Rezo

Ein YouTuber agiert aus Sicht der Großen und Mächtigen in einer eigenen Sphäre. Kinder schauen einem Gronkh beim Minecraft-Spielen zu, Bibi gibt Heranwachsenden Mädchen Beauty-Tipps und verkauft nebenbei für Werbepartner Kosmetikprodukte. Eine Sphäre der Jugend, Kinderkram, Internet-Kokolores.

Diese Wahrnehmung, wie sie so zumindest in Kreisen von Politikern vorherrschte, änderte sich schlagartig, als YouTuber Rezo seine Reichweite von Millionen von Zuschauern nutzte, um kurz vor der Europawahl eine politische Botschaft mit Sprengkraft in den Äther zu schicken. Hinter dem reißerischen Videotitel »Die Zerstörung der CDU« erwartete den Zuschauer eine überraschend sachliche und fundiert argumentierte Abrechnung mit der aus Rezos Sicht gescheiterten Umweltpolitik der großen Christdemokraten-Partei.

Binnen kürzester Zeit schlug das Video hohe Wellen, wurde von Pressehäusern mit einer ebenfalls großen Reichweite aufgegriffen und erreichte Stand heute rund 16 Millionen Aufrufe. Eine Bombe in Videoformat, besonders verheerend vor einer wichtigen Wahl, die viele junge Erstwähler an die Urnen locken konnte.

In der Union spürte man offenbar die Notwendigkeit, eine Antwort zu geben. Der junge CDU-Politiker Philipp Amthor sollte es richten und hatte Berichten zufolge schon ein Antwort-Video abgedreht. Im letzten Moment stoppte die Parteizentrale den Video-Clash und veröffentlichte stattdessen gewohnt bieder eine schriftliche Stellungnahme, die Rezos Argumente entkräften und die Bemühungen der CDU für eine sinnige Umweltpolitik hervorheben sollte. Mal unabhängig vom Inhalt: Allein die Machart als trockene Antwort im PDF-Format sorgte in sozialen Medien für eher durchwachsene Resonanz, glimpflich ausgedrückt.

Das Ende vom Lied: Die CDU erhielt bei der Europawahl 2019 zwar die meisten Stimmen, allerdings mit einem Verlust von mehr als 6 Prozent. Viele Stammwähler dürften zur erstarkten AFD abgewandert sein. Die Grünen gingen als große Gewinner hervor, mit rund 20 Prozent zweitstärkste Kraft in Deutschland. Wie sich Rezos Millionen-Video bei der Europawahl in harten Zahlen niedergeschlagen hat, lässt sich schwer nachprüfen. Aber der YouTuber hat eine Debatte ins Rollen gebracht und mit seinem sympathischen Stil sicherlich der Politikverdrossenheit unter jungen Menschen entgegengewirkt. Und der einmalige Gastauftritt auf der politischen Bühne reicht dem 27-Jährigen offensichtlich nicht.

Rezo schreibt nämlich seit kurzem in der Serie »Rezo stört« als Kolumnist für Zeit Online und begibt sich damit auf eine völlig andere Ebene, heraus aus dem geschlossenen Ökosystem der Digital-Native-Community und hinein in eine etabliertere, ja elitäre Form der Meinungsmaschinerie. Glückwunsch an die altehrwürdige Zeit, die ihr Online-Angebot mit dem Anwerben des YouTube-Stars schlagartig um 30 Jahre verjüngen konnte, ohne gleichzeitig das Niveau zu senken, wohlgemerkt. Denn Rezo gibt seine Sicht der Dinge bei heiß diskutierten Themen der Gegenwart sprachlich versiert und pointiert wieder. Mal geht es um den Konflikt zwischen den USA und Iran, mal um den reichlich seltsamen Skandal um ein satirisches Kinderlied. Immer greift Rezo gewitzt aktuelle Debatten auf, argumentiert schlau und reichert seine Ausführungen mit einer Portion Humor an. Dabei heraus kommen stets unterhaltsame Texte, die (nicht nur) junge Menschen zum Nachdenken anregen können.

Direkt in seinem ersten Text für Zeit Online hat er sich eines Themas angenommen, das besonders uns Computerspieler angeht.

In seiner ersten Kolumne auf Zeit Online hatte er seine Lieblingsfeinde anvisiert, die Unionsparteien. Rezo spricht Innenminister Horst Seehofer und CDU/CSU direkt an, und um das noch einmal hervorzuheben: nicht auf einem YouTube-Kanal – dem Medium der Kids und Hipster – sondern in der Zeit, dem Medium für Akademiker und solche, die es werden wollen oder gerne wären. Direkt in seinem ersten Text für Zeit Online hat er sich eines Themas angenommen, das besonders uns Computerspieler angeht.

Rezo argumentiert in seiner ersten Kolumne für eine ernsthaftere Auseinandersetzung in der allseits bekannten Killerspieldebatte, die nach dem rechtsextremistischen Amoklauf in Halle im Oktober 2019 durch eine Aussage des Innenministers Horst Seehofer in Richtung Computerspieler gelenkt wurde. Von dort gehe laut Seehofer Gefahr aus, dort brauche es mehr Überwachung – so der Kern der Aussage. Kontext: Der Amokläufer war Computerspieler und hat sich mutmaßlich in rechtsextremen Internetforen radikalisiert.

Seehofer habe laut Rezo mit seiner Bemerkung, man müsse »die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen«, die Gruppe so groß gefasst, dass immer ein Richtiger mit drin sein müsse. Seehofer habe aber »nicht recht, auch kein bisschen, auch nicht aus Versehen«.

Vielmehr sei es wahrscheinlicher, dass »ein 27-jähriger Naziterrorist Videospiele spielt, als dass er es nicht tut«. Rezo wirft Seehofer vor, mit seinen Aussagen Populismus betrieben und die eigentliche Diskussion, die laut Rezo durchaus »geführt werden muss«, in eine falsche Richtung gelenkt zu haben.

Rezos Kritik erfasst auch die öffentliche Erwartungshaltung gegenüber Politikern, vermeintlich für alle Probleme Lösungen bieten zu können: Politiker sollten lieber klar sagen, wenn sie bei einem Thema keine Ahnung hätten, sich erst noch informieren müssten. Im Gegenzug fordert er aber, dass wir Bürger den Politikern auch zugestehen sollten, dass sie eben nicht alle Antworten sofort und passend parat hätten.

Ferner geht Rezo auf die Vermutung Seehofers ein, dass realistische Simulationen als Hilfsmittel zur Anschlagsplanung dienen könnten. Hier wittert Rezo Scheinheiligkeit, sogar Heuchelei: Schließlich durfte die Bundeswehr deutschlandweite Werbekampagnen auffahren, in denen sie mit Gaming-Begriffen nach jungem Nachwuchs fischte. Auch die kritisierte Präsenz der Bundeswehr auf der gamescom wird von Rezos Rundumschlag erfasst.

Hier finde eine Vermengung von Realität, Krieg und Simulation statt – vonseiten der Bundeswehr. Dies sei etwas, das durchaus in diesem Zuge von Seehofer hätte kritisiert werden können, meint Rezo. Damit zielt der YouTuber darauf ab, dem Innenminister die Glaubwürdigkeit bei diesen Themen abzusprechen.

Rezo hebt hervor, dass Shooter-Simulationen mit realistischen Szenarien vergleichsweise kleine Spielerzahlen hätten, während eher unrealistische Shooter wie Overwatch die großen Massen ansprächen.

Die meisten Gamer würden schließlich nicht nach Feierabend den harten Einsatz eines Bundeswehrsoldaten möglichst realistisch nachempfinden – sondern eher Spaß haben wollen.

Recht hat Rezo, wenn er mit den realistischen Spielen Hardcore-Militärsimulationen wie Arma oder Squad meint – hier liegen Zahlen gleichzeitig aktiver Spieler im einstelligen Tausenderbereich, also sehr überschaubar.

Nimmt man allerdings AAA-Blockbuster wie Call of Duty: Modern Warfare, die zwar auch den Spaß in den Vordergrund stellen, aber sich bei Setting und Gameplay an der Realität von Kriegsszenarien orientieren, kann man von Millionen aktiven Spielern ausgehen. Der Vergleich des YouTubers haut also nicht ganz hin. Dennoch bleibt die Botschaft im Kern bestehen, dass Politiker sich besser informieren und nicht pauschal »die Gamer-Szene« kriminalisieren sollten, die in Deutschland – weit gefasst – aus 40 Millionen Menschen besteht.

Je öfter Rezo den oft verkalkten Politbetrieb mit seinen pointierten Kommentaren stört, desto weniger stört mich das persönlich.

Wenngleich Rezo seine Argumentation stellenweise polemisch so stark überspitzt, dass sie fast ins Absurde abdriftet (»Seehofer ist kein drolliges Kleinkind«), trifft er doch den Kern der Sache klar und deutlich. Das zeigt nicht nur das Talent und die offenkundige Vielseitigkeit des erfolgreichen YouTubers, sondern auch dessen ernsthaftes Bestreben, gesellschaftliche Debatten (an-) zu führen. Und wenn das dabei hilft, auch der jüngeren Generation eine Auseinandersetzung mit den Themen Politik und Gesellschaft näherzubringen, ist das in meinen Augen eine gute Sache. Oder, um es anders auszudrücken: Je öfter Rezo den oft verkalkten Politbetrieb mit seinen pointierten Kommentaren stört, desto weniger stört mich das persönlich.

Quellen: www.welt.de und www.zeit.de