Key Art (Lonely Mountains: Downhillt)

Ich beginne auf dem Gipfel des Berges und muss so schnell wie möglich ins Tal radeln. Eigentlich ganz einfach. Das Problem ist nur, dass jeder Baum, jede Unebenheit und jeder kleine Felsen zum Feind wird, wenn man auf einem Drahtesel sitzt, der mit einem Affenzahn durch die Botanik rauscht. Außerdem werden die Fahrtbedingungen durch eine isometrische Perspektive erschwert, welche es nicht gestattet, mehr als ein paar Meter vorauszublicken. Es ist so, als würde man ein Bike steuern, dass man es aus dem Hubschrauber beobachtet. Gerade zu Beginn fühlt sich das recht seltsam und ungewohnt an.

Meine ersten Ausflüge sind von Trial & Error geprägt und das ist eigentlich keine gute Sache. Wer hat schon Bock, ein und dieselbe Stelle eines Videospiels unzählige Male zu wiederholen, bis man sie fehlerfrei meistert? Niemand. Dabei zwingt mich das Spiel gar nicht dazu. Ich könnte entspannt die virtuelle Bergluft genießen und jede Strecke ohne Zeitdruck absolvieren. Irgendwie kitzelt Lonely Mountains: Downhill (LMD) aber meinen Ehrgeiz. Ich möchte nicht einfach nur im Ziel ankommen. Ich möchte der Schnellste sein!

Manche der Kurse muss ich gefühlte 100 Mal fahren, bis mich das Ergebnis zufriedenstellt. Das Streckenlayout animiert mich dazu, nach immer neuen Abkürzungen zu suchen und Wagnisse einzugehen. »Muss ich diese Stelle ordnungsgemäß passieren oder kann ich hier einfach herunterspringen?«, frage ich alle paar Meter. Es gibt kein schöneres Gefühl, als einen »Leap of Faith«, der mit einer sauberen Landung endet. Wenn man über die Klippe fährt, mehrere Meter weit fliegt und nicht auf der Fresse landet, dann ist völlige Glückseligkeit angesagt.

Besser hätte ich meine 20 Euro nicht investieren können.

Wobei die Physik des Spiels nicht immer nachvollziehbar ist. Mal legt sich mein Radler auf die Nase, bloß weil er über einen klitzekleinen Spalt rollt, doch dann touchiert er mit Karacho einen Felsen und fährt einfach weiter. Irgendwann fängt man an, diese Unberechenbarkeit in den eigenen Spielstil zu integrieren. Indem man etwa einen total irrsinnigen Sprung ständig wiederholt, weil man auf einen Glitch hofft, der die extraharte Landung beim 14. Mal nicht in einen Crash verwandelt. Das ist wie früher in Mario Kart 64, als meine Freunde und ich wirklich jeden Glitch missbraucht haben, um wertvolle Sekunden einzusparen. Der Sprung über die Wand, direkt nach der Startlinie des Wario Stadium, verschafft mir heute noch Albträume.

Im Rausch der Pedale

Es ist wirklich befremdlich, denn das Spiel ist überhaupt nicht aufdringlich oder streng. Lonely Mountains: Downhill vermittelt eher eine entspannte Laid-Back-Stimmung und dennoch stachelt es mich zu Höchstleistungen an. Wenn sich eine »Das schaff ich niemals!«-Strecke in eine »Da kann ich locker noch 5 Sekunden herausholen!«-Strecke verwandelt, erreicht die Dopamin-Produktion ihren Höhepunkt. Im Endeffekt ist die Streckenführung nur ein gut gemeinter Vorschlag für Einsteiger, denn als Profi versucht man Start und Ziel durch eine möglichst gerade Linie zu verbinden. Man fühlt sich wie ein Golfer, der im Laufe seiner Karriere die Kunst perfektioniert, das Grün zu lesen.

Langer Rede, kurzer Sinn: Gebt diesem Spiel unbedingt eine Chance!

In der Gaming-Presse wird Lonely Mountains: Downhill gerne mit der Trials-Serie in einen Topf geworfen, aber eigentlich haben die Spiele nicht viel gemeinsam. LMD ist nicht linear und belohnt Kreativität, während es bei der eher formularischen Herausforderung von Trials um Präzision und Timing geht. In Lonely Mountains: Downhill arbeitet man keinen Aufgabenkatalog ab, sondern genießt die Freiheit. Es gibt natürlich auch hier eine Liste mit Herausforderungen, aber die habe ich quasi nebenbei erledigt, etwa durch die Einhaltung gewisser Zeit-Limits und unfallfreies Fahren. Als Belohnung winken Outfits, Lackierungen und neue Fahrradteile.

Fazit: Die Kickstarter-Kampagne des Spiels erntete von mir nur ein Schulterzucken, denn Mountainbiking interessiert mich nicht die Bohne. Tatsächlich habe ich Lonely Mountains: Downhill nur deshalb ausprobiert, weil es mir von jemandem empfohlen wurde, der eigentlich alle gewaltfreien Spiele hasst. Ganz im Ernst: Besser hätte ich meine 20 Euro nicht investieren können. LMD lockt mich immer wieder an den Controller. Nicht nur, weil ich meine Performance verbessern möchte, sondern weil es Spaß macht und dabei unheimlich simpel, aber dennoch hyperkomplex ist. Es ist ein Spiel der Widersprüche. Normalerweise hasse ich Trial & Error, doch hier motivieren mich die zahllosen Wiederholungen. Langer Rede, kurzer Sinn: Gebt diesem Spiel unbedingt eine Chance!

Lonely Mountains: Downhill ist am 23. Oktober 2019 für PC, PlayStation 4 sowie Xbox One erschienen und wird zu einem späteren Zeitpunkt außerdem für Nintendo Switch veröffentlicht.