Key Art (Half-Life: Alyx)

Ich kann mich noch ganz genau an die Enthüllung von Half-Life: Alyx erinnern. Als VR-Nerd war ich gehypt. Allerdings wurde Half-Life 2 vor fast 16 Jahren veröffentlicht und wir warten immer noch auf einen echten Nachfolger. Ein VR-Spin-off zu präsentieren und dabei keine Silbe über Half-Life 3 zu verlieren, empfand ich als Unverschämtheit. Zumal die Figur Alyx Vance zwar ganz nett, aber eben keine Ikone wie Gordon Freeman ist.

Ich begann meine Test-Session also mit gemischten Gefühlen.

Dann habe ich mein VR-Headset aufgesetzt, das Spiel gestartet und sämtliche Bedenken lösten sich in Luft auf. Ich stand auf einem Balkon und hatte eine tolle Aussicht auf City 17. Drohnen und Gleiter flogen umher, Combine-Soldaten drangsalierten die Bürger und im Hintergrund ragte die Zitadelle bedrohlich in den Himmel. Ich war Alyx. Das Spiel hatte noch gar nicht begonnen und ließ mich bereits vergessen, dass ich einfach nur ein dicker Nerd mit VR-Headset bin.

Ich bin ein alter Hase, was VR-Gaming betrifft und dennoch hat mich dieses Spiel stellenweise sprachlos gemacht.

Nie zuvor habe ich eine derart heftige Immersion erlebt. Ich war tatsächlich in City 17 unterwegs und konnte live miterleben, wie die Schreckensherrschaft der Combine unsere Gesellschaft zerstört. Die dystopische Spielwelt ist in Half-Life: Alyx keine generische Kulisse, sondern absolut glaubhaft und höchst interaktiv in Szene gesetzt. Ich bin ein alter Hase, was VR-Gaming betrifft und dennoch hat mich dieses Spiel stellenweise sprachlos gemacht. Es ist eine Erfahrung, die sämtliche Grenzen sprengt und das Prädikat »True Next Generation Gaming« verdient.

Handschuhe (Half-Life: Alyx)

Kurz noch etwas zur Story: Half-Life: Alyx spinnt nicht die Geschichte des letzten Spiels weiter, denn die Geschehnisse sind zwischen Half-Life 1 und 2 angesiedelt. Die Combine entführen den Vater der Heldin und mehr wird aus Spoilergründen nicht verraten. Half-Life-Fans der ersten Stunde fühlen sich jedenfalls sofort heimisch, weil man alte Bekannte trifft und immer wieder über Gegner, Kreaturen und Objekte aus den preisgekrönten Vorgängern stolpert. Half-Life: Alyx ist wie früher, nur noch geiler.

Die Macht ist mit Alyx

Zum Einstieg erhält Alyx spezielle Handschuhe, die ihr (also euch) Telekinese-Fähigkeiten verleihen. Einfach auf ein entferntes Objekt zeigen, kurz mit dem Handgelenk zucken und schon landet es in eurem Schoß. So lassen sich nicht nur Pistolenmagazinen oder Schlüsselkarten einsammeln, sondern auch viele Auseinandersetzungen im Spiel entschärfen. Beispiel: Ihr lasst einen Benzinkanister heranschweben, um diesen anschließend auf Gegner zu schleudern und mit einem Schuss in die Luft zu jagen. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, könnt ihr aufheben und durch die Gegend werfen. Das Ganze funktioniert absolut intuitiv und geht nach wenigen Minuten in Fleisch und Blut über.

G-Man (Half-Life: Alyx)

Ich würde Half-Life: Alyx aber nicht als VR-Shooter mit Telekinese-Feature, sondern eher als Survival-Horror mit Baller- und Rätselanteil bezeichnen. Es wird nämlich gar nicht so viel geballert, zumal ihr mit der Munition haushalten müsst.

Das Zielen funktioniert dabei ganz simpel über Kimme und Korn. Wenn Headcrab-Zombies euren Weg kreuzen, solltet ihr nicht gleich losfeuern, sondern erst mal vorsichtig die Lage checken. Lässt sich irgendetwas in die Luft jagen oder in Brand setzen? Könnte man die Zombies ablenken? In diesem Zusammenhang erweisen sich die sogenannten Barnacles als äußerst nützlich. Die altbekannten Kreaturen aus dem HL-Universum kleben an der Decke und lassen einen langen, klebrigen Tentakel herabhängen. Alles, was damit in Kontakt kommt, wird umgehend aufgefressen. Es hat mir jedes Mal eine diebische Freude bereitet, Feinde in Tentakelreichweite zu locken und ihr Ableben zu beobachten.

Perverse Detailliebe

Es wird also geballert, geschlichen und gerätselt. Wäre Half-Life: Alyx ein klassisches Spiel, das man auf dem Bildschirm genießt und via Controller steuert, würde wohl kein Hahn danach krähen. Was ihr tut, ist nicht außergewöhnlich, sondern nur wie ihr es tut.

Wenn ihr in einem normalen Ego-Shooter nach einem Schalter sucht, dann bewegt ihr eure Figur mit dem Analogstick durch den Raum und drückt an bestimmten Stellen die Aktionstaste. In Half-Life: Alyx nehmt ihr aber tatsächlich mit euren Händen Gemälde von der Wand, öffnet Schubladen und Schranktüren. Dabei werdet ihr mit einem Detailgrad konfrontiert, der nicht mehr normal ist. Ihr könnt Computer hochheben, umdrehen und die Anschlüsse betrachten. Ihr greift mit euren Händen nach Videokassetten oder Disketten und haltet euch diese vors Gesicht, um die Etiketten zu lesen.

Ich ging in die Knie, um einen leblosen Zombie aus nächster Nähe zu betrachten. Ich habe seinen Kopf mit beiden Händen gepackt, um einen tiefen Blick in seinen Rachen zu werfen. Es ist völlig irre. Immer wieder habe ich innegehalten, um Telefonhörer, Flaschen oder Streichholzschachteln zu inspizieren. Selbst unwichtige Gegenstände gewinnen eine völlig neue Bedeutung, wenn sie mit der Realität des Spielers verschmelzen.

Intuitive Steuerung

Half-Life: Alyx ist mit Rift-, Vive- sowie WMR-Headsets kompatibel und bietet unterschiedliche Steuerungsmöglichkeiten. Es kann auch sitzend gespielt werden, wobei raumfüllendes VR-Gaming im Stehen die deutlich bessere Option darstellt. So könnt ihr euch völlig natürlich hinter Kisten oder Fässer ducken, vorsichtig um die Ecke linsen und um die eigene Achse drehen. Je größer der Spielbereich ist, desto realistischer und grenzenloser das Spielgefühl.

Anfangs fand ich es cool, dass man in Richtung Rücken greifen muss, um Pistolenmagazine aus dem Rucksack zu holen. Anschließend wird das Magazin in die Waffe gesteckt und dann muss die Waffe noch per Knopfdruck entsichert werden. Das ist sehr realistisch, aber in hektischen Situationen auch ziemlich nervig.

Untersuchung (Half-Life: Alyx)

Dasselbe trifft auf die Fortbewegung der Spielfigur zu. Alyx lässt sich per Analogstick frei bewegen, doch wie in fast allen VR-Titeln sorgt das für extremes Unwohlsein. Magenfreundlicher ist die genretypische Teleport-Steuerung, die es euch erlaubt von einem Fleck zum anderen zu »beamen«. Zielt man im Eifer des Gefechts daneben, kann man schon mal mit der Nase direkt an einer Wand landen. Glücklicherweise gibt es nicht zu viele Stresssituationen, außerdem lässt sich die Steuerung sehr umfassend konfigurieren und den eigenen Vorlieben anpassen.

Fazit: Half-Life: Alyx ist ein absoluter Meilenstein der Videospielgeschichte und deklassiert in puncto Immersion alles Dagewesene. Dieses Spiel ist mein Half-Life 3. Von mir aus können sie Gordon Freeman gerne einsargen, solange ich Half-Life weiterhin in VR zocken darf.

Half-Life: Alyx ist ein absoluter Meilenstein der Videospielgeschichte und deklassiert in puncto Immersion alles Dagewesene.

Valve versteht wie kaum ein anderes Unternehmen, wie diese Technologie funktioniert und welche Chancen sich daraus für interaktive Unterhaltungsmedien ergeben. Ich kann nicht einmal erahnen, was Valve für die nächste VR-Generation in petto hat, aber ich freue mich tierisch darauf.

Half-Life: Alyx ist am 23. März 2020 für Steam VR erschienen und unterstützt Valve Index, HTC Vive, Oculus sowie Windows MR.