Verpackung (Die Abenteuer des Robin Hood)
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»Das ist ja so wie Zelda, nur als Brettspiel«, meint mein Sohn nach der ersten Partie von Die Abenteuer des Robin Hood. Der Kommentar ist gut, denn zufälliger-, aber passenderweise spielt der Kleine gerade The Legend of Zelda: A Link to the Past auf der (Retro-)Super Nintendo.

Wälder und Schlösser, Helden und Wachen, mit Dorfbewohnern sprechen, Gegenstände und Orte erkunden, und das alles in einer »offenen« Spielewelt mit schnellem Start und ohne vorgegebene Laufwege oder Felder, der Vergleich passt und das ist ja auch kein Zufall.

Für sein neues großes Werk hat sich Autor Michael Menzel klassische Open-World-Abenteuerspiele zum Vorbild genommen und sicherlich auch das eine oder andere Point-and-Click-Spiel gezockt. Im kooperativen Robin Hood stecken demnach auch einige Weiterentwicklungen vieler Ideen, die bereits aus Menzels anderem Spiel Die Legenden von Andor (erschienen 2012) bekannt sind.

Vor einem knappen Jahrzehnt war Andor eine echte Innovation und wurde folgerichtig auch zum »Kennerspiel des Jahres 2013« gewählt. Das Spiel findet auf einer sehr großen Landkarte statt. Helden und Heldinnen ziehen durch eben diese Landen und erleben Abenteuer, die bei Andor Legenden genannt werden.

Alle können sich freier bewegen als in den meisten anderen Spielen, die zu diesem Zeitpunkt auf dem Markt waren. Andor spielte sich damals viel erzählerischer und kam auch einem Open-World-Setting näher als so gut wie alle Konkurrenzprodukte.

Nun ist 2021 nicht 2012. Es gibt weitaus mehr Kampagnen- und Legacy-Spiele, bei denen manchmal komplexe Geschichten erzählt werden, aus Escape-Room-Spielen (die es damals auch noch gar nicht gab) sind so etwas wie Point-and Click-Brettspiele hervorgegangen und bei einem Thriller wie Detective: Ein Krimi-Brettspiel können wir als Cops nahezu komplett frei ermitteln. Kurzum: Seit Andor auf den Markt kam und Begeisterung in der Spieleszene auslöste, ist viel passiert.

Menzel, der sich durchaus zugutehalten kann, diese Entwicklung mit ausgelöst zu haben, geht mit Robin Hood noch einen Schritt weiter und hat, soweit das auf einem großen, aber doch begrenzten Spielplan möglich ist, eine offene Welt geschaffen. Bei Robin Hood gibt es keine Felder mehr, sondern nur noch die eine Landschaft, welche wir erkunden können.

Dabei geht es recht logisch zu. Wiesen, Dorfplätze, Brücken und einen Fluss (per Boot) können wir durchwandern. Mauern, Felsen, verschlossene Tore und den Wald (warum eigentlich nicht?) nicht. Es ist lediglich vorgegeben, wie weit Figuren maximal ziehen dürfen, nicht aber in welche Richtung und was sie wo machen.

Spielfeld (Die Abenteuer des Robin Hood)
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Dazu interagieren Robin und seine Bande mit Dorfbewohnern, Wachen, Adligen und natürlich dem gefürchteten Sheriff von Nottingham. Gegenstände und Orte werden wie bei einem Point-and-Click-Abenteuer (und wie schon bei den Adventure Games von Kosmos) erkundet: Zahlen geben an, wo im 220-seitigen (!) Hardcover-Abenteuerbuch nachgelesen werden kann, was passiert.

Weiß die Frau des Schmieds, wie man ungesehen in die Burg kommt? Hat der Händler vielleicht gesehen, ob hier eine Kutsche vorbeikam? Und was bringt mir die verrostete Rüstung, die hier am Fluss rumliegt? Das alles finden wir lesend heraus.

Langsam tasten wir uns also voran, überfallen nebenbei noch ein paar Soldaten und Adelige und nehmen uns vor Kopfgeldjäger Guy von Gisbourne in Acht, der zwar auf uns angesetzt ist, aber immer etwas planlos auf dem Spielplan herumirrt. In unseren Runden hatte er meist keinen Einfluss auf das Spielgeschehen.

Man kann sich das wie einen opulenten Adventskalender vorstellen, bei dem alle paar Minuten ein Türchen umgedreht wird.

Die Abenteuer sind dabei recht einfach gestrickt. Es gibt nicht viel zu rätseln oder kombinieren. Sobald man die richtige Ansprechperson oder den passenden Gegenstand erreicht hat, erfährt man, was als Nächstes zu tun ist, oder erhält zumindest einen sehr klaren Hinweis, wie es am besten weitergeht.

Der Reiz des Spiels liegt – und dies dürfte auch Menzels Ziel gewesen sein – im gemeinsamen Erkunden von Sherwood Forest, Dorf und Burg und langsamen Aufdecken der vielen anfangs versteckten Elemente des Spiels. Dabei verändert sich der Spielplan durch herauslös- und umdrehbare Plättchen, sodass im anfangs erstaunlich langweiligen Wald bald schon einiges los ist. Man kann sich das wie einen opulenten Adventskalender vorstellen, bei dem alle paar Minuten ein Türchen umgedreht wird, neue Elemente zum Vorschein kommen und so peu à peu ein karger Weihnachtsbaum mit Ornamenten behängt wird.

Das funktioniert alles super und hat in unserer kleinen Corona-Gruppe, bestehend aus mir und meinen beiden Kindern (von denen allerdings nur der Siebenjährige konstruktiv mit dabei war) großen Spaß gemacht. Bezeichnenderweise war das Kind auch selten überfordert, was meine Frau, die manchmal mit am Tisch saß, aber nie mitgespielt hat, zum Kommentar verleitete, dass Robin Hood ja ein tolles Kinderspiel sei.

So würde ich das aber nicht sehen, zumal bei Robin Hood doch noch recht viel gelesen werden muss, wenn auch weniger als bei Andor. Zudem müssen verschiedene Informationen verarbeitet werden, was Kinder unter zehn Jahren ohne Erwachsenen-Support eher nicht hinbekommen. Spielerisch hingegen ist Robin Hood einfach, fast simpel.

Buch (Die Abenteuer des Robin Hood)
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Für mich ist es ein Spiel, welches man am besten in der Familie und mit Kindern ab acht Jahren spielt. Lockdowns, ob unfreiwillig wie jetzt oder freiwillig wie zwischen Weihnachten und Neujahr, sind dafür der perfekte Zeitpunkt. Eine Kampagne umfasst sieben Kapitel (also Partien), von denen jedes etwa eine Stunde in Anspruch nimmt.

Insgesamt kann man Robin Hood aber durchaus häufiger spielen, da es Verästelungen in der Story gibt, was zu unterschiedlichen Folge-Szenarien führt. Ist man einmal durch, kann man also an einer Verästelung »anders abbiegen« oder die gesamte Kampagne in einer anspruchsvollen zweiten Variante neu angehen.

Für diese Rezension haben wir eine Kampagne einmal komplett durchgespielt, also rund sieben Stunden Spielzeit investiert. Um ehrlich zu sein, war (zumindest für mich) nur der Schlussteil des letzten Kapitels herausfordernd. Dazu sollte ich sagen, dass wir im Setup jeder Partie die etwas leichtere Option gewählt haben, die uns extra Züge zugesteht. Mich hat das nicht gestört, da im Spiel mit Kindern, die so etwas nicht kennen, ja auch eine schöne Gruppendynamik entsteht und die Kleinen viele Ideen nicht schon so halb in anderen Spielen erlebt haben.

Wer allerdings bei Robin Hood auf ein Kampagnen-Abenteuer auf Kennerspiel-Niveau gehofft hat, wird enttäuscht werden. Die Komplexität von Detective oder die Koordinations-Herausforderung von Pandemic Legacy darf man nicht erwarten und auch bei MicroMacro: Crime City knackt man härtere Nüsse. Selbst die einzelnen Legenden in Andor sind um einiges schwieriger zu meistern als ein Kapitel von Robin Hood.

Robin Hood könnte demnach vielen Kennerspielern und Expertinnen zu seicht sein. (Obwohl es einige spielerische Elemente gibt, die ich in diesem Text geflissentlich ignoriere.)

Es ist halt ein echtes Familienspiel.

Andor wurde nicht bloß für das Setting und das immersive Spielerlebnis gelobt, sondern auch für den Computerspiel-haften Einstieg über ein Tutorial, welches damals ebenfalls besonders war. In den letzten Jahren ist allerdings auch das »Losspielen ohne Regeln zu lesen« etwas populärer geworden. Robin Hood kann man dann auch nach megakurzer Lektüre eines zweiseitigen Blattes (mit vielen Bildern!) beginnen.

Da ich die erste Andor-Legende seit Jahren nicht mehr gespielt hatte, habe ich nach unserer Robin Hood-Kampagne gleich mal ausprobiert, wie die beiden Spiele den Einstieg lösen. So im direkten Vergleich wird besonders deutlich, dass Robin Hood sehr viel einfacher ist und wie leicht der Einstieg ins Spiel fällt. Es ist halt ein echtes Familienspiel.

Figuren (Die Abenteuer des Robin Hood)
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Zudem haben wir die Andor-Einstiegslegende sogar gleich mal verloren, was bei Robin Hood wohl gar nicht ginge. Wir werden auf jeden Fall weitermachen mit Die Legenden von Andor, Robin Hood ist eine spannende und einsteigerfreundliche Vorbereitung auf dieses anspruchsvollere Abenteuerspiel.

Fazit: Ja, Die Abenteuer des Robin Hood ist ein sehr schönes Kampagnenspiel (sowohl optisch als auch spielerisch) und »etwas anders« – zumindest im Familienbereich. Wer zusammen mit Kindern ab acht oder neun ein immersives Abenteuer erleben möchte, ist bei Robin Hood an der richtigen Adresse.

Elemente, die bereits aus Computerspielen bekannt sind, helfen beim Einstieg und machen das Spiel sofort zu einem Erlebnis. Langeweile kommt nie auf und der Aufbau einer Partie geht auch schnell – ein weiteres dickes Plus.

Kenner und Spezialistinnen kommen allerdings eher nicht so auf ihre Kosten. Hätte ich Robin Hood auch mit meiner erwachsenen Spielegruppe durchgespielt, wenn nicht gerade Lockdown gewesen wäre? Gute Frage. Ich vermute, dass meine Leute keine sieben Partien durchgehalten hätten. Dazu gibt es zu viele Alternativen für Spielerinnen und Spieler, welche die Entwicklungen in der Spielebranche in den letzten zehn Jahren mitgemacht haben und nach größeren spielerischen Herausforderungen suchen.

Glücklicherweise gibt es genügend Familien wie uns, die viel Spaß mit Die Abenteuer des Robin Hood haben und das Spiel bestimmt zu einem Verkaufserfolg machen werden. Sollte es dazu noch irgendwie auf eine der »Spiel des Jahres«-Listen für 2021 rutschen, was ich für ziemlich wahrscheinlich halte, kann man Menzel zu seinem gelungenen Neuling erst recht gratulieren.

Die Abenteuer des Robin Hood von Michael Menzel, Kosmos Verlag, für 2–4 Personen ab 10 Jahren, 49.99 Euro. Hier stellt der Verlag kostenloses Bonusmaterial zum Download zur Verfügung.