Controller mit Hintergrund (Google Stadia)

Ich bin das, was man heutzutage als Technik-Enthusiasten bezeichnet. Im Endeffekt ist das einfach nur ein schmeichelhafter Begriff für Idioten, die den neuesten elektronischen Spielereien hinterherhecheln. Deshalb bin ich ständig pleite und ehrlich gesagt stauben viele meiner Neuanschaffungen sehr bald in Schränken und Schubladen vor sich hin. Auch meine Google Stadia Founder’s Edition dürfte (vorerst) in Vergessenheit geraten. Dabei habe ich mich sehr auf Googles Einstieg ins Cloud-Gaming gefreut. Genau wie viele meiner Kollegen war ich mir sicher: »Google wird der Welt zeigen, wie man ein ordentliches Cloud Gaming-Angebot ohne Kompromisse aus dem Boden stampft!« Schließlich ist Google fast schon ein Synonym für das Internet, verfügt über massig Know-how und tiefe Taschen.

Aktuell fühlt sich Google Stadia eher wie eine kostenpflichtige Beta an und nicht wie ein finales Produkt. So sind viele der angekündigten Features noch gar nicht aktiv. Achievements, Family Sharing und Cloud Play möchte Google in den nächsten Wochen nachreichen. Kabelloses Spielen am TV ist vorerst nur mit Google-Hardware (Chromecast Ultra) möglich. Den mitgelieferten WLAN-Controller muss ich wiederum per USB-Kabel mit dem Handy oder Laptop verbinden, um Stadia nutzen zu können. Was im Vorfeld als Gaming ohne Grenzen propagiert wurde, entpuppt sich als Gaming voller Hürden. Dazu kommt noch, dass die Zahl der verfügbaren Spiele zu wünschen übrig lässt. Ganze 22 Titel stehen Stadia-Nutzern zur Verfügung und wir sprechen hier über Spiele, die schon längst für andere Plattformen erhältlich sind.

Artwork; PC-Version (Red Dead Redemption 2)

Teurer Spaß

Warum sollte ich knapp 60 Euro für eine Streaming-Version von Red Dead Redemption 2 blechen? Weil ich das Spiel dank Stadia auf meinem Tablet, Smartphone oder Notebook immer und überall genießen kann? Das ist in der Tat eine tolle Sache, funktioniert aber nur in den seltensten Fällen. Stadia verursacht bei einem 1080p-Stream etwa 100 Megabyte Traffic pro Minute. Wer unterwegs mit Smartphone daddelt, kommt mit einem 4-GB-Datentarif nicht weit. Eine echte Flatrate ohne Drosselung oder sehr schnelles WLAN sind quasi Pflicht. Für ein Spiel in 1080p mit 60 fps, ist eine stabile Verbindung mit mindestens 20 Mbit/s erforderlich. Ich habe für den Test einen 500Mbit-Anschluss und eine Fritzbox mit 5GHZ-WLAN genutzt. Das sind Idealbedingungen und trotzdem liefen die Games nicht immer fehlerfrei. Das ist natürlich nicht Stadias alleinige Schuld, denn beim Streaming spielen vor allem externe Faktoren eine Rolle.

Wenn ich das mitgelieferte Chromecast Ultra per Ethernet-Kabel verbinde, klappt alles wie am Schnürchen. Destiny 2 lässt sich mit ordentlicher Bildqualität spielen, ohne spürbare Verzögerungen. Okay, die auf dem PC installierte Steam-Version sieht trotzdem deutlich besser aus, aber man darf auch nicht zu viel erwarten. Ohne Ethernet-Kabel, drei Meter von WLAN-Router entfernt, wird man mit Qualitätsschwankungen konfrontiert. Ich habe Stadia auch am Bahnhof und in diversen Cafes mit Free WLAN getestet und da war es quasi unspielbar. Die Streaming-Qualität ist nur so gut, wie es die Verbindung gerade zulässt. Unter optimalen Bedingungen kann das Erlebnis durchaus mit stationärem Konsolen-Gaming mithalten, aber wo herrschen unterwegs schon optimale Bedingungen? Es dürfte noch einige Zeit vergehen, bis Cloud-Gaming in freier Wildbahn uneingeschränkt funktioniert. Man könnte den Kauf von Google Stadia daher auch als Investition in die Zukunft betrachten. Alles Ansichtssache. Wer bereits in einer Zukunftsmetropole mit lückenloser Highspeed-WLAN-Versorgung lebt, wird deutlich positivere Erfahrungen sammeln.

Controller (Google Stadia)

Solider Controller

Uneingeschränkt empfehlen kann ich Stadia aktuell nur Personen, die weder Spielkonsole noch Gaming-PC besitzen. Eingefleischte Core-Gamer sehen nur die Nachteile des Systems, doch ich habe Google Stadia auch ein paar unbedarften Freunden präsentiert und schon wendete sich das Blatt. Unangekündigt zauberte ich den Stadia-Controller plus Chromecast Ultra aus der Tasche. Eine Minute später saßen sie staunend vor ihrer Glotze und vermuteten, dass der Controller eine Spielkonsole enthält, welche das Videosignal kabellos an den Bildschirm überträgt. Von Cloud-Gaming hatten sie nämlich noch nie gehört. Mein Kumpel fand es total abgefahren, grafisch eindrucksvolle Top-Titel wie Red Dead Redemption 2 ohne teure Hardware spielen zu können. Dazu kommt noch, dass Stadia-Games in wenigen Sekunden startklar sind, während die normale PC-Version von RDR2 erst einmal 150 Gigabyte Daten aufs Laufwerk schaufelt.

Aktuell spricht sehr wenig für Google Stadia.

Apropos Hardware: Der Stadia-Controller kann qualitativ durchaus mit Standard-Eingabegeräten für PS4 und Xbox One mithalten. Steuerkreuz, Sticks und Buttons wirken hochwertig und der Controller liegt angenehm in der Hand. Eine große Besonderheit ist die WLAN-Verbindung des Controllers. Normalerweise werden Controller-Eingaben an den PC oder die Spielkonsole gesendet, doch Google Stadia schickt die Informationen ohne Umweg direkt an den Server. Das ist ziemlich smart gelöst, da es Verzögerungen minimiert. Gerne hätte ich Stadia auch mit anderen Funk-Controllern getestet, doch aktuell lässt sich das System nur mit dem mitgelieferten Pad nutzen. Das ist glücklicherweise keine dauerhafte Einschränkung und soll sich schon bald ändern.

Fazit: Aktuell spricht sehr wenig für Google Stadia. Ich habe 130 Euro für die Founder’s Edition bezahlt und für einen Pro-Account, der 4K-Gaming ermöglicht, kommt eine Abo-Gebühr in Höhe von monatlich 10 € dazu. Wäre Google Stadia eine Art Netflix für Games, gäbe es nix zu meckern, doch man wird für jedes einzelne Spiel zur Kasse gebeten. Die Tatsache, dass andere Cloud-Gaming-Anbieter (z. B. GeForce Now) mit einem viel größeren Spieleangebot locken, sollte auch nicht unerwähnt bleiben. Einerseits ist Google zu früh dran, weil sich das volle Potenzial von Stadia mangels entsprechender Netz-Infrastruktur noch nicht ausschöpfen lässt. Andererseits gibt es bereits Anbieter, die deutlich mehr für weniger Geld bieten. Google Stadia kommt also irgendwie zu früh und gleichzeitig zu spät.

Die Stadia Premiere Edition ist ab sofort im offiziellen Google Store erhältlich.