
Zum Autor: Robin de Cleur ist PR & Communication Manager bei Asmodee Deutschland.
1985 wurde Sherlock Holmes Criminal-Cabinet zum »Spiel des Jahres« gewählt. 35 Jahre später bringen Asmodee und die Space Cowboys das Spiel unter dem Titel Sherlock Holmes Beratender Detektiv neu heraus. Grund genug, mit Jochen Corts, Jürgen Herz und Synes Ernst, die in dieser Zeit Mitglieder in der Jury waren, einen persönlichen Rückblick zu wagen und die Frage zu stellen: Kann das Spiel heute noch überzeugen?
Robin de Cleur: Sie haben Sherlock Holmes Criminal-Cabinet 1985 als »Spiel des Jahres« ausgezeichnet. Was war an dem Spiel so außergewöhnlich, dass es Sie alle überzeugt hat?
Jürgen Herz: Ich erinnere mich noch gut daran. Kennengelernt hatte ich das Spiel durch einen Produktmanager vom Frankh Kosmos Verlag. Damals fanden die Essener Spielertage, der Vorläufer der heutigen weltgrößten Spielemesse, noch ganz klein in der VHS statt. Ich sehe den Produktmanager noch vor mir sitzen an dem Tisch. Er hat das Spiel voller Begeisterung vorgestellt und mich richtig reingezogen. Ich fand es auf Anhieb toll. Ich habe diese Begeisterung wohl auf die damalige Jury übertragen.
Synes Ernst: Es war das Außerordentliche des Spiels, das uns überzeugt hatte: kein Spielplan, kein Ziehen von Spielfiguren, nur aufgrund von Hinweisen beraten und kombinieren. Die meisten Spiele damals waren nicht wie Sherlock Holmes Criminal-Cabinet: Es stach im Jahrgang wirklich heraus.
Man musste schon ein Nerd sein, um von dem Spiel so begeistert zu sein wie wir.
Robin: Außergewöhnliche Spiele können auch polarisieren. Wie haben die Menschen damals auf Criminal-Cabinet reagiert?
Jochen Corts: Trotz der Qualitäten war das Spiel beim Publikum kein Renner. Das Spiel war seiner Zeit weit voraus, so etwas kannten die Leute noch nicht. Für die Zielgruppe »Spiel des Jahres« war Criminal-Cabinet eigentlich nicht geeignet.
Herz: Man musste schon ein Nerd sein, um von dem Spiel so begeistert zu sein wie wir. Die typischen Spiele vor 35 Jahren waren komplett anders.
Ernst: Es war wirklich eine enorme Herausforderung für die Spieler damals. Uns war schon klar, dass das Spiel im Grenzbereich der Familienspiele liegt. Aber wir wollten auch den Mut belohnen, so ein Spiel auf den deutschen Markt zu bringen.

Robin: Was genau war denn so neu und herausfordernd?
Ernst: Es war absolut neu, dass man in der Gruppe einen Fall löst. Sherlock Holmes Criminal-Cabinet ist Grübeln, Kombinieren und Denken, eine ganz andere Art von Spiel als sonst damals.
Corts: In Rollen zu schlüpfen, auf verschiedene Art und Weise zusammenzuarbeiten, war so einfach nicht bekannt. Mit dem Spiel wurde damals wirklich Neuland betreten. Man kann schon sagen, dass Criminal-Cabinet der Ahnherr moderner Ermittlungsspiele ist.
Robin: Auch dank dieses Ahnherrn gibt es inzwischen viele andere reizvolle Spiele dieser Art.
Ernst: Heute hat Sherlock Holmes Beratender Detektiv viele Verwandte. Spiele wie Detective oder Exit und Unlock schaffen durch das gemeinsame Lösen von Rätseln unter Zeitdruck eine ganz besondere Spannung, ein Mitfiebern. Diese Spannung erlebe ich absolut auch in Sherlock Holmes, indem ich mich ständig frage: Finden wir es heraus?
Corts: Damals war das Spiel ein echtes Unikat. Heute wird es schwieriger, die Wahrnehmung zu erreichen: Es gibt inzwischen mehr Spiele dieser Art. Das Spiel kann aber aufgrund seiner inneren Qualitäten sicher auch heute überzeugen. Auf BoardGameGeek hat es aktuell eine Note von 7,8. Das zeigt, dass es sehr gut ankommt.
Im Jahr 2020 ist das Spiel voll im Zeitgeist und immer noch absolut modern.
Robin: Nun ist mit Sherlock Holmes Beratender Detektiv das Spiel neu aufgelegt worden. Passt es in die heutige Zeit?
Herz: Criminal-Cabinet traf damals auf eine Spielerszene, die mit der heutigen nicht zu vergleichen ist. Heute gibt es Spiele, die ähnlich funktionieren, in die man sich richtig reindenken muss. Trotzdem ist es auch nach heutigen Maßstäben noch anspruchsvoll. Das Spiel fast unverändert herauszubringen, ist sicherlich eine vertriebliche Herausforderung.
Ernst: Im Jahr 2020 ist das Spiel voll im Zeitgeist und immer noch absolut modern. Es erscheint heute in einer Spielelandschaft, in der solche Spiele sehr angesagt sind, in der Spieler es gewohnt sind, gemeinsam Rätsel und Fälle zu lösen.
Corts: Wenn ich sehe, was in den letzten Jahren an Spielen mit erzählerischen Elementen, mit Rätseln und gemeinsamem Ermitteln erschienen ist, finde ich schon, dass Sherlock Holmes deutlich besser in die heutige Zeit passt.
Jürgen Herz
Jürgen Herz gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Spiel des Jahres. Die Idee, ein Spiel des Jahres zu wählen, hatte der Autor und Moderator schon länger, im Rahmen der Spielwarenmesse 1978 schlug er sie dann einigen bekannten Journalisten vor und setzte sie dann mit diesen in die Tat um. 10 Jahre lang organisierte er die Verleihung in der VHS Essen.
Synes Ernst
Der Journalist und begeisterte Spieler Synes Ernst gehörte von 1982 bis 2007 zur Jury Spiel des Jahres, von 1994 bis 2004 war er deren Vorsitzender. Der 1947 geborene Schweizer arbeitete bis zu seiner Pensionierung als politischer Journalist bei verschiedenen Printmedien.
Dem Spielen war er immer treu und veröffentlichte Rezensionen in jeder Station seiner journalistischen Laufbahn.
Jochen Corts
Seit 1974 schreibt Jochen Corts in diversen Tageszeitungen und Zeitschriften über Spiele und Spielliteratur und unterhält Kolumnen für abstrakte Denkspiele und Schachvarianten.
Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Spiel des Jahres und rückt auch nach Eintritt in den Ruhestand als Richter Spielregeln weiterhin mit juristischem Handwerkszeug zu Leibe.