Artwork; Heimlock (Wolcen: Lords of Mayhem)

Dieses Bild, wenn ein riesiges Monster durch den Schlag unseres ätherischen Hammers in einen glibberigen Brei zerspratzt. Eklig, brutal, und gerade deshalb irgendwie grotesk-faszinierend. Wolcen: Lords of Mayhem beherrscht die destruktiven Künste!

Das Action-Rollenspiel des kleinen Indie Studios mit dem gleichen Namen holt selbstbewusst dermaßen weit aus, dass auch etablierte Genre-Götter wie Diablo oder Path of Exile erst mal blinzeln müssen.

Wir verkloppen Monster, sammeln wertvolle Beute und verkaufen den Schrott, entleiben mehr Monster, leveln unseren Helden vom einfachen Schwertschwinger zum Gott der Klingen, stolpern über Bugs und spielen mit unseren Freunden im Koop, wenn Wolcen uns lässt.

Ihr merkt es, in diese vermeintliche Lobeshymne haben sich ein paar schiefe Töne eingeschlichen. Wenn Wolcen rund läuft, ist es ein Heidenspaß, der durch CryEngine-Grafik auch noch richtig geil aussieht. Wenn nicht, kommt logischerweise Frust auf. Im Test klären wir, ob Genre-Fans dennoch an der richtigen Adresse sind oder lieber noch warten sollten.

Eklige Dungeons (Wolcen: Lords of Mayhem)

Story eher Nebensache

Als Erstes spielen wir die rund 30-stündige Story-Kampagne von Wolcen durch, die in drei Akte alias Kapitel unterteilt ist. Es geht um die Kinder von Heimlock, eines mächtigen Kriegers, und deren Verwicklungen in eine Geschichte rund um Götterkräfte und Dämoneninvasionen. Die Erzählung erreicht zwar nicht das Niveau von Goethe-Dichtung, aber auch nicht das eines Uwe-Boll-Films. Heißt: Die Story von Wolcen passt schon. Die Charaktere sind einigermaßen gut englisch vertont und die Zwischensequenzen sehenswert.

Der ein oder andere narrative Dreh kann durchaus für Überraschung sorgen. Die Story ist gute Durchschnittsware, wie bei so vielen Loot-zentrierten Spielen, und endet, ähnlich wie dieser Absatz, zu plötzlich und unvermittelt. Als ob eigentlich noch etwas hätte kommen …

Der Weg der vielen Pfade

Wir entscheiden uns zu Beginn für eine grobe Richtung: Nahkampf-Schläger, Fernkämpfer oder Magier. Nun entwickeln wir unseren Charakter, was über Levelaufstiege sowie bessere Waffen und Ausrüstung geschieht. Dabei sind wir aber keineswegs für den Rest des Durchlaufs an den vorher gewählten Pfad gebunden, sondern können uns per beweglichem Skillbaum auch in eine ganz andere Richtung entwickeln. Oder wir erstellen einen Hybridcharakter, der zum Beispiel sowohl Magie als auch Pistolenschießen beherrscht.

Mini Bosse (Wolcen: Lords of Mayhem)

Später erlernen wir ultimative Fähigkeiten, mit denen wir uns zeitlich begrenzt in riesige Götterwesen verwandeln. Dann zerlegen wir Mobs mit dem Schlag unserer Wimpern und können auch den fiesen Kapitel-Bossen Paroli bieten.

Das Herausarbeiten unserer Charakter-Builds ist in Action-Rollenspielen Pflichtprogramm und hat bereits einen großen Teil der Faszination von Path of Exile ausgemacht. Bei Wolcen fallen die Möglichkeiten und damit die Komplexität deutlich übersichtlicher aus.

Das tut dem Spiel aber keinen Abbruch, denn wer will, kann trotzdem ewig an Optimierungen und neuen Pfaden herumexperimentieren. Wer darauf aber keine Lust hat, kommt auch mit weniger Schweißvergießen ans Ziel. Damit ist Wolcen für Einsteiger und Veteranen geeignet, auch dank zweier Schwierigkeitsgrade für die Story. Aber keine Sorge, zu einfach wird es nicht: Auch Genre-Kenner werden solo gegen einen der Kapitel-Bosse durchaus ins Schwitzen kommen.

Charaktere (Wolcen: Lords of Mayhem)

Auf Wunsch auch zu viert

Zum Glück können wir uns auch im Koop-Multiplayer zu viert durch die Kampagne prügeln. Dann macht jeder von seinen besten Fähigkeiten Gebrauch, wir kreisen Feinde ein und helfen zu Boden gegangenen Mitstreitern wieder auf. Wie gesagt, wenn Wolcen uns lässt – dazu später mehr.

Haben wir die Story hinter uns gelassen, geht für Genre-Veteranen das eigentliche Spiel erst los: Endgame. Hier ziehen wir eine Stadt mit verschiedenen Gebäuden hoch, die uns wiederum Vorteile einbringen. Um das zu bewerkstelligen, prügeln wir uns in zufälligen Dungeons mit Scharen von Monstern. Auf Wunsch auch mit Mutatoren, die die Schwierigkeit, aber auch den Beute-Ertrag erhöhen.

Gameplay vom Feinsten

In puncto Gamedesign spielt Wolcen tatsächlich in der oberen Liga mit. Es macht einfach Spaß. Das Aufleveln fühlt sich belohnend an. Man spürt jeden Skillpunkt, jede bessere Waffe, jeden Zauberspruch, jedes Gearpiece. Das unterstützt die spaßige Mühe-Belohnungs-Spirale und kann über weite Strecken vom reinen Spielspaß mit den ganz großen Namen des Genres Schritt halten.

Treffereffekte (Wolcen: Lords of Mayhem)

Die Grafik? Wolcen sieht fantastisch aus. Wer hätte gedacht, dass die CryEngine auch von schräg oben so hübsch ist. Wolcen zaubert verschiedenste Lichtstimmungen, variantenreiche Farbtöne, kraftvolle Kampfeffekte, leuchtende Zauber, spritzendes Monsterblut. Die Landschaften der zwar linear gehaltenen, dafür aber großen Level sind liebevoll detailreich gestaltet. Lediglich an der optischen Abwechslung mangelt es manchen Welten und Dungeons, aber das kann man einem kleinen Studio verzeihen, wenn man den Gesamtumfang von Wolcen in Betracht zieht.

Das Kampfsystem gehört mit zum besten, was ich im Hack&Slay-Genre erlebt habe.

Auch Sounddesign und Musikuntermalung können mich begeistern. Jeder Schlag klingt einzigartig, die Musik schmettert epische Schlachthymnen und das Gemetzel klingt … nun ja, wie Gemetzel eben klingen.

Das Kampfsystem gehört mit zum besten, was ich im Hack&Slay-Genre erlebt habe, kein Scherz. Selbst die PC-Version von Diablo 3 kann sich vom befriedigenden Trefferfeedback und der dynamischen Dodge&Roll-Mechanik noch etwas abgucken. In Wolcen: Lords of Mayhem entsteht ein schöner Spielfluss und wir würden das Spiel jedem, der nur halbwegs an Action-Rollenspielen interessiert ist, allerwärmstens ans Herz legen.

Beute (Wolcen: Lords of Mayhem)

Wenn das Wörtchen »aber« nicht wäre

Wolcen: Lords of Mayhem kämpft noch mit einigen sehr unschönen Kinderkrankheiten. In den ersten Tagen seit Release waren die Server häufig nicht zu erreichen. Online-Spielen war damit nicht immer möglich. Das ist besonders nervig, da Offline-Charaktere nicht zu Online übertragbar sind. Sicher ist die Downtime darauf zurückzuführen, dass die Entwickler vom Erfolg überwältigt wurden.

Zu Höchstzeiten über 120.000 gleichzeitig aktive Spieler sind schon eine Hausnummer für ein Indie-Spiel, das im Early Access keine 2.000 zusammen an den Bildschirm holte. Ein absoluter Überraschungserfolg also, für den einfach keine Serverkapazitäten bereitstanden. Inzwischen wurde nachgebessert, wir konnten rund eine Woche nach Release meist im Online-Modus spielen.

Held (Wolcen: Lords of Mayhem)

Auf einem anderen Blatt stehen die Bugs, die besonders die neueren und daher noch nicht ausgiebig rundgeschliffenen zweiten und dritten Akte begleiten. Mal glitcht die Figur durch die Welt, mal verschwinden Inventargegenstände, mal kann man Gegner nicht anvisieren. Das reißt immer wieder kurz aus dem Spielfluss und geht irgendwann auf die Nerven.

Viele dieser Bugs sind bloß störend, einige wenige aber sogar – Verzeihung – spielzerstörend. Vergisst Wolcen etwa den Spielfortschritt im Offline-Modus, gehen mal eben zwei Spielstunden flöten. Und das ist dann gar nicht mehr komisch, ähnlich wie meine Wortwitze.

Dennoch kann man Wolcen zumindest von Anfang bis Ende durchspielen. Wie vielen Fehlern man dabei begegnet, ist offenbar ein Stück weit Glückssache.

Skilltree (Wolcen: Lords of Mayhem)

Wie leidgeprüft bist du?

Ich will Fans von ARPGs hier keinesfalls die Lust auf Wolcen vermiesen. Wer das Gameplay gesehen hat und so geil findet, wie ich es hier beschrieben habe, macht sicherlich mit dem Kauf keinen Fehler. Aber vielleicht wartet man dann mit dem Durchspielen nach dem ersten Akt noch ein paar Monate, in der guten Hoffnung, dass die Entwickler von Wolcen Studio ihr Werk bis dahin glattgebügelt haben.

Es sei denn, man kennt Early-Access-Spiele und ist entsprechend leidgeprüft. Wer bereit ist, den Entwicklern Fehler im Livebetrieb zu verzeihen, kann sich auch jetzt schon auf Wolcen stürzen. Dann nimmt man aber auch etwaige Probleme in Kauf. Wer aber ein richtig rundes Spielerlebnis braucht, sollte mit dem Kauf noch etwas warten.

Riesige Patches im Wochentakt und regelmäßige Kommunikation geben bereits Hoffnung, dass sich Wolcen Studio mit dem Erfolg ihres Spiels nicht einfach aus dem Staub machen, sondern die Vision von einem Klasse-ARPG nun wirklich sauber abliefern will. Den Fans wäre es zu wünschen, und mir auch, weil ich nach dem Test noch immer mächtig Bock habe. Trotz der nervigen Fehler – weil die Qualitäten mich überzeugt haben.

Blut (Wolcen: Lords of Mayhem)

Fazit: Wolcen, deine Fehler machen dich für mich erst richtig attraktiv. Denn sie erinnern mich daran, dass hinter dir ein Team aus gerade mal 13 französischen Entwicklern steckt, das in Nizza in einem Büro sitzt, das an eine WG erinnert.

Der Riesenerfolg zum Release ist die verdiente Quittung für die harte Arbeit, die man dem Spiel heute anmerkt.

Dass ein Spiel von diesen Ausmaßen, in dieser Qualität und dazu noch in einem halbwegs ordentlichen technischen Zustand erscheint, ist schon eine Leistung. Der Riesenerfolg zum Release ist die verdiente Quittung für die harte Arbeit, die man dem Spiel heute anmerkt.

Jetzt ist es hoffentlich Ehrensache, dass Wolcen Studio das Projekt zu genau dem Ende führt, das es samt seiner leidenschaftlichen Community verdient hat. Ich bin da persönlich zuversichtlich und hoffe sehr, dass mich mein Bauchgefühl nicht am Ende doch in den Hintern beißt.

Wolcen: Lords of Mayhem ist nach knapp vier Jahren im Early Access am 13. Februar 2020 als Version 1.0 auf Steam erschienen.