpunkten auch Sanitäter und Ingenieure patrouillieren, bringt einen Hauch von Taktik ins Spiel. Ihr tut immer gut daran, zuerst diese Support-Klassen zu erledigen. Wobei das nicht ganz stimmt, denn wenn ihr den einfachen Schwierigkeitsgrad namens »Story-Modus« wählt, müsst ihr euch über die richtige Taktik keine Gedanken mehr machen.

Der Story-Modus ist das größte Manko von Far Cry 6, da er dem Abenteuer jegliches Gefühl von Herausforderung raubt. Es macht dann keinen Unterschied mehr, ob ihr durch einen unterirdischen Tunnel in eine Festung schleicht oder einfach mit dem Maschinengewehr durchs Haupttor spaziert. Wählt also unbedingt den Schwierigkeitsgrad »Action-Modus«, sonst machts wirklich keinen Spaß.

Tatsächlich hätte ich mir noch eine dritte Schwierigkeitsstufe gewünscht, die mehr Planung und Finesse erfordert. Mit mächtiger Ausrüstung werden selbst Bosskämpfe zum Kinderspiel, zumal die Feindesschar nicht gerade intelligent agiert. Je leichter das Spiel wird, desto weniger Gründe gibt es, feindliche Stellungen vor dem Angriff auszukundschaften oder nach besserer Ausrüstung zu suchen.

Das irre Arsenal

Fast hätte ich vergessen, die Supremo-Kits und Resolver-Waffen zu erwähnen! Sie sind einfach nur over the top und verleihen den Auseinandersetzungen einen irren Twist. Dani kann sich einen Rucksack umschnallen, der Fahrzeuge und Gerätschaften mit EMP-Impulsen lahmlegt, Raketenbatterien abfeuert, Gegner markiert oder Giftgaswolken absondert. Der Triador-Supremo schießt in Kombination mit der Resolver-Waffe »La Varita« sogar durch Wände!

Für jeden Geschmack gibt es die passende Wumme, ganz gleich ob Nagelpistole, Flammenwerfer, Armbrust, Jagdbogen, CD-Schleuder oder Granatwerfer. Selbstverständlich bietet Far Cry 6 auch eine riesige Auswahl »normaler« Schießprügel mit typischen Stärken und Schwächen.

Fazit: Die letzten beiden Far Cry-Abenteuer fand ich nicht so prall, doch Far Cry 6 hat mir richtig viel Spaß bereitet. Das Spiel lädt mich dazu ein, die Insel in meinem eigenen Tempo zu erkunden und mich mal mehr und mal weniger auf die Hauptmissionen zu konzentrieren. Die Nebenaufgaben sind zahlreich, aber nicht aufdringlich und die Spielwelt belohnt gründliche Entdecker.

Der Koop-Modus macht ebenfalls Laune und eignet sich perfekt, um gemeinsam die Sau rauszulassen. Allerdings wird im Online-Duett nur der Fortschritt des Hosts gespeichert, was ziemlich ärgerlich ist.

Far Cry 6 hat mir richtig viel Spaß bereitet.

Die Grafik ist fein, aber nicht herausragend. Selbst auf einem fetten PC mit RTX-3090-Grafikbeschleuniger sieht Far Cry 6 »nur« wie ein sehr detailreiches PS4-Spiel mit flüssiger Bildrate aus.

Far Cry 6 ist seit dem 7. Oktober für PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One und Xbox Series X|S erhältlich.