
Um Weihnachten rum schien es noch unvorstellbar, dass MicroMacro: Crime City in diesem Juli nicht zum »Spiel des Jahres 2021« gewählt werden würde. Zu groß war die allgemeine Begeisterung, zu gut die Kritiken, zu überwältigend das Feedback aus der Community. Das Spiel gewann den wichtigsten französischen Brettspiel-Preis und wurde natürlich auch bei uns nominiert.
Doch zwischendurch erschien mit Die Abenteuer des Robin Hood ein weiteres sehr schönes Familienspiel und schwuppdiwupp gab es einen zweiten heißen Kandidaten auf die weltweit wichtigste Auszeichnung für Brettspiele.
Das dritte nominierte Spiel, Zombie Teenz Evolution, fällt gegen die beiden deutlich ab und dürfte keine Chance haben.
MicroMacro ist schon jetzt ein Mega-Bestseller.
Nun wird ein Spiel wie MicroMacro natürlich nicht dadurch schlechter, dass mit Robin Hood ein weiteres gutes Spiel auftaucht. Doch eines scheint der Konkurrent bewirkt zu haben: Dass wir den Blick verstärkt auf die kleinen Schwächen von MicroMacro richten.
MicroMacro wird überall als »Wimmelbild, das Brettspiel« bezeichnet, und diese Beschreibung trifft es wirklich gut. Der Spielplan ist ein 75 mal 110 Zentimeter großes Poster der Crime City. Es wimmelt nur so von Menschen, Straßen, Fahrzeugen, Geschäften und was sonst noch in eine Stadt gehört.
Und wenn man einmal genauer hinsieht, finden an allen Ecken und Enden Verbrechen statt. Diese gilt es aufzuklären. 16 Fälle sind auf dem Plan versteckt. Anhand jeweils eines Satzes an Karten, auf denen Fragen zum Tatverlauf abgedruckt sind, müssen die Spielerinnen und Spieler gemeinsam die Verbrechen aufklären.

Der Trailer zum Spiel erläutert das Prinzip sehr gut:
Das Spielprinzip ist wirklich innovativ und auch sehr gut umgesetzt. Die Lösungen aller Fälle sind auf dem Poster versteckt und durch genaues Hinschauen und logisches Kombinieren können die Verbrechen aufgeklärt werden. Dabei sind die Fälle weder banal noch kindisch, trotz des cartoonhaften Looks des Spiels.
Ganz im Gegenteil: Die Geschichten, welche auf dem Poster erzählt werden, sind erstaunlich erwachsen: Eifersucht, Golddigger, verletzte Ehre, all das spielt eine Rolle. Das ist nicht wirklich kindgerecht, zumindest nicht optimal für Kinder unter zehn Jahren.
Nicht unbedingt, weil wir besonders prüde und pikiert wären, sondern weil Kinder so etwas wie Eifersucht als Tatmotiv einfach nicht verstehen und deshalb kaum in der Lage sind, die entscheidenden Aspekte der Fälle zu erkennen, beziehungsweise zu verstehen, was da jetzt los war.
Man kann dies den Autoren des Spiels nicht wirklich vorhalten. MicroMacro sei nie als Spiel für jüngere Kinder gedacht gewesen, erklärten sie kürzlich. Allerdings übt das Spiel einen großen Reiz auf Kinder aus: Es ist die Art von Spiel, welches tatsächlich einen starken Aufforderungscharakter hat, um mal ein Wort zu benutzen, welches ansonsten viel zu häufig für Spiele mit nerdigen Gimmicks verwendet wird.
Bei MicroMacro passt aber alles gut zusammen: attraktive Aufmachung im Comic-Stil, was ganz Neues, kaum Regeln, irgendwie cool. Da wollen Kinder mitmachen, insbesondere wenn das Spiel im kommenden Dezember mit rotem »Spiel des Jahres«-Logo unter dem Tannenbaum auftauchen sollte. Dann ist es auch egal, welche Altersangabe auf der Schachtel steht. (In den ersten Auflagen stand übrigens noch »8+«, dann wurde es auf »10+« angehoben.)

Während Kinder Probleme beim Ermitteln haben könnten, weil ihnen die Themen zu erwachsen sind, haben einige Ältere ein viel praktischeres Problem: Sie können schlichtweg nicht jedes Detail erkennen. Für MicroMacro benötigt man immer gutes Licht und selbst bei perfekter Ausleuchtung muss man sich ständig über den massiven Plan beugen und ihn von ein paar Zentimetern Entfernung aus betrachten, will man nichts übersehen.
Eine Plastiklupe wird zwar mitgeliefert, bringt aber keinen überragenden Vergrößerungseffekt. Das macht das Spielen für viele etwas mühselig und für Menschen mit Sehschwächen möglicherweise gar unmöglich.
Diese Kritikpunkte könnten zwar die Chancen von MicroMacro auf den Preis schmälern, so erfolgreich wie ein »Spiel des Jahres« ist das Werk allerdings schon jetzt. Bis Mai wurden bereits über 500.000 Exemplare des Spiels in 31 Sprachen produziert. 150.000 sind momentan wieder im Druck. Zieht man die gängige Faustformel »ein ›Spiel des Jahres‹ verkauft sich 300.000 Mal« heran, ist MicroMacro schon jetzt ein Mega-Bestseller.
Ein zweites Spiel ist bereits in Planung und eine reine Kinderversion wohl auch. MicroMacro könnte durchaus den Weg der EXIT-Spiele gehen. Dutzende Ableger und Spiele mit fremden Lizenzen oder gezeichnet von anderen Künstlern sind sicherlich denkbar, ob nun mit oder ohne Auszeichnung.
Andere Gewinner haben vermutlich nicht mal mit Auszeichnung eine so hohe Auflage erreicht wie MicroMacro schon jetzt.
Fazit: MicroMacro ist ein cooles Projekt und funktioniert in vielen Gruppen bestimmt auch reibungslos. Nur halt nicht in allen. Muss es das? Nicht unbedingt. Frühere Gewinner wie Codenames oder Dixit sind aus unterschiedlichen Gründen ebenfalls nicht für jeden und jede geeignet, und andere Gewinner haben vermutlich nicht mal mit Auszeichnung eine so hohe Auflage erreicht wie MicroMacro schon jetzt.
Der bisherige Erfolg von MicroMacro ist dann auch eines der stärksten Argumente im Duell gegen Die Abenteuer des Robin Hood: Kann man ein solch innovatives Spiel, welches sich binnen ein paar Monaten bereits so eindrucksvoll am Markt durchgesetzt und damit bewiesen hat, wie massentauglich es ist, nicht mit einem Preis auszeichnen, der genau dies erreichen will? Ich glaube nicht.
MicroMacro: Crime City von Johannes Sich, Edition Spielwiese/Pegasus Spiele, 1–4 Spieler ab 10 Jahren, ca. 25 Euro.