Artwork; Sam liegt und hählt Baby im Arm (Death Stranding)

Seit ich denken kann, kämpfen Videospiele um mehr Anerkennung. »Games sind eine Kunstform, genau wie Filme und Musik!«, versucht man der breiten Masse seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig einzutrichtern. Wer hat die Deutungshoheit? Wer bestimmt, ob etwas als Kunst gilt oder nicht? Eine komplette Branche fordert mehr Toleranz und Anerkennung, doch irgendwie kommt sie dabei nicht vorwärts.

Videospielredaktionen gehören zur Speerspitze dieser Bewegung und werden nicht müde zu erwähnen, dass Games eine Kunstform sind, die man nicht ausgrenzen darf. Dabei sind die meisten Games-Redakteure ein großer Teil des Problems. Sobald ein Titel spielerisch mau, aber künstlerisch wertvoll ist, werden die Konsumenten dazu aufgefordert, das Ganze weniger als Spiel, sondern eher als Kunstwerk zu betrachten. Gute Beispiele der jüngeren Vergangenheit: das spanische Indie-Adventure Gris und natürlich Hideo Kojimas Death Stranding.

In Gris steuert man ein Mädel, das leuchtende Sterne einsammeln und den alten Glanz ihrer Welt wiederherstellen muss. Es ist optisch sehr außergewöhnlich und wirkt stellenweise wie ein handgemaltes Aquarell, dem Leben eingehaucht wurde. Die Spielmechanik ist allerdings superflach und genau das wurde in vielen Tests unter den Teppich gekehrt. Die Tester wollten Gris nicht wie ein Spiel bewerten, weil sie es für Kunst halten. Dieselben Redakteure, die uns ständig eintrichtern, dass Videospiele eine Kunstform sind, trennen immer wieder die Begriffe »Spiel« und »Kunst«.

Digitale Selbstkasteiung

Bei Hideo Kojimas Death Stranding ist das Ganze sogar noch ausgeprägter. Hier geben viele Tester zwar zu, dass es spielerisch zermürbend, repetitiv und träge ist, aber sie finden es trotzdem super, weil sie den künstlerischen Anspruch respektieren. Einige Redakteure beschweren sich sogar darüber, dass die ersten zehn bis zwanzig Stunden einfach nur anstrengend und langweilig sind, vergeben aber dennoch Top-Wertungen, weil Kunst eben Kunst und Hideo Kojima ein Gott ist. Es tut mir leid, dass ich es so drastisch ausdrücken muss, aber diesen Leuten würde ich gerne mit dem nackten Arsch ins Gesicht springen.

Ich halte Death Stranding definitiv für Kunst, denn für mich sind Videospiele ganz klar eine Kunstform. Ganz egal, um welches Spiel es sich auch handelt. Deshalb ist es völliger Schwachsinn, bestimmte Games auszugrenzen und nach anderen Maßstäben zu bewerten. Kein Filmkritiker würde sagen: »Apocalypse Now darf man nicht wie einen klassischen Film bewerten, schließlich handelt es sich um ein Kunstwerk.« Spielekritiker treffen aber ständig solche widersprüchlichen Aussagen. Wahrscheinlich befürchten sie, als geistig minderbemittelte Killerspieler wahrgenommen zu werden, wenn sie Death Stranding eine miese Wertung verpassen. Der zeitexklusive PS4-Titel gehört immerhin zum erlesenen Kreis der Spiele, die es bis in die deutschen Feuilletons geschafft haben. Ob es Redakteure gibt, die langweilige Spiele feiern, nur um sich der geistigen Elite zugehörig zu fühlen? Ich glaube schon.

Landschaft (Death Stranding)

Ich finde Death Stranding wirklich grauenvoll und würde es als geistige Folter bezeichnen. Zu Beginn war ich guter Dinge, denn der Einstieg ist bombastisch, die Stimmung einzigartig und die Technik beeindruckend. Ich war geradezu schockiert über die geniale Optik, schließlich handelt es sich bei der PlayStation 4 um eine sechs Jahre alte Konsole. Die Sound-Qualität ist ebenfalls über jeden Zweifel erhaben und viele der Surround-Effekte scheinen geradezu »greifbar«. Wenn ich an einer Bedrohung vorbeischleiche, hört es sich wirklich so an, als befände sie sich mit mir im Raum. Die erstklassige Klangkulisse hat mich fast noch mehr überwältigt, als die stimmungsvolle Optik.

Gleichzeitig keimte in mir die Hoffnung, dass es sich einfach nur um ein sehr umfangreiches Tutorial handelt.

Nach etwa drei Stunden Spielzeit fühlte ich zum ersten Mal das Bedürfnis, dieses digitale Unterhaltungsprodukt zu deinstallieren. Ich musste unerträglich lange Zwischensequenzen mit gigantischen Logiklöchern sowie peinlicher Melodramatik auf Daily-Soap-Niveau ertragen und Pakete von A nach B schleppen. Gleichzeitig keimte in mir die Hoffnung, dass es sich einfach nur um ein sehr umfangreiches Tutorial handelt. »Bestimmt geht’s gleich los, schließlich würde so ein Genie wie Hideo Kojima nicht einfach nur einen futuristischen Paketlieferdienst-Simulator entwickeln«, redete ich mir ein. Also kniff ich die Backen zusammen, denn insidegames.de muss seinen Bildungsauftrag erfüllen!

Forever von A nach B

Bis zur letzten Sekunde habe ich gehofft, dass spielerisch mehr hinter Hideo Kojimas Magnum Opus steckt. Es geht aber wirklich nur darum, Dinge von einem Ort zum anderen zu bringen. Wobei sich die Fetch-Quests deutlich anspruchsvoller gestalten, als in anderen Open-World-Titeln. Wenn wir in Far Cry 5 etwas von A nach B transportieren, rennen wir einfach drauf los oder schnappen uns eines von zahlreichen Fahrzeugen. In Death Stranding muss jeder Schritt wohlüberlegt sein, sonst könnte man stürzen und etwas beschädigen. In den ersten Stunden ist man ausschließlich zu Fuß unterwegs und jede Lieferung wird zur Qual, vor allem, wenn die Fracht schwer oder sperrig ist. Entweder bewegt man sich in einem Schneckentempo durch die Botanik oder man gerät sofort aus dem Gleichgewicht und muss mit den Schultertasten gegensteuern. Manchmal fühlt sich das wie eines der weniger unterhaltsamen Mini-Games der Mario Party-Serie an.

Es ist unheimlich nervig, wenn man das Gleichgewicht verliert, einen Hang herunter purzelt und anschließend die einzelnen Pakete mühsam wieder einsammeln muss. Noch schlimmer ist es, wenn man die Fracht während einer Flussdurchquerung verliert und der Krempel davonschwimmt. Im Laufe des Spiels erhält man glücklicherweise Hilfsmittel wie Exoskelette und Fahrzeuge, die das Leben unseres heldenhaften Paketboten erleichtern. Problem: Das Gameplay wird dadurch zwar weniger quälend, aber nicht unterhaltsamer. Zumal das unwirtliche und zerklüftete Terrain auch das Fahren zur Geduldsprobe macht.

Amelie mit blutenden Augen (Death Stranding)

Death Stranding zu spielen, ist wie sich selbst auszupeitschen und darauf zu warten, dass der Schmerz nachlässt.

Ganz ehrlich: Hätte ich nicht diesen Artikel schreiben müssen, wäre die PS4-Disc nach wenigen Stunden in irgendeiner Schublade verschwunden. Für immer. Death Stranding zu spielen, ist wie sich selbst auszupeitschen und darauf zu warten, dass der Schmerz nachlässt. Es wird mit der Zeit nicht besser, sondern nur weniger schlimm. Vielleicht hätte eine kürzere Spieldauer geholfen? Schließlich ist man selbst ohne Nebenmissionen rund 40 Stunden beschäftigt und das ist für einen auf Hochglanz polierten Walking-Simulator ganz schön lang.

Flucht ist keine Schande

Wobei Pakete auszuliefern nicht die einzige Tätigkeit ist. Manchmal muss man auch mit feindlichen Gruppierungen und übersinnlichen Bedrohungen umgehen. Zu Beginn fühlt man sich fast schon dazu verleitet, Gegner auf sich aufmerksam zu machen, damit endlich mal ein wenig Action ins Spiel kommt. Allerdings gestalten sich diese Auseinandersetzungen nicht besonders spannend, vor allem, wenn man nach einigen Konfrontationen genau weiß, welche Maßnahmen funktionieren und welche nicht. Ich möchte nichts spoilern, aber die gestrandeten Toten sind irgendwann nicht mehr furchteinflößend, sondern nur noch spielflussbremsend, weil ich wegen dieser Arschgeigen immer wieder stehen bleiben und den Atem anhalten muss, um nicht entdeckt zu werden.

Wird man entdeckt, folgen echt abgefahrene Auseinandersetzungen, so als würde man sich inmitten einer Ölpest gegen Matschmonster zur Wehr setzen. Die Kämpfe sind aber nur selten herausfordernd, weil die Mechaniken sehr durchschaubar sind – dabei bin ich kein sonderlich begabter Spieler und würde mich sogar als Grobmotoriker bezeichnen. Ohne Probleme habe ich komplette Gegner-Camps plattgemacht und mir deren Rohstoffe unter den Nagel gerissen. Okay, meistens habe ich den Krempel liegengelassen, weil ich keinen Bock hatte, noch mehr Zeug auf meinem Rücken zu balancieren. Deshalb versuchte ich, Auseinandersetzungen zu vermeiden, sooft es nur ging, denn sie verloren äußerst schnell ihren Reiz.

I ♡ Community

Die Welt von Death Stranding ist sehr trist und soll ein postapokalyptisches Amerika abbilden, welches komischerweise genau wie Europas zweitgrößter Inselstaat Island aussieht. Auf den zermürbenden Botengängen stolpert man regelmäßig über praktische Anlagen und Bauwerke, die von anderen Spielern errichtet wurden. Zum Beispiel Leitern und Seilrutschen, die es erlauben große Höhenunterschiede auf einfache Art und Weise zu überwinden. Das Coole ist, dass man auch Rohstoffe in solche fremden Anlagen investieren und diese ausbauen kann. So errichtet die Online-Community gemeinsam nicht nur Straßen, sondern auch große Brücken und so weiter. Lange Wege lassen sich dadurch drastisch abkürzen und auch das macht Death Stranding nicht unbedingt unterhaltsamer, aber definitiv weniger schlimm.

Fazit: Es gibt drei Sorten von Death Stranding-Spielern. Die einen hassen es, die anderen lieben es und ein paar Unschlüssige gibts auch noch. Ich könnte das eintönige Gameplay loben, weil es der aufgeblasenen Story mehr Raum zum Atmen gibt. Ich könnte Kojima-san zu seinem Mut gratulieren, ein Spiel erschaffen zu haben, das sämtliche Konventionen sprengt. Spiele sind schließlich Kunst und nirgends steht geschrieben, dass Kunst unterhalten muss. Kunst kann auch wehtun und aufrütteln. Ich bin aber eher pragmatisch unterwegs und stelle mir einfach nur eine Frage: »Möchte ich diesem Kunstwerk mein Geld und meine Zeit widmen?« Im Fall von Death Stranding muss ich diese Frage leider verneinen.

Death Stranding erschien am 8. November für die PlayStation 4. Eine PC-Version wurde für den kommenden Sommer angekündigt.