Key Art; Ultimate Edition (Assassin’s Creed Valhalla)

Sicher wisst ihr bereits, dass ihr in die raue Schale eines Wikingers schlüpft, der seine Heimat Norwegen verlässt, um in England einen Neuanfang zu wagen. Die fremde Insel ist zerrissen und besteht aus unterschiedlichen Kleinkönigreichen, die sich unerbittlich bekriegen. Unsere Hauptfigur Eivor möchte ein Stück vom Kuchen abhaben und stampft kurzerhand eine Siedlung aus dem Boden.

Um diese weiter auszubauen und alle hungrigen Mäuler zu stopfen, braucht Eivor jede Menge Ressourcen. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Exakt! Als waschechter Wikinger erobert ihr mit Reichtümern gefüllte Festungen, zieht plündernd und brandschatzend durchs Land. Es wird geklaut und gemordet, bis die Schwarte kracht. Ein schlechtes Gewissen müsst ihr dabei nicht haben, denn Englands Bevölkerung scheint ausschließlich aus machtgierigen Mördern und hasserfüllten Rassisten zu bestehen.

Eivor kann übrigens Männlein oder Weiblein sein, denn ihr dürft im Spiel jederzeit das Geschlecht wechseln. Aufs Gameplay wirkt sich das aber nicht aus – zumindest ist mir während meines Tests nichts dergleichen aufgefallen. Spielerisch fand ich vor allem den Anfang von Assassin’s Creed Valhalla etwas zäh, denn da ist Eivor noch im verschneiten Norwegen unterwegs. Die meisten Mechaniken werden aber erst in England freigeschaltet und das lässt den Einstieg alt aussehen.

Viel zu tun

In der neuen Heimat öffnet sich das Spiel und präsentiert viele interessante Ansätze. Beispielsweise entpuppt sich der Ausbau der eigenen Siedlung als unterhaltsame Auflockerung, die nette Belohnungen bereithält. So dürft ihr etwa euer Schiff dekorieren, Pferde trainieren, ein Museum eröffnen und so weiter.

Genau wie die ganzen Nebenaufgaben ist der Siedlungsbaukasten aber nicht kampfentscheidend. Wer keinen Bock darauf hat, ignoriert es einfach. Das ist zwar cool, weil man nicht gezwungen ist, an unliebsamen Aktivitäten teilzunehmen, aber auch irgendwie unbefriedigend. Warum soll ich mich mit dem ganzen Krempel beschäftigen, wenn die Auswirkungen kaum ins Gewicht fallen?

Norway (Assassin’s Creed Valhalla)

Beispielsweise gibt es Parcours-Herausforderungen, in denen ein fliegender Papierfetzen eingefangen werden muss. Bei Erfolg winkt eine neue Designvorlage fürs Wikinger-Tattoo-Studio. Die Herausforderung ist auf Dauer wenig unterhaltsam und die Belohnung unbedeutend, also habe ich die entsprechenden Markierungen auf der Karte ignoriert.

Das Problem ist, dass die Map geradezu mit 08/15-Aufgaben gespickt ist und man vorher nicht immer weiß, wie die Belohnung aussieht. Besonders öde und seltsam fand ich eine wiederkehrende Neben-Quest, die Eivor mit bewusstseinserweiternden Pilzen und magischen Toren konfrontiert. Deutlich spannender sind die kurzen Animus-Rätsel, welche in der Gestalt von Layla Hassan gelöst werden.

Command & Conquer

Was Assassin’s Creed Valhalla aber wirklich gut vermittelt, ist das ganze Wikinger-Raubzug-Gedöns. Wenn ihr eine fremde Siedlung oder Festung entdeckt, könnt ihr zum Angriff blasen, um gemeinsam mit eurer Truppe die Sau herauszulassen. Das macht Spaß und Sinn, denn manche Türen oder Kisten lassen sich nur von zwei Personen öffnen.

Im Kampf sind eure Kameraden ebenfalls hilfreich und fügen den Gegnern signifikanten Schaden zu. Das grenzt an ein Wunder, denn die KI-Wikinger sind strunzdoof, bleiben gerne mal an Objekten hängen oder lassen sich einfach totschlagen (Glücklicherweise könnt ihr die Idioten wiederbeleben). Die Gegner agieren ebenso bescheuert, haben entweder Tomaten auf den Augen oder sind fast schon übersinnlich begabt.

Boot (Assassin’s Creed Valhalla)

Es ist dennoch befriedigend mit einer Axt in jeder Hand durch die Gegner zu pflügen, zumal Eivors kämpferische Fähigkeiten mit der Zeit nicht nur in die Breite, sondern auch in die Tiefe gehen. Beispielsweise könnt ihr Gegner von den Beinen fegen und anschließend mit einer Stampfattacke zerschmettern. Oder ihr verändert manuell die Flugbahn eurer Pfeile. Es macht einfach Laune, immer neue Skill-Äste freizuschalten und Eivors Fähigkeitenbaum wachsen zu lassen. Ich vergaß beim Spielen immer wieder die Zeit, weil ich »nur noch schnell ein paar Fähigkeitspunkte verdienen und bestimmte Skills aktivieren« wollte.

Der Kampfstil ändert sich je nach Waffe komplett und es macht einen großen Unterschied, ob ihr mit Schwert, Speer, Axt oder Morgenstern bewaffnet seid. Den von euch angerichteten Schaden sieht man direkt, denn die Gegner verlieren ständig irgendwelche Körperteile. Es gibt auch Special Moves, die sich nach Gebrauch erst wieder aufladen müssen. Einen Multi-Pfeil-Schuss, eine mächtige Sprungattacke und so weiter.

Acht dieser Special-Moves können gleichzeitig auf Steuerkreuz sowie Action-Buttons gelegt und in Kombination mit der L- oder R-Taste aktiviert werden. Das kennen Fans bereits aus den Vorgängern, doch es fühlt sich frisch an, weil diese Specials nun mit klassischen Assassinen-Skills kombiniert werden können.

Back to the Roots

Ubisoft bringt mit Assassin’s Creed Valhalla einige alte Stealth-Fähigkeiten wieder zurück. Um nicht aufzufallen, taucht Eivor in Menschentrauben unter oder tarnt sich als Handwerker. Auch die Assassinen-Klinge für heimtückische Stealth-Kills spielt eine größere Rolle. Die Heimlichtuerei ist ein großer Pluspunkt von Assassin’s Creed Valhalla, kommt aber leider etwas zu kurz.

Ich liebe es, mich unauffällig in eine Burg zu schleichen, um Verteidigungsanlagen zu sabotieren und im Schutz der Dunkelheit nach versteckten Schätzen zu suchen. Zumal ich damit die geplante Belagerung im Morgengrauen zu meinen Gunsten beeinflussen kann. Solche Herausforderungen hätte ich mir in größerer Zahl gewünscht, denn sie sind es, die Assassin’s Creed besonders machen. Ubisoft hätte 90 % der belanglosen Nebenaufgaben streichen und sich dafür auf das Wesentliche konzentrieren sollen.

Fazit: Was Assassins Creed: Valhalla wirklich von anderen Titeln abhebt, ist die atemberaubende offene Spielwelt. England sieht nicht nur schön, sondern auch abwechslungsreich aus und deshalb macht die Erkundung der Open World wirklich Laune. Dasselbe gilt für die spektakulären Raubzüge, die vor allem in Kombination mit einem großen Bildschirm und Surround-Sound eine tolle Atmosphäre erzeugen. Nicht zu vergessen: Als tödlicher Schatten durch feindliche Stellungen zu schleichen, hat mir mindestens so viel Freude bereitet wie in Ghost of Tsushima.

Was Assassins Creed: Valhalla wirklich von anderen Titeln abhebt, ist die atemberaubende offene Spielwelt.

Allerdings wirken viele der Nebenaufgaben wie belangloses Füllmaterial und in den Story-Missionen seid ihr häufig dazu verdammt, endlosen Dialogen zu lauschen, während ihr im Schneckentempo anderen Figuren hinterher spaziert. Neben der durchwachsenen KI störten mich vor allem die vielen Bugs. Mal bleiben Mitstreiter in einer Wand stecken und verhindern so den Fortschritt der Mission oder sie weigern sich, gemeinsam eine Tür oder Kiste zu öffnen. Hier und da gibt es auch Quests, die sich einfach nicht starten lassen. Das ist ärgerlich, doch Ubisoft verspricht, solche Fehler per Day-One-Patch auszubügeln.

Assassin’s Creed Valhalla ist am 10. November 2020 für PC, PlayStation 4, Xbox One und Xbox Series X|S erschienen. Die PlayStation-5-Version folgt am 19. November 2020.