Vögeln war gestern (AI * Shoujo)

Wenn konservative Volksvertreter wieder einmal ein Killerspielverbot fordern, laufen wir Gamer postwendend in ein Berserker-Power-up. Verständlich. Geht es aber um Sexspiele und deren Nutzer, hegen viele von uns genauso rückständige Ressentiments.

Klar: Schlüpfrige Software dient mitunter dem Zweck, fleischliche Durststrecken zu überbrücken. Doch die (nicht nur) in unseren Reihen verbreitete Ansicht, die Riege der Pornospiel-Zocker bestünde hauptsächlich aus »ewigen Jungfrauen« und »ekeligen Nerds«, ist schlicht falsch.

Mit Beischlaf allein lässt sich niemand mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Oder fast niemand.

Denn: Ausgerechnet in diesem Segment verliert der Liebesakt seit Jahren an Bedeutung, oft nimmt er nur noch gefühlte zehn Prozent der Spielzeit ein. Dadurch werden Sex-Simulationen nicht nur attraktiver für Leute, die sich für die Interaktion mit künstlicher Intelligenz interessieren. Nein, auch viele Kritiker dürften bald die ein oder andere interaktive Fummelei auf der Platte haben – weil Sexspiele jetzt schon populäre Genres erobern.

Kopulieren? Sozialisieren!

Dass die knatternden Pixelhaufen der 80er wie auch die unartigen Standbilder der 2000er vor Ewigkeiten zu Grabe getragen wurden, dürfte eigentlich jedem klar sein. Inzwischen haben selbst westliche Entwickler wie Eek! Games (House Party) kapiert: Mit Beischlaf allein lässt sich niemand mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Oder fast niemand.

Koikatsu Party

Wie jedoch die Zukunft des spielerischen Sex aussieht, das zeigen schon heute, wen überrascht’s, die Japaner. Pornospiele aus Nippon werden gemeinhin zwar H-Games genannt (von jap. hentai wie »Perversion«). Gemeint sind damit normalerweise aber »erweiterte« Sozial- oder Menschsimulationen, die meist im Gewand von Action-, Adventure- und sogar Survival-Spielen daherkommen.

Ein prima Beispiel dafür ist AI * Shoujo, ein Mix aus unfreiwilligem Survival-Urlaub sowie Adam und Eva. Zwar klingt die grundlegende Formel – Männlein und Weiblein stranden in einem paradiesischen Südseeidyll – allzu durchschaubar. Anstatt aber gleich die Kaninchen im Sand hoppeln zu lassen, überreicht das Spiel »Adam« den Teil einer Angelrute, nebst dem Auftrag, sie zu komplettieren, um Evas Hüngerchen zu stillen. Bloß ein leidiges Vorspiel?

Nun, nein. Es geht in AI * Shoujo tatsächlich vorrangig darum, Ressourcen zu sammeln, allerlei nützliches Werkzeug zu craften, Futteralien über dem Feuer oder auf dem Herd zu brutzeln, Nutzpflanzen anzubauen und modulare Unterkünfte zusammenzuklopfen. Zusätzlich ist die KI-Begleiterin mit Vitalwerten und einer Psyche ausgestattet, kann sich erkälten, wird ängstlich, wenn ihr Prinz zu wenig isst. Selbst individuelle Charaktereigenschaften mitsamt dem entsprechenden Lifestyle bildet die Gute mit der Zeit heraus.

Körperliche Verfassung (AI * Shoujo)

Ja: Man kann ihn des Späteren noch haben, den Geschlechtsverkehr. Muss man aber nicht. Auch nicht in Sexy Beach Premium Resort, wo die Götter umfassendes Hotelmanagement vors körperliche Vergnügen gesetzt haben. Überhaupt ist in H-Games die schnelle Nummer nur noch via gesonderter Modi möglich. In einigen Fällen – etwa Koikatsu Party oder Natsuiro High School – dauert es gar 45 Minuten, ehe die mitteilsamen Märchenonkel die Hauptfigur ins Schulleben entlassen.

Das Gros der modernen Sexspiele sind also handelsübliche Spiele – die uns die Freiheit geben, den digitalen Partner (oder auch gleich alles und jeden) richtig lieb haben zu können. In den Ohren mancher mag das immer noch lächerlich klingen, vielleicht sogar erbärmlich. Nur: Was wäre demnach ein passendes Adjektiv für Eheleute, deren höchstes Schlafgemach-Erlebnis es ist, sich gegenseitig Schwerter und Hängemoos zu verkaufen – wie gesehen in The Elder Scrolls V: Skyrim?

Nachfrage schafft Angebot

Wer gegen Pornospiele wettert, lässt nicht nur deren krasse Evolution außer Acht, er ignoriert auch die treibenden Kräfte dahinter. Sicher, geschäftliche Überlegungen spielen hierbei eine Rolle. Denn öffnet sich ein verpöntes Genre gegenüber dem Mainstream, beschert ihm das zwangsläufig eine höhere Akzeptanz.

House Party

Der in meinen Augen maßgebliche Evolutionsbeschleuniger aber sind gesellschaftliche Veränderungen, in deren Folge uns Waifus und Husbandos (»fiktive/r Traumfrau/-mann«) nicht mehr nur romantische Partner, sondern auch allerbeste Kumpels sein müssen. Und zwar bis ins reale Leben hinein.

Warum? Weil die Pflege von sozialen Kontakten in Zeiten voranschreitender Digitalisierung, Ökonomisierung und Entfremdung voneinander zu einer echten Aufgabe geworden ist. Virtuelle Freundinnen und Freunde sind einfacher zu handhaben, sie motzen nicht, haben immer Zeit, sind uns in der Regel treu. Bis auf körperliche Nähe können sie uns praktisch alles geben – und selbst daran arbeiten wir bereits.

Wieso Sexspiele also besser sind als ihr Ruf, liegt vor allem an ihren kompensierenden Eigenschaften. Hier sollten gerade diejenigen nicht vergessen werden, die aus Gründen auf sie zurückgreifen: (Psychisch) Kranke, Gehandicapte, von der Liebe Enttäuschte. Sie sind ferner der Grund, weshalb eine Diskussion über eklatant verzerrte Geschlechterbilder ruhig auch mal vertagt werden darf.