Key Art (Desperados III)

Als alter Sack kann ich mich noch gut an die schlaflosen Nächte erinnern, die mir die Vorgänger vor vielen Jahren beschert haben. Wobei der Begriff »Vorgänger« nicht ganz passt, denn Desperados 3 ist ja ein Prequel und somit bilden Desperados 1 und 2 zumindest storytechnisch die Nachfolge. Letztlich ist das egal, denn auch wenn es ein Wiedersehen mit alten Bekannten gibt, benötigt ihr keinerlei Vorkenntnisse, um Desperados III zu spielen.

Ihr steuert eine (bis zu) fünfköpfige Truppe von Gesetzlosen, allesamt mit einzigartigen und sich ergänzenden Fähigkeiten ausgestattet. John Cooper kann Feinde leise per Messerwurf ausschalten, Doc McCoy hat Betäubungsgas im Gepäck und Voodoo-Isabelle kontrolliert Gegner mit purer Gedankenkraft. Das ist nur ein kleiner Auszug der verfügbaren Skills und soll lediglich verdeutlichen, wie abwechslungsreich das Aktionsrepertoire ist. Keine der Figuren oder Fähigkeiten fühlt sich übermächtig an, da sämtliche Elemente sauber ausbalanciert wurden, damit die Mechaniken wie geölte Zahnräder ineinandergreifen.

Keine der Herausforderungen lässt sich nur auf eine bestimmte Weise erledigen.

Beispielsweise kann Hector mit seiner abgesägten Schrotflinte mehrere Gegner gleichzeitig killen, doch das Ding macht viel Lärm und die Nachladezeit ist ebenfalls heftig. Die schöne Kate wiederum verführt Männer und lockt sie ins Verderben, doch bei Frauen verfehlt sie ihre Wirkung. Die Stärken und Schwächen eurer Truppenmitglieder erfordern smartes Taktieren und erlauben es, jede Mission auf unzählige Arten zu absolvieren.

Goldwäsche (Desperados III)

Keine der Herausforderungen lässt sich nur auf eine bestimmte Weise erledigen. So dürft ihr euch etwa von hinten an einen Gegner heranschleichen, um ihn leise auszuschalten. Ihr könntet aber auch dafür sorgen, dass sein Pferd ausschlägt und den Typen mit den Hinterhufen ins Reich der Träume katapultiert. Was wäre, wenn Hector eine Bärenfalle legt und Kate einem Feind den Kopf verdreht, um diesen in genau diese Falle zu locken? Ließe sich ein Gegner von Voodoo-Isabell dazu bewegen, seine eigenen Leute mit einem stationären Geschütz auszuschalten? In Desperados III werden solche Experimente immer belohnt und manchmal auch vorausgesetzt.

Raffinierte Meuchelei

All das geschieht in Echtzeit, doch ihr dürft das Geschehen jederzeit pausieren und die Aktionen eurer Truppe im sogenannten Showdown-Modus vorausplanen. Nichts ist befriedigender, als wieder auf Play zu drücken und mitanzusehen, wie diese Planung perfekt in die Tat umgesetzt wird. Fast noch schöner ist es, wenn der Plan völlig überraschend scheitert, zum Beispiel, weil ihr nicht daran gedacht habt, dass euch ein Huhn sehen und mit seinem Gegacker die Wachen alarmieren könnte.

Glücklicherweise gibt es eine komfortable Schnellspeicherfunktion, die euch sogar darauf aufmerksam macht, wenn ihr sie zu selten nutzt. Das heißt, selbst wenn ein Plan weniger gut funktioniert oder eure Truppe ständig ins Gras beißt, werdet ihr nicht gezwungen, den kompletten Abschnitt zu wiederholen. Es geht immer direkt dort weiter, wo ihr gespeichert habt und auch das ermutigt den Spieler zu witzigen Experimenten. Manchmal habe ich eine Passage einfach nur zum Spaß wiederholt, weil man verschiedene Taktiken ausprobieren kann, ohne viel Zeit zu verplempern.

Artwork; Isabelle (Desperados III)

Kommen wir nun zur Spielwelt, die aus 16 abwechslungsreichen Levels besteht, die euch wiederum mit unterschiedlichsten Missionsparametern konfrontieren. Beispielsweise müsst ihr Dynamit finden, um Geröll von den Gleisen zu sprengen, damit eine Zugfahrt fortgesetzt werden kann. Außerdem seid ihr in Siedlungen, Wüstengebieten oder sumpfigen Landschaften unterwegs, wobei euch jede Umgebung ganz eigene Herausforderungen und Möglichkeiten präsentiert.

Jedes Level strotzt nur so vor kleinen Details und versteckten Gemeinheiten. Teile der Umgebung lassen sich zerstören oder manipulieren, um Gegner ohne Waffengewalt auszuschalten. In einigen Missionen gibt es sogar neutrale Zonen, in denen ihr euch völlig unbehelligt aufhalten könnt.

Die Gegnerschar agiert und reagiert äußerst intelligent und nachvollziehbar. Nicht nur herumliegende Leichen wirken auf sie verdächtig, sondern auch Fußspuren oder Lampen, die plötzlich nicht mehr funktionieren. Es gibt widerstandsfähige Klassen, die nicht sofort ins Gras beißen und besonders pflichtbewusste Pistoleros, die sich nur schwer von ihrem Posten weglocken lassen. Selbst mit Wachhunden, die eure Fährte aufnehmen können, bekommt ihr es manchmal zu tun.

Stimmungsvolle Präsentation

Desperados III setzt auf die Unity-3D-Engine und in technischer Hinsicht keine Maßstäbe, doch das Art-Design und die krasse Liebe fürs Detail machen das Spiel trotzdem zu einem Augenschmaus. Die Levels werden wie große Dioramen präsentiert und wirken enorm plastisch – quasi wie aufwendig gearbeitete Modellbaukunstwerke. Die Animationen sind ebenfalls spitze und lassen Kills besonders realistisch wirken. Ebenso gelungen ist die Klangkulisse, die mit realistischen Sound-Effekten und witzigen Dialogen aufwartet. Letztere können nützliche Informationen enthalten, darum lohnt es sich immer, NPCs und Feinde zu belauschen.

Es lässt sich in keine Schublade stecken und spielt sich einfach erfrischend anders.

Fazit: Selbst wenn ihr mit Taktikspielen nichts anfangen könnt, solltet ihr Desperados III eine Chance geben. Es lässt sich in keine Schublade stecken und spielt sich einfach erfrischend anders. Komischerweise konnte ich mit Mimimis Shadow Tactics: Blades of the Shogun nicht so viel anfangen, obwohl es ja in dieselbe Kerbe schlägt. Desperados III fühlt sich für mich deutlich ausgereifter an, bietet ein raffinierteres Level-Design und mehr spielerische Freiheiten. Es ist wie eine teambasierte Draufsicht-Version von Hitman und hat mich über dreißig Stunden lang bestens unterhalten.

Desperados III ist seit 16. Juni 2020 für PC, PlayStation 4 und Xbox One erhältlich.