Key Art (Need for Speed Heat)

Man mag es kaum glauben, aber das neue Need for Speed ist kein Totalausfall. Dabei war ich nach der eher bescheidenen gamescom-Demo aufs Schlimmste gefasst. Als auch noch bekannt wurde, dass EA keine Microtransactions integriert, begannen meine Warnlichter tiefrot zu blinken. Wenn ein gieriges Unternehmen wie Electronic Arts keine Abzockmechanismen einbaut, kann das Vertrauen ins eigene Produkt nicht allzu groß sein. Andererseits bin ich dankbar und froh, ausnahmsweise von Loot-Boxen verschont zu bleiben. Sollte sich der Titel wider Erwarten als Erfolg entpuppen, kann EA den Echtgeld-Store ja immer noch nachpatchen.

Die Story ist durchaus fremdschämig und konfrontiert uns mit bemüht coolen Sprüchen sowie austauschbaren Charakteren, aber es ist nicht ganz so schlimm wie in früheren Episoden. Mit Schrecken erinnere ich mich etwa an die peinlichen Dialoge von NfS Payback. Ich könnte schwören, dass diese von schwer erziehbaren Zwölfjährigen geschrieben wurden. Im Vergleich dazu erscheinen die Zwischensequenzen von Need for Speed Heat fast schon wie Arthaus-Kino, auch wenn sämtliche Figuren aus einer RTL2-Realitysoap stammen könnten.

Ihr beginnt das Spiel als vielversprechender Newcomer, der sich in der Street-Racing-Szene einen Namen machen muss. Auch der Rest ist eine Aneinanderreihung von Klischees und Belanglosigkeiten. Keine Ahnung, warum EA bei der Story nicht einfach mal neue Wege geht. Es kann ja nur besser werden. Wie wäre es mit ein paar Senioren, die aus dem Altersheim ausbrechen, um endlich mal wieder auf dem Highway die Sau herauszulassen? Eine Prise Sozialkritik vielleicht? Man könnte einen Mexikaner spielen, der seine Schulden beim Kartell begleicht, in dem er illegale Einwanderer transportiert und sich Rennen mit der US-Border-Police liefert. Was ich damit sagen möchte: Es gäbe genug Alternativen zu den völlig ausgelutschten Wir-sind-jung-schnell-und-doof-Geschichten.

Im Grunde geht es darum, tagsüber gesittete Showdown-Rennen zu absolvieren, um Siegesprämien einzustreichen. Sobald jedoch die Sonne untergeht, kämpfen wir in illegalen Nachtrennen um Ruhm und Ehre. Mit steigender Reputation schalten wir neue Fahrzeuge und bessere Komponenten frei. Was die Nachtrennen deutlich nervenaufreibender macht, sind die aggressiven Cops. Diese fahren uns nicht einfach nur mit Blaulicht hinterher, sondern sie versuchen illegale Raser mit allen Mitteln aufzuhalten. Dabei spielt die sogenannte »Heat-Stufe« eine wichtige Rolle, denn je rücksichtsloser man unterwegs ist, desto höher sind Heat-Level und Aggro-Faktor der Gesetzeshüter. Es geht also überaus ruppig zu und deshalb sollte man die Schadensanzeige im Auge behalten. Bleibt die Karre stehen und man wird von den Cops geschnappt, kostet das nämlich Kohle plus Reputation. (Tatsächlich ist uns das in über 10 Stunden Spielzeit aber nur zweimal passiert, darum stellt die Polente keine allzu große Bedrohung dar.)

Fettes Effektfeuerwerk. Dünne Open World.

Die Tagesrennen sind ganz spaßig, aber eigentlich habe ich währenddessen immer nur gedacht: »Das kann Forza Horizon besser und schöner.« Während sich diese Events bei Sonnenschein wie ein notwendiges Übel anfühlen, dreht NfS Heat bei Dunkelheit so richtig auf. Es ist einfach geil, mit 200 Sachen durch die Innenstadt zu brettern, während der Regen gegen die Windschutzscheibe prasselt und sich das Neonlicht auf dem nassen Asphalt spiegelt. Vor allem, weil man in der Werkstatt sogar die Farben des Nitros und der Unterbodenbeleuchtung verändern kann. Need for Speed Heat ist wie ein Typ, der tagsüber einen grauen Anzug trägt und sich nachts in eine schillernde Drag-Queen verwandelt.

Polizist im Auto (Need for Speed Heat)

Need for Speed Heat ist wie ein Typ, der tagsüber einen grauen Anzug trägt und sich nachts in eine schillernde Drag-Queen verwandelt.

Ich bin kein Auto-Fan und habe nicht einmal einen Führerschein, aber die ausufernden Tuning-Möglichkeiten fand ich ziemlich beeindruckend und motivierend. Weiter oben erwähnte ich ja bereits, dass man die Farbe des Nitros verändern kann. NfS Heat bietet eine schier unendliche Zahl von Leistungsverbesserungen und ebenso viele optische sowie akustische Upgrades. Selbst der Auspuff-Sound lässt sich anpassen! Es war den Entwicklern besonders wichtig, dass sich die Spieler ihre Traumboliden auf den Leib schneidern können. Man könnte das auch als Overkill bezeichnen, aber ich find’s gut. Eingefleischte Tuning-Freaks werden vor Freude jauchzen wie kleine Kinder im Spielwarenladen. Lobend erwähnen sollte man außerdem, dass sich die technischen Modifikationen spürbar aufs Fahrverhalten auswirken. Zu Beginn empfand ich die Steuerung als zu schwammig, doch als ich mir ordentliche Reifen und ein Rennsportfahrwerk leisten konnte, lag meine Karre wie ein Brett auf der Straße.

Generell ist das Fahrgefühl eher auf Spaß ausgelegt und hat mit einer anspruchsvollen Simulation recht wenig zu tun. Realismus bei Nachtrennen auf regennasser Fahrbahn würde bedeuten, dass man mit 60 Kilometern pro Stunde durch die Gegend schleicht. Dann doch lieber mit 200 Sachen durch die Kurven driften, während Cops in Autos und Hubschraubern angreifen. Das Verhalten der gegnerischen Fahrer würde ich als ganz okay bezeichnen. Zwar gibt es keinen nervigen Gummiband-Effekt, aber dafür fährt die Konkurrenz zu sehr nach Vorschrift und wenig emotional die Ideallinie entlang. In Sachen Fahrer-KI kann Need for Speed Heat also nicht mit GRID 2019 mithalten. Das Codemasters-Rennspiel konfrontiert uns mit Gegnern, die sich menschlicher verhalten und sogar zu echten Feinden werden, wenn man sie provoziert.

Rotes Auto (Need for Speed Heat)

Worauf ich komplett verzichten könnte, ist die offene Spielwelt. Hier und da lassen sich Punkte sammeln, indem man Sprungschanzen und Schilder zerstört, aber eigentlich bietet der Open-World-Aspekt keinen spielerischen Mehrwert. Zumal die Umgebung äußerst steril und leblos wirkt. Gerade im Story-Modus fällt das negativ auf, wenn man gezwungen wird, zu weit entfernten Events zu fahren, während eine nervige Stimme aus der Freisprecheinrichtung plärrt. Ghost Games hätte sich den ganzen Open-World-Kram sparen und sämtliche Events in ein übersichtliches Menü packen sollen. Der Online-Modus wirkt ebenfalls halb gar, denn man wird ständig mit Spielern in einen Topf geworfen, die deutlich stärkere beziehungsweise deutlich schwächere Karren fahren. Wie sinnvoll ist denn bitte ein Online-Mehrspieler-Modus, der die Fahrzeugleistung nicht berücksichtigt?

Fazit: Need for Speed Heat ist wirklich das beste NfS seit Jahren, hat aber gegen Codemasters GRID und Microsofts Forza Horizon keine Chance. Dafür wirken viele Elemente nicht konsequent genug umgesetzt. Die offene Spielwelt ist nutzlos, bremst lediglich den Spielfluss und bei den Online-Rennen sorgt das mangelnde Balancing für Frust. Die Nachtrennen machen dafür umso mehr Spaß und die Tuning-Möglichkeiten sind spitze. Ich befinde mich immer noch auf der Jagd nach mehr Reputation, um das nächste Leistungs-Upgrade freizuschalten. NfS Heat ist alles andere als perfekt, aber EA ist zumindest wieder auf dem richtigen Weg.

Need for Speed Heat wurde am 8. November 2019 für PC, PlayStation 4 und Xbox One veröffentlicht.