Key Art (Bleeding Edge)

»Wie bitte, Ninja Theory bringt einen Helden-Brawler auf den Markt?« Das war in etwa meine Reaktion, als ich das erste Mal von Bleeding Edge hörte. Dass die Macher von Ausnahmetiteln wie Senua’s Sacrifice und dem unterschätzten Enslaved: Odyssey to the West auf einmal im Multiplayer-Genre wildern wollten, schien mir zunächst ziemlich kurios.

Bei näherer Betrachtung fand ich die Sache dann aber schon nicht mehr ganz so seltsam wie anfangs – schließlich hat Ninja Theory in Sachen Kampfsystem mit Devil May Cry, Hellblade und Enslaved bereits umfangreiche Erfahrung gesammelt. Nun will sich das britische Studio unter der Schirmherrschaft von Microsoft also auch am Mehrspieler-Markt behaupten. Ob diese Rechnung aufgehen kann? Ich versuche mich mit meinem Test von Bleeding Edge an einer ersten Antwort.

Was ist eigentlich »Bleeding Edge«?

Als ich Bleeding Edge zum ersten Mal startete, hatte ich keine großen Erwartungen an das Spiel. Alles, was ich wusste, war, dass es sich um einen Online-Multiplayer-Brawler handelte. Aber was genau heißt das eigentlich?

Bleeding Edge wirft den Spieler auf fünf verschiedenen Maps in taktische 4v4-Teamkämpfe. Das Spiel bietet dabei zwei verschiedene Spielmodi: Objective Control und Power Collection. Objective Control funktioniert wie eine Art Domination-Modus, für den die Spieler beider Teams bestimmte Kontrollpunkte auf der Map einnehmen und halten müssen, bis sie durch das Halten der Punkte und zusätzliche Kills einen bestimmten Score erreicht haben. Der zweite Modus Power Collection besteht im Sammeln von Kraftzellen, die die Spieler dann an vorgegeben Stellen auf der Karte abgeben müssen – ähnlich wie das Sammeln von Orbs in Heroes of the Storm.

Weil Teamwork entscheidend ist, kommt es im Spiel auf die richtige Kombination aus Helden an. Davon gibt es insgesamt zwölf verschiedene im Spiel, die sich in die Klassen Unterstützer, Assassine und Tank aufteilen und jeweils als Nahkampf- und Fernkampf-Variante zur Verfügung stehen. Bei den Funktionen der Helden erwarten uns keine großen Überraschungen: Die Unterstützer buffen und heilen ihre Teamkollegen, die Tanks ziehen den Schaden auf sich und die Assassinen agieren als Glaskanonen aus dem Hintergrund.

Gizmo Poster (Bleeding Edge)

Die Technik

Bereits beim ersten Starten von Bleeding Edge fällt auf: Technisch kann der Titel nicht unbedingt überzeugen. Die Xbox-One-Version, die ich getestet habe, fällt mit matschigen Texturen und teils heftigem Kantenflimmern auf. Immerhin: Merkliche Ruckler gab es kaum und die cartoonlastige Optik des Brawlers kommt dem visuellen Gesamteindruck durchaus zugute.

Was bei der optischen Gestaltung der Helden sofort auffällt: Hier hat sich Ninja Theory sehr großzügig bei der Konkurrenz bedient. Charaktere wie Daemon oder Buttercup erinnern frappierend an Junkrat und Zarya aus Overwatch, die Fernkampf-Assassine Gizmo sieht aus wie Mechromancer-Kämpferin Gaige aus Borderlands 2. Die Entwickler haben sich offenbar bewusst für diese teils doch ziemlich dreisten Charakterkopien entschieden – vermutlich, um den Wiedererkennungswert der Helden zu steigern und Spielern einfacher zu vermitteln, was sie erwartet, wenn sie diesen oder jenen Charakter ausprobieren.

Was Bleeding Edge in Sachen Grafik fehlt, macht das Spiel aber immerhin beim Sound wieder wett: Die Waffenklänge tönen ebenso wuchtig aus den Boxen wie der schnelle, rotzige Soundtrack, der ein wenig an eine Mischung aus Cage the Elephant, Metallica und The Black Keys gepaart mit den ein oder anderen Elektro-Klängen erinnert. Hier trumpft Bleeding Edge jedenfalls definitiv auf und sorgt dafür, dass ich mich ein ums andere Mal dabei erwische, wie ich beim Zocken im Takt der Musik mit dem Kopf nicke.

Buttercup (Bleeding Edge)

Beim Gameplay (k)eine Wucht

Was gleich zu Beginn und schon im Tutorial von Bleeding Edge auffällt: Der Brawler spielt sich sehr schnell und dynamisch. Wir springen, sliden, weichen aus, nutzen das Terrain und die auf den Maps verteilten Sprungpads, um uns einen Vorteil zu verschaffen und unsere Gegner aus der Luft oder dem Hinterhalt anzugreifen. Hier spielt Ninja Theory seine ganze Erfahrung in Sachen Kampfsteuerung aus. Denn das Kampfsystem ging mir nach kurzer Zeit in Fleisch und Blut über, sodass es mir sehr schnell jede Menge Spaß machte, über die Map zu huschen und mit gezielten Kombo-Attacken meine Gegner zum Wahnsinn zu treiben.

Selbst Neueinsteiger sollten sich hier recht schnell zurechtfinden – es gilt aber das Prinzip: leicht zu lernen, schwer zu meistern. Denn jeder der zwölf spielbaren Charaktere verfügt über einen Basisangriff sowie drei Spezialattacken, die wir geschickt miteinander kombinieren müssen, um mächtige Komboketten auszuführen – Devil May Cry lässt grüßen. Die veränderlichen Umgebungen der Maps sorgen für zusätzliche Spannung, etwa, wenn ein fahrender Zug mitten durch das Spielgeschehen rauscht.

Wer sich auf einen bestimmten Helden eingeschossen hat, kann den dann übrigens auch noch mit verschiedenen Mods nach den eigenen Wünschen und bevorzugten Spielarten anpassen. Wir dürfen pro Charakter drei Mods gleichzeitig aktivieren und bekommen dadurch die Möglichkeit, bestimmte Fähigkeiten unseres Charakters zu verbessern.

Wer einfach nur so vor sich hinzockt und seine Teamkameraden ignoriert, bekommt schneller die virtuelle Fresse poliert, als er Overwatch sagen kann.

Allerdings überzeugt Bleeding Edge beim Gameplay noch nicht an allen Stellen: Leider gibt es bislang weder ein Matchmaking, bei der wir den Spielmodus oder die Map auswählen können, noch ein Rankingsystem. Wer Bleeding Edge also länger und auch kompetitiv spielen möchte, schaut erst einmal in die Röhre. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang: Wer in Bleeding Edge erfolgreich sein will, braucht ein eingespieltes Team. Denn wer einfach nur so vor sich hinzockt und seine Teamkameraden ignoriert, bekommt schneller die virtuelle Fresse poliert, als er Overwatch sagen kann. Das kann besonders für Einsteiger auf die Dauer frustrierend werden – zumindest dann, wenn sich keine Freunde finden, mit denen man sich zu einem Team zusammenschließen kann. Fans taktischer Mehrspieler-Action kommen dafür allerdings voll auf ihre Kosten.

Darüber hinaus mangelt es Bleeding Edge auch noch deutlich an Umfang: Fünf Maps mit zwei Spielmodi wirken doch arg wenig, um Fans langfristig bei der Stange zu halten. Hier muss Ninja Theory also auf jeden Fall nachlegen.

Makutu (Bleeding Edge)

Fazit: Ninja Theory setzt mit Bleeding Edge gleich in mehrerlei Hinsicht auf Risiko. Die Konkurrenz am Markt für Online-Brawler fällt derzeit nicht gerade schmal aus und die Fans klassischer Multiplayer-Titel sind aktuell bereits mit Spielen wie Overwatch, Call of Duty, Fortnite und Co. bedient. Ob Ninja Theory auf der anderen Seite ihre alteingessenen Fans für Bleeding Edge begeistern kann, bleibt ebenfalls fraglich – schließlich begeisterte ein Hellblade vor allem durch die Atmosphäre und das Setting, während Bleeding Edge den Fokus auf schneller Mehrspieler-Action legt.

Ich hatte mit Bleeding Edge auf jeden Fall eine Menge Spaß. Dass Ninja Theory sich beim Charakterdesign großzügig bei Overwatch und Borderlands bedient, sei den Entwicklern verziehen – immerhin erhöht das den Wiederkennungswert der spielbaren Helden. Ich kann auch über die kleineren technischen Macken hinwegsehen. Das flotte und erfrischend andere Kampfsystem entschädigt mich für diese Mängel. Ein weiterer Pluspunkt von Bleeding Edge: Aktuell gibt es das Spiel praktisch kostenlos im Rahmen von Microsofts Game-Pass-Angebot sowohl für PC als auch Xbox One. Wer das Spiel also einfach nur ausprobieren möchte, kann das ohne größeres finanzielles Risiko tun. Vielleicht verhilft das dem Titel zu der meiner Ansicht nach verdienten Aufmerksamkeit.

Bleeding Edge ist am 24. März 2020 für PC und Xbox One erschienen.