Cover Art (Paleo)
© Hans im Glück

Ob aktuelles »Spiel des Jahres« MicroMacro: Crime City, die beiden ebenfalls nominierten Die Abenteuer des Robin Hood und Zombie Teenz Evolution oder eine Reihe weiterer Spiele auf den diversen Empfehlungslisten der Jury, eines steht fest: Es ist das Jahr der kooperativen Spiele. Da passt es dann auch gut, dass Paleo, das gerade ausgezeichnete »Kennerspiel des Jahres«, ebenfalls ein Koop-Spiel ist.

Kennerspiele, den Begriff hat die Jury des Vereins Spiel des Jahres e.V. übrigens geprägt, richten sich an geübte Spielerinnen und Spieler, die nach intensiveren, gerne auch etwas komplexeren Spielerlebnissen suchen, als gängige Familienspiele sie bieten.

Das bei uns nicht so hoch gehandelte Fantastische Reiche, mitnominiert für den Preis, erfordert zwar knifflige Entscheidungen, doch bietet es bei sehr kurzer Spieldauer nur eine recht flache Spieltiefe.

Das dritte nominierte Kennerspiel Die verlorenen Ruinen von Arnak, welches wir als Nächstes rezensieren werden, ist ein klassisches, kompetitives großes Brettspiel. Gewonnen hat mit Paleo also das einzige Kennerspiel, bei dem gemeinsam gewonnen und verloren wird.

Was ist jetzt so toll an diesem Spiel? In ihrer Begründung schreibt die Jury des Preises:

»›Paleo‹ gelingt es auf außergewöhnliche Weise, dynamische Geschichten und Bilder in den Köpfen der Gruppe entstehen zu lassen, die noch lange nach Spielende nachhallen.«

Im harten Kampf ums Überleben lernten die Spielerinnen und Spieler, dass sie nur zusammen als Gruppe stark seien. Die Vielzahl an unterschiedlichen Ereignissen hielte die Neugier über viele Partien dauerhaft aufrecht und belohne das Erkunden dieser packenden und unnachgiebigen Steinzeitwelt.

Ganz so habe ich das Spiel nicht erlebt. Dass in Paleo tatsächlich Geschichten erzählt und Abenteuer erlebt werden, ist mir erst wieder aufgegangen, als ich mich zu dieser Rezension an den Computer gesetzt habe. Dabei gefällt mir das Spiel außerordentlich gut, allerdings aus anderen Gründen.

Inhalt (Paleo)
© Hans im Glück

In Paleo übernehmen die Spielenden jeweils die Führung einer kleinen Gruppe von Steinzeitmenschen. Alle Gruppen zusammen bilden einen Stamm, der gemeinsam Aufgaben erfüllen muss.

Tagsüber wird gejagt und gesammelt, erfunden und gebaut. Nachts wird gegessen, dazu müssen weitere Herausforderungen bestanden werden, welche bei unserem Scheitern durchaus tödlich enden können. Zuerst sterben Mitglieder einzelner Gruppen, dann geht der ganze Stamm unter.

Erfahrene Koop-Fans kennen das Grundprinzip: Ein großes Ziel muss erreicht werden (bei Paleo malen wir ein Höhlengemälde, bestehend aus fünf Teilen), währenddessen ständig kleinere Gefahren abgewehrt und diverse Ressourcen gesammelt und getauscht werden müssen.

Anfangs fangen sich unsere Steinzeitmenschen nur kleinere Verletzungen ein, die noch gut innerhalb der Gruppe verteilt werden können. Doch sobald einzelne Mitglieder unserer Gruppe zu viele Wunden ansammeln, sterben sie und ein Totenkopfmarker erscheint neben unserem noch nicht existenten Gemälde.

Bei fünf Totenköpfen ist hier schon alles vorbei, und wenn wir jetzt nicht ratzfatz noch ein Zelt aufbauen für die Nacht, kommt schon gleich der nächste hinzu. So kann es gehen bei Paleo.

Man kennt das natürlich schon von anderen kooperativen Spielen, etwa wenn sich bei Pandemic eine Seuche in zwei, drei Zügen rasant ausbreitet und auf einmal Panik am Spieltisch ausbricht.

Apropos Pandemic. Obwohl ich jetzt gerade dargelegt habe, was thematisch bei Paleo so passiert, fühle ich mich bei Pandemic stärker in die Geschichte gezogen, sowohl im Grundspiel als auch den verschiedenen Staffeln von Pandemic Legacy.

Das ist durchaus erstaunlich. Da Autor Peter Rustemeyer und der Hans-im-Glück-Verlag bei Paleo tatsächlich viel tun, um Geschichten zu erzählen. So gibt es zehn verschiedene Kartendecks, von denen zwei oder drei in einem Spiel zum Einsatz kommen.

Verpackung (Paleo)
© Hans im Glück

Jedes Deck hat unterschiedliche Schwerpunkte, etwa Mammuts jagen oder Zelte bauen. Hinzu kommen weitere Traum-, Geheimnis- und Ideenkarten, die immer neue Impulse geben. Jede Partie verläuft somit einzigartig.

Beim Storytelling soll ebenfalls eine weitere, besonders clevere Idee helfen, die mir so noch nicht untergekommen ist: Die Karten haben unterschiedliche Rückseiten, sind aber alle in einen Stapel gemischt und werden gleichmäßig an alle verteilt. In jeder Runde dürfen sich die Spielerinnen und Spieler dann jeweils eine der obersten drei Karten ihres Decks anhand der Rückseiten aussuchen.

Die Waldkarten bringen wahrscheinlich Holz, am Wasser dürften Tiere anzutreffen sein und Gefahrenkarten, nun ja, die sind vermutlich gefährlich. »Wahrscheinlich«, »dürften« und »vermutlich« lassen aber schon erkennen, dass es nicht immer so kommen muss. Auch im Wald ist es nicht immer friedlich, die Jagd ist am Wasser nicht immer erfolgreich und Gefahren können sich auch mal als Chance entpuppen.

Die ausgewählten Karten werden gleichzeitig umgedreht, dann können alle entscheiden, was sie nun machen. Idealerweise stimmen sich die Spielenden untereinander ab.

Einige Karten bieten verschiedene Optionen, welche unterschiedliche Ressourcen-Kombinationen oder den Abwurf weiterer Karten erfordern. Karten müssen übrigens nicht erfüllt werden, sondern können auch weggelegt werden, sodass sie am nächsten Tag wieder auftauchen.

Wenige Karten erlauben uns, am Höhlengemälde zu arbeiten. Diese erfordern zwar einen gehörigen Ressourceneinsatz, aber immerhin kann uns eine solche Karte dem Sieg gewaltig näher bringen. Ein Gemälde besteht ja, wie gesagt, aus lediglich fünf Teilen.

Allerdings ist es am ersten Tag, also während wir die Karten zum ersten Mal sehen, bevor sie wieder durchgemischt werden, kaum möglich, diese herausfordernden Aufgaben zu lösen.

Was bedeutet, dass wir uns auf die nächsten Tage vorbereiten können, indem wir uns merken, was wir brauchen, also in etwa so: Karte mit Zelt auf der Rückseite, da brauchen wir dreimal Ressource A, zweimal B und noch drei Karten zum Abwerfen. Jetzt sind wir zwar besser vorbereitet auf den nächsten Tag, aber irgendwie rückt die schöne Geschichte in den Hintergrund und es wird eine Ressourcen-Sammelei.

Spielszene (Paleo)
© Patrick Pfeiffer/Spiel des Jahres

Selbst mein Lieblingsmechanismus im Spiel, dass sich die Spielenden absprechen und gegenseitig ganz konkret helfen können, gerät eher zu einem Abgleich von Fertigkeiten (auch eine Art Ressource) und weniger zu einem gemeinsam erlebten Abenteuer. »Ich habe hier drei Augen und eine Fackel, bringt dir das was?« anstelle von: »Oh, wer geht mit mir in die dunkle Höhle und besiegt den Berglöwen?«

Ist das jetzt erlebter »harter Überlebenskampf« und Erkunden einer »packenden und unnachgiebigen Steinzeitwelt«, wie die Jury es formuliert, oder doch eher ein mit vielen kleinen innovativen Elementen bestücktes »Ressourcen-Geschubse«, das den Euro Gamer entzückt?

Es ist auf jeden Fall ein sehr starkes Kennerspiel und ein würdiger Titelträger in diesem Spielejahrgang.

Fazit: Okay, die letzte Frage war eher polemisch gemeint. Paleo liegt natürlich irgendwo zwischen den beiden Extremen und vermutlich bestimmen, wie meistens, die jeweiligen Spielgruppen, wie das Spiel wahrgenommen wird.

Es ist, siehe oben, auf jeden Fall ein sehr starkes Kennerspiel und ein würdiger Titelträger in diesem Spielejahrgang. Wer gerne kooperative Strategiespiele wie Pandemic spielt, sollte sich Paleo unbedingt mal anschauen.

Und Absolventen des »Spiel des Jahres 2021«-Jahrgangs, die mit den familienfreundlichen Koops MicroMacro, Robin Hood und Zombie Teenz durch sind, brauchen irgendwann auch mal Nachschub.

Paleo von Peter Rustemeyer, Hans im Glück, 2–4 Personen ab 10 Jahren, ca. 45 Euro.