Key Art (Disintegration)

Es gab zwar schon früher Shooter mit Echtzeitstrategie-Elementen, doch von einem Trend konnte man nie sprechen. Titel wie Command & Conquer: Renegade, Battlezone: Combat Commander oder Full Spectrum Warrior konnten gute Wertungen einstreichen und sogar Fortsetzungen generieren, aber letztlich blieben die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurück.

Die Entwicklung entsprechender Titel ist deutlich kostspieliger, als – sagen wir mal – bei einem 2D-Jump&Run. Man könnte auch sagen: Zu teuer für die Nische. Jedenfalls war ich froh, dass endlich mal wieder ein Spiel dieser Machart angekündigt wurde. Die Beteiligung von Halo-Miterfinder Marcus Lehto, sorgte für zusätzliche Vorfreude.

Disintegration versetzt die Spieler in eine ferne Zukunft, in der Menschenhirne in Roboter verpflanzt werden können. Es gibt unterschiedliche Gruppierungen und nicht alle sind der Mechanisierung des Menschen zugeneigt. Es entstehen diverse Konflikte und das bedeutet: Ballern! Und weil Disintegration kein klassischer Ego-Shooter ist, müsst ihr nicht nur Feinde zu Klump schießen, sondern auch einen Einsatztrupp befehligen.

Als Commander benötigt ihr einen guten Überblick über das Schlachtfeld und deshalb sitzt ihr am Steuer eines bewaffneten Gleiters. Ein interessanter Kniff, der es euch gestattet, über den Köpfen der anderen Kämpfer zu schweben. Die maximale Flughöhe ist allerdings auf wenige Meter begrenzt. Ihr werdet also auch als Gleiterpilot mit unüberwindbaren Hürden konfrontiert. Außerdem gibts Wege, die für den Gleiter zu schmal sind und nur von euren Kameraden genutzt werden können. Über größere Abgründe könnt ihr auch nicht schweben, aber trotzdem ist es besser, als zu Fuß zu gehen.

Simpel und effektiv

V1 Interactive hat ein wirklich gelungenes Steuerungskonzept aus dem Hut gezaubert. Die Steuerung eures Gleiters ist selbsterklärend und funktioniert ziemlich simpel. Okay, das Handling ist nicht so direkt wie bei einem typischen Ego-Shooter, schließlich ist man in einem schweren Vehikel unterwegs. Ich brauchte ein paar Minuten, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Zu Beginn hatte ich vor allem Probleme damit, weiter entfernte Feinde anzuvisieren, aber bereits im zweiten Kampagnenlevel ging alles in Fleisch und Blut über.

Ein besonderes Lob verdient das kontextsensitive Truppenbefehlssystem. Ihr müsst keine unterschiedlichen Befehle auswählen, um einen Feind anzugreifen oder eine Kiste zu öffnen. Ihr drückt einfach den R-Trigger, um den 3D-Cursor aufzurufen und wenn ihr damit auf einen Feind oder Objekt zielt und den Trigger erneut betätigt, wird automatisch die korrekte Aktion ausgeführt. Eure (bis zu drei) Mitstreiter verfügen zudem über spezifische Skills, die ihr ganz locker über das Steuerkreuz aktiviert: Granaten werfen, Mörserangriff, Zeitverlangsamungsfeld errichten und so weiter. Das Ganze ist sehr intuitiv gelöst und unterbricht den Spielfluss kaum. Vor allem in späteren Missionen müsst ihr eure Ballerkünste sowie taktischen Fähigkeiten smart und vorausschauend kombinieren, um gegen die feindliche Übermacht zu bestehen.

Die Simplizität ist zwar lobenswert, doch sie schränkt auch ein. Beispielsweise lassen sich gezielt einzelne Gegner aufs Korn nehmen, aber ihr könnt nicht bestimmen, welches Mitglied eurer Truppe zuschlagen soll. Genauso wenig habt ihr in der Kampagne Einfluss auf die Waffenauswahl.

Die große Leere

Zwischen den Einsätzen könnt ihr euch innerhalb eines Hubs (z. B. Basis oder temporäres Lager) frei bewegen, mit Team-Mitgliedern quatschen und eure Fähigkeiten verbessern. Kennt man ja bereits von Titeln wie Mass Effect, Anthem und Co. Allerdings sind diese Momente bei Disintegration ziemlich spaßbefreit, weil alles wie ausgestorben wirkt.

Romer (Disintegration)

Man läuft von einem NPC zum nächsten und drückt ein Knöpfchen. Manche von ihnen schalten nach dem Dialog kleine Challenges frei und um diese zu bestehen, müsst ihr im Kampfeinsatz bestimmte Auflagen erfüllen. Zum Beispiel eine Mindestzahl von Feinden mit einer bestimmten Waffe ausschalten oder gewisse Zeitlimits einhalten. Die reduzierten Interaktionsmöglichkeiten des langweiligen Hubs hätte man auch in einem simplen Menü unterbringen können, statt uns mit einem kastrierten Walking-Simulator zu konfrontieren. Apropos: Die zwölf Kampagnenlevels strotzen auch nicht gerade vor Leben. Es ist so, als wäre man in einer Welt unterwegs, in der sämtliche Lebewesen ausgelöscht wurden.

Neben der etwa zehnstündigen Einzelspielerkampagne bietet Disintegration auch einen Mehrspielerteil. Die drei Modi entsprechen klassischen MP-Typen wie Deathmatch, Capture the Flag und Kontrolle. Durchaus spaßig und spielerisch anspruchsvoller als die normale Kampagne, aber trotzdem nicht mehr als eine nette Dreingabe. Abschließend noch ein kurzes Wort zur Technik: Grafisch wirkt Disintegration ziemlich rückständig, dafür läuft es aber angenehm flüssig.

Es spielt sich schön intuitiv, doch es bleibt zu seicht und kann weder RTS- noch Shooter-Fans länger bei der Stange halten.

Fazit: Die größte Stärke von Disintegration ist gleichzeitig die größte Schwäche. Es spielt sich schön intuitiv, doch es bleibt zu seicht und kann weder RTS- noch Shooter-Fans länger bei der Stange halten. Die erste Hälfte der Einzelspielerkampagne empfand ich noch als angenehme Unterhaltung, doch dann flachte die Motivationskurve rapide ab. Zu schlauchig die Levels und zu eintönig das Missionsdesign. Komischerweise ist es storytechnisch genau andersherum, denn die Geschichte gewinnt erst im späteren Spielverlauf an Fahrt.

Disintegration ist seit 16. Juni 2020 für PC, PlayStation 4 und Xbox One erhältlich.