Controller mit Hintergrund (Google Stadia)

Ich gehöre zu den Idioten, die mehrmals von Google angeschmiert wurden. Beispielsweise hat der Suchgigant erst kürzlich mein geliebtes Google Play Music gekillt. Ich habe dort nicht nur unzählige Songs gekauft, sondern auch mühsam digitalisierte Vinyl-Schätze hochgeladen, um meine Musiksammlung mit sämtlichen Geräten abrufen zu können.

Ich war hochzufrieden mit dem kostenpflichtigen Angebot, doch Google wollte trotzdem, dass ich stattdessen YouTube Music Premium nutze. Dabei sind die Dienste überhaupt nicht vergleichbar. Langer Rede, kurzer Sinn: Ich musste fast 200 Gigabyte an MP3s über den Browser herunterladen, um meine digitale Musiksammlung zu retten.

Als weiterer Reinfall entpuppte sich Googles Chromebook, welches 2011 als die Zukunft des Mobile Computing angepriesen wurde. Mein erstes und einziges Chromebook war genauso teuer wie ein Windows-Gerät, konnte aber deutlich weniger.

Letztlich standen mir in Chrome OS ein Internet-Browser sowie eine Handvoll Web-Apps zur Verfügung. Auch nach zehn Jahren bleibt das Angebot lachhaft, weshalb sich die User mittlerweile mit Android-Apps behelfen.

Außerdem wird Chromebook-Enterprise-Nutzern über Parallels Desktop eine virtuelle Windows-Oberfläche bereitgestellt, aber wozu das alles? Warum nicht gleich ein Android-Tablet mit Tastatur-Cover oder ein Windows-Notebook kaufen?

Es grenzt an Selbstsabotage

Google hat rund 170 Produkte aus dem Boden gestampft und wieder eingestellt, doch am meisten habe ich mich über den Kauf des VR-Headsets Daydream View geärgert. Das Ding kostete rund 100 Euro und war nur mit einer Handvoll Smartphones kompatibel.

Man versprach, die Liste der kompatiblen Geräte schnell zu erweitern, aber passiert ist rein gar nichts. Daydream hat mehr oder minder die gesamte Phone-VR-Branche in den Tod gerissen.

So etwas nennt man auch »selbstzerstörende Prophezeiung«.

»Wenn selbst so ein Riesenunternehmen wie Google kein erfolgreiches Produkt auf die Beine stellen kann, dann kriegt es niemand hin«, so das Resümee vieler VR-Enthusiasten. Spätestens hier hätte ich einsehen müssen, dass Google alle Produkte stiefmütterlich behandelt, die nicht das Kerngeschäft betreffen.

Statt neue Projekte konsequent durchzuziehen und mit der geballten Marktmacht eines Multimilliarden-Dollar-Unternehmens zu unterstützen, werden sie halbherzig auf den Weg gebracht, so als würde Google deren Erfolg anzweifeln. So etwas nennt man auch »selbstzerstörende Prophezeiung«.

Trotzdem habe ich 2019 die Stadia Founder’s Edition für 129 Euro bestellt. Ich bin eben ein dummes Schwein, das nie dazulernt. Zum Lieferumfang gehörten ein Wireless-Controller sowie ein Chromecast-Ultra-Dongle und damit wären wir bereits beim ersten Problem von Stadia.

Warum braucht es dedizierte Hardware, um einen Spiele-Streaming-Dienst zu nutzen? Cloud-Gaming ist doch gerade deshalb interessant, weil es mit jedem Smart-TV, Tablet, Handy oder Notebook funktioniert. Die Nutzung von Stadia war zum Launch mit weiteren Einschränkungen verbunden, deshalb fiel unser Test nicht unbedingt euphorisch aus. Zumal viele der im Vorfeld angepriesenen Features fehlten. Crowd Play haben wir besonders vermisst.

»Nutzer, die YouTube-Livestreams von Stadia-Spielen veröffentlichen, die Crowd Play unterstützen, können ihre Zuschauer einladen, gemeinsam mit ihnen auf Stadia zu spielen. Zuschauer in einem Crowd Play-Stream können sich per Klick anstellen, um mit dem Creator zu spielen.«

Klingt genial, nicht wahr? Crowd Play funktioniert mittlerweile, wird aber kaum genutzt, weil es deutlich komplizierter ist als es klingt. Statt einfach auf einen Button zu klicken, um mitspielen zu können, muss der Nutzer nämlich über ein Stadia-Konto verfügen, das entsprechende Spiel in der eigenen Stadia-Bibliothek haben und so weiter.

Dead on Arrival

Zuerst dachten alle, dass Google einfach nur klein anfangen wollte, um das Angebot Schritt für Schritt auszubauen. »Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon!«, hieß es immer wieder. Über ein Jahr später ist die Zahl der kompatiblen Geräte zwar gestiegen, doch auf vielen Kisten läuft Stadia nur über Umwege.

Bis vor Kurzem wurden nicht einmal Android-TV-Boxen wie NVIDIAs Shield TV offiziell unterstützt. Auf iPhone oder iPad können Stadia-Games weiterhin nur über den Browser gezockt werden und irgendwie scheint niemand genau zu wissen, auf welcher Hardware Googles Stadia-App heute uneingeschränkt lauffähig ist.

Im Juni 2020 verkündete Google zwar, dass Stadia mit jedem Android-Gerät kompatibel ist, auf dem die Stadia-App läuft, aber das Hickhack der vergangenen Monate hat die potenziellen Nutzer völlig verunsichert.

Warum wirkt das Interface der Stadia-App immer noch wie im Beta-Stadium? Wieso kann ich Stadia auf meinem Samsung Galaxy Tab zwar mit DualShock-4-Controller, aber nicht in voller Auflösung zocken? Warum erlaubt der Chromecast-Ultra-Dongle zwar 4K-Gaming, aber keine Verbindung mit DualShock-4-, Xbox-One- oder Switch-Pro-Controller?

Wobei letzteres nicht ganz stimmt, denn Chromecast-Ultra-Besitzer können inzwischen mittels »Tandem Mode« ihren Third-Party-Controller per USB mit dem Stadia-Controller verbinden. Allerdings wird dieser dann nicht als Zweit-Controller erkannt. WTF?

Viel zu teuer

Besonders traurig ist, dass Google Stadia auch ohne diese bescheuerten Einschränkungen keine echte Daseinsberechtigung hätte. Die Bibliothek umfasst zu wenig Spiele und die Preispolitik ist ein schlechter Witz.

Beispielsweise kostet Assassin’s Creed Valhalla für Stadia »nur« 59,49 Euro, doch wenn ihr das Spiel mit Surround-Sound sowie 4K-Auflösung spielen möchtet, benötigt ihr ein Stadia-Pro-Abo für monatliche 9,99 Euro. Im PlayStation-Store gibts Ubisofts Wikinger-Abenteuer übrigens für 48,99 Euro. Für Red Dead Redemption 2 müsst ihr im Stadia-Store immer noch 59,99 Euro berappen, während der Open-World-Western für PlayStation und Xbox unter 30 Euro zu haben ist.

Von der 2019 angekündigten Mega-Offensive im Videospielmarkt ist Stadia weiter entfernt als jemals zuvor. Zumal gerade bekannt wurde, dass sich Google aus der Spieleentwicklung zurückzieht und Stadia komplett neu ausrichtet. Stadia-Chef Phil Harrison erwähnte in der entsprechenden Pressemitteilung gleich mehrmals, dass man sich jetzt auf Googles Partner fokussiert, damit diese stärker von Stadias Technologieplattform profitieren können.

Anders gesagt: Google wird das eigene Angebot herunterfahren, um anderen Unternehmen die Infrastruktur dahinter anzubieten. In performancetechnischer Hinsicht kann man Stadia tatsächlich keinen Vorwurf machen, denn die Spiele laufen flüssig und verzögerungsfrei.

Das Vertrauen ist dahin

Für 2021 verspricht Google mehr als 100 Spiele via Stadia zu veröffentlichen, darunter auch potenzielle Blockbuster wie FIFA 21 und Far Cry 6. Allerdings stellt sich die Frage, was mit den gekauften Spielen passiert, wenn sich Google dazu entschließen sollte, den Cloud-Gaming-Service endgültig dichtzumachen.

Bei Stadia würde es uns nicht wundern, wenn Google innerhalb der nächsten 12 Monate den Stecker zieht.

Genau wie bei Steam und anderen Digital-Plattformen kaufen Nutzer schließlich nicht das Spiel selbst, sondern lediglich ein Zugriffs- und Nutzungsrecht. Dass Steam, Netflix oder Amazon morgen den Betrieb einstellen, ist extrem unwahrscheinlich, doch bei Stadia würde es uns nicht wundern, wenn Google innerhalb der nächsten 12 Monate den Stecker zieht.

Es ist wirklich eine Schande, denn Google verfügt über alle Mittel, um mit einem Cloud-Gaming-Service die Spielebranche zu erschüttern: Kapital ohne Ende, eine gigantische User-Basis und die besten Marketing-Kanäle, die man sich nur wünschen kann. Leider bringt all das nichts, wenn es an Mut und Konsequenz mangelt.