Artwork; Ork (Warcraft III: Reforged)

Hätte jemand die vergangenen 15 Jahre verschlafen und würde jetzt einen Blick auf die Schlagzeilen zum Thema Blizzard der vergangenen Wochen und Monate werfen, derjenige müsste wohl glauben, in einer alternativen, dystopischen Realität aufgewacht zu sein. Denn Blizzard – einstmals eines der beliebtesten und gefeiertsten Entwicklerstudios der Gaming-Branche – segelt momentan von einem Shitstorm in den nächsten und mit Warcraft III: Reforged hat sich der Eisberg in einen ausbrechenden Vulkan verwandelt.

Wer wissen will, was derzeit bei Blizzard schief läuft, braucht nur einen Blick auf die Metacritic-Wertungen von Reforged zu werfen: Die durchschnittliche Nutzerwertung von 0,5 Punkten stellt mit Abstand die schlechteste Wertung auf der Plattform dar. 21.058 Spieler haben Reforged zum Zeitpunkt dieses Artikels (3. Februar 2020, 10:45) bewertet, davon haben 20.090 eine negative Bewertung abgegeben.

Warcraft III: Reforged kassierte auf Metacritic die schlechteste durchschnittliche Nutzerwertung aller Zeiten.

Aber repräsentiert diese geballte Empörung, die sich derzeit im Internet und vor allem auf Metacritic über Blizzard ergießt, weil die Entwickler »das schlechteste Spiel aller Zeiten« abgeliefert haben, wirklich den tatsächlichen Zustand des Spiels? Oder entlädt sich hier das extreme Ergebnis der Frustration einer kleinen Gruppe von Fans, die sich jahrelang eine genaue Vorstellung davon ausgemalt haben wie ihr nostalgisch verklärtes RTS-Baby auszusehen hat?

Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, habe ich mich entschlossen, mir etwas mehr Zeit mit Warcraft III: Reforged zu nehmen und keinen normalen Test zu dem Blizzard-Titel zu schreiben. Stattdessen lest ihr eine Analyse dessen, was sein sollte und was ist, was Blizzard versprochen hat, was die Fans vermissen, und was das Spiel tatsächlich liefert.

Zwerg (Warcraft III: Reforged)

Die Versprechungen

Als Blizzard auf der BlizzCon 2018 eine spielbare Demo von Warcraft III: Reforged präsentierte, reagierten die Fans – mich eingeschlossen – begeistert. Die überarbeiteten Zwischensequenzen sahen fantastisch aus, das neue Nutzerinterface machte einen modernen Eindruck und die Optik des Spiels schien der Faszination des Originals angemessen Rechnung zu tragen.

Dazu versprach Blizzard eine ganze Reihe von Features, die Warcraft III in würdigem Gewand wieder auferstehen lassen sollten:

  • neue, verbesserte Zwischensequenzen
  • neue Stories für Figuren, die später in World of Warcraft die Geschichte beeinflussen
  • ein rundum überarbeitetes und modernisiertes Nutzerinterface mit frei stehenden Charakterporträts und neuen Icons
  • diverse neue Charakter- und Einheiten-Modelle

Die Realität

Doch irgendwie kam doch alles anders – und Blizzard musste auf die harte Tour lernen, dass es sich in der Gaming-Branche prinzipiell als besonders schlechte Idee erweist, Dinge zu versprechen und dann nicht zu liefern. Denn die Kritikpunkte der Fans betreffs diverser fehlender Features, die Blizzard teilweise immer noch auf der Verkaufswebseite des Spiels anpreist, lassen sich nicht abstreiten:

  • Die Zwischensequenzen fehlen durch die Bank, inklusive derjenigen, die der Kampagnenmission der Menschen in Stratholme vorausgeht.
  • Das Interface sieht fast genauso aus wie die UI des Originals, von den Verbesserungen der Demo keine Spur.
  • Multiplayer-Features des Originals fehlen zum Release, darunter Leaderboards, Clanfeatures, Turniere und Custom-Kampagnen.
  • Blizzard hat die Online-Version des Original-Spiels abgeschaltet.
  • Zahlreiche Bugs und Performance-Probleme trüben das Spielerlebnis, die bereits in der Beta vorhanden waren und die Blizzard zum Release offenbar nicht ausgebessert hat.
Artwork; Nachtelf (Warcraft III: Reforged)

Die größte Enttäuschung seit es Blizzard gibt?

Warcraft III: Reforged hat es trotz all dieser Mängel und nicht eingelöster Versprechen meiner Meinung nach aber trotzdem verdient, dass wir es als eigenständige Spielerfahrung bewerten. Funktioniert Reforged also als Neuauflage des RTS-Klassikers? Lohnt der Kauf? Nachdem ich diverse Stunden mit der Kampagne des Spiels zugebracht habe, muss ich beide Fragen leider verneinen – so gern ich auch etwas anderes geantwortet hätte.

Die Gründe dafür, dass auch ich mich letztendlich den zahlreichen negativen Kritiken anschließen muss, fallen vielfältig aus. Beginnen wir mit der technischen Seite: Ich habe diverse Bugs und Performance-Probleme beim Spielen festgestellt. Die Münder der Figuren in den Porträts bewegten sich beim Sprechen nicht, Grashalme sprossen durch Clipping-Fehler aus Baumstümpfen empor und der Ladebildschirm der Kampagnenmissionen hatte selbst eine Ladehemmung und überschnitt sich mit dem Menübildschirm des Spiels. Diverse kleinere Ruckler und Framerate-Einbrüche trübten selbst auf niedrigen Grafikeinstellungen das Gameplay-Erlebnis.

Der größte Stein des Anstoßes besteht bei Warcraft III: Reforged für mich aber im Grafikstil allgemein. Ein reddit-Nutzer schrieb dazu, das Spiel sehe aus wie ein generisches Fantasy-Mobile-Spiel – und diese Beschreibung trifft es auf den Punkt. Die Orcs in den Zwischensequenzen sehen nicht so aus, wie ich es aus aktuellen WoW-Trailern gewohnt bin, sondern wirken irgendwie altbacken. Gleichzeitig sieht Arthas in seinem Porträt-Bild aus wie eine Frau, während den übrigen Figuren die Einzigartigkeit beim Charakterdesign abhandengekommen zu sein scheint, die sie im Original noch auszeichnete.

Blizzard-Spiele haben zwar nie mit der objektiv besten Grafik aufgetrumpft, aber sie wirkten optisch immer wie aus einem Guss. Der Look wirkte stimmig und einzigartig, aber genau das vermisse ich bei Reforged. Irgendwie hat Blizzard es geschafft, aus der 2018er Demo des RTS, die wie eine ehrwürdige Verbeugung gegenüber dem Originalspiel wirkte, einen billigen Abklatsch zu erschaffen, der wie ein Low-Budget-China-Klon aussieht.

Das sorgt dafür, dass ich mich ernsthaft fragen muss, warum ich Reforged überhaupt spielen soll. Eigentlich hatte ich mir eine herausragende, aber originalgetreue Überarbeitung von Warcraft III erhofft – und die 2018er Demo deutete daraufhin, dass Blizzard auf jeden Fall abliefern würde. Aber die derzeitige Version von Reforged inklusive aller gestrichenen Features bietet einfach keinerlei Mehrwert gegenüber dem Original. Punkt.

Fazit: Ein kluger Mensch hat mal gesagt: Ein Verriss schreibt sich viel einfacher als eine Lobeshymne. Das trifft auch auf Warcraft III: Reforged zu. Ich wollte es mir aber nicht einfach machen und mich in den Tenor der Kritikerstimmen einreihen, die WC3: Reforged in Grund und Boden schimpfen. Ich wollte dem Spiel eine Chance geben, ich wollte an die Essenz des alten Blizzards glauben, an die Macht des altehrwürdigen Entwicklerstudios, das ich über die Jahre lieben gelernt habe. Aber Reforged hat mir genau das tatsächlich sehr, sehr schwer, streng genommen unmöglich gemacht.

Eine Enttäuschung, die mich glauben lässt, dass Blizzard vielleicht doch besser kein Warcraft 4 entwickeln sollte.

Ich wollte die Neuauflage meines Lieblingsstrategiespiels überhaupt gut finden, ich wollte ihr etwas Positives abgewinnen, ihr entgegen aller Unkenrufe eine Chance geben – auch um der alten Zeiten willen. Aber ich kann es nicht, und das schmerzt mich noch mehr als die Enttäuschung über die schiere Mittelmäßigkeit von Reforged. Denn während die Reaktion der Fans, das Spiel mit der schlechtesten Metacritic-Wertung überhaupt abzustrafen, vielleicht etwas übertrieben erscheinen mag, lässt sich nicht leugnen, dass Warcraft 3: Reforged die erste große Enttäuschung des Spielejahres 2020 darstellt – eine Enttäuschung, die mich glauben lässt, dass Blizzard vielleicht doch besser kein Warcraft 4 entwickeln sollte. Zumindest solange nicht, bis es wieder heißt: It’s done when it’s done.

Warcraft III: Reforged ist seit dem 28. Januar 2020 für PC erhältlich.