Key Art (The Outer Worlds)

»Besser gut geklaut als schlecht erfunden«, haben sich die kreativen Köpfe von Obsidian Entertainment wahrscheinlich gedacht. Einen Fallout-Klon zu erstellen war besonders nahe liegend, schließlich hat Obsidian vor etwa zehn Jahren mit Fallout: New Vegas viele Fans glücklich gemacht. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Gründer von Obsidian Entertainment früher bei Interplay angestellt und an der Geburt der Fallout-Serie beteiligt waren. Es wäre also unfair zu behaupten, dass hier alles nur geklaut ist. Die Mädels und Jungs haben Fallout schließlich mit aus der Taufe gehoben.

Die Geschichte beginnt mit unserem Helden, der nach einigen Jahrzehnten aus dem Kälteschlaf erwacht. Der Wissenschaftler Phineas Welles möchte weitere Menschen aus den Cryo-Tanks retten und benötigt dafür unsere Hilfe. Zur Geschichte möchte ich nur noch verraten, dass sie sich aus typischen Dystopie-Elementen zusammensetzt. In Obsidians Zukunftsvision haben skrupellose Konzerne das Sagen, das Volk wird maximal ausgebeutet und Blablabla. Die Geschichte selbst ist also nicht sonderlich spannend, auch wenn es ein paar interessante Wendungen gibt. Das Ganze ist vor allem deshalb unterhaltsam, weil es nicht an skurrilen Figuren und witzigen Dialogen mangelt.

Es sind eure Handlungen, die über Freund und Feind entscheiden.

Wenn ihr eines der 3D-Fallouts gespielt habt, wisst ihr im Großen und Ganzen, was The Outer Worlds bereithält. Es spielt sich wie eine Mischung aus Rollenspiel-Adventure und Ego-Shooter. Ihr spaziert durch die Gegend, sammelt Loot, verwickelt NPCs in Gespräche, erledigt Aufträge und tötet Monster sowie Personen, die euch im Wege stehen. Der letzte Punkt verdient besondere Beachtung, denn es sind eure Handlungen, die über Freund und Feind entscheiden. Zum einen stehen euch verschiedene Dialogoptionen zur Verfügung und zum anderen lassen sich Aufgaben auf unterschiedliche Weise lösen. Beispiel: Es gibt immer wieder Bereiche, die ihr betreten müsst, aber nicht betreten dürft. Ihr könntet euch entweder tarnen und ganz entspannt eurer Aufgabe nachgehen oder ihr sucht nach einem Hintertürchen und schleicht an den Gegnern vorbei. Einfach hineinstürmen und alle über den Haufen ballern? Ja, auch das ist möglich. Man muss eben bedenken, dass jede Handlung das Verhältnis zu den unterschiedlichen Fraktionen beeinflusst.

Shock Cannon (The Outer Worlds)

Es geht also nicht darum, gut oder böse zu sein. Ihr müsst eher abwägen, inwiefern eine Entscheidung euer Leben erleichtern oder erschweren könnte – von den Auswirkungen auf die Mitmenschen ganz abgesehen. So steht man beispielsweise vor der Wahl, einer Gruppe wohlmeinender Dissidenten den Strom abzudrehen, damit eine Konzern-geführte Stadt mehr Saft erhält. Könnte man den Spieß nicht einfach umdrehen oder wäre vielleicht sogar ein Kompromiss möglich? Es ist wirklich cool, dass man immer wieder vor solchen schwerwiegenden Entscheidungen steht, wobei sich die Auswirkungen auf die Spielwelt eher in Grenzen halten. Wenn wir beispielsweise der Stadt den Strom abdrehen, werden wir zwar von dort beheimateten Beamten attackiert, aber ansonsten ändert sich nicht viel. Der Ort wirkt dadurch nicht weniger lebendig, wobei »lebendig« in diesem Zusammenhang der falsche Begriff ist. Generell wirkt die Spielwelt nämlich äußerst steril und tot.

Man sieht an allen Ecken und Enden, dass den Entwicklern nicht unendlich viel Zeit und Geld zur Verfügung stand. Viele Umgebungsobjekte wiederholen sich häufig und das gilt sowohl für die Außenwelt als auch für das Innere von Gebäuden. Zudem trifft man eher selten auf Nichtspielercharaktere und die meisten von ihnen sehen aus, als habe jemand im Charakter-Editor auf »Random« geklickt. In Sachen Production Value, Komplexität und Umfang stellt die Spielwelt von The Outer Worlds also keine Rekorde auf. Dafür steckt viel Charme und Witz in jeder einzelnen Dialogzeile, in jeder noch so kleinen Notiz und in jedem Terminal, das man aktiviert.

Ellie (The Outer Worlds)

The Outer Worlds hat mir trotz seiner Unzulänglichkeiten deutlich mehr Spaß gemacht als Bethesdas Fallout 76.

Gute RPG & Buddy-Elemente

Selbstverständlich gibt es zahlreiche Attribute und Skills, die man beeinflussen kann und sie alle wirken sich tatsächlich spürbar aufs Gameplay aus. Wer die technischen Fähigkeiten ausbaut, tut sich beim Schlösser knacken und Hacking leichter, während ein höherer Nahkampfwert mehr Schaden mit Hieb- und Stichwaffen verursacht. Fallout-typisch lassen sich über das Skill-System auch zusätzliche Gesprächsoptionen freischalten, schließlich verfügt ein sprachgewandter Held über gewisse Überredungskünste. Man wird dabei in keine Richtung gedrängt und kann das Spiel wirklich so erleben, wie man darauf Bock hat. Genauso wie man es von Fallout eben kennt.

Das Kampfsystem unterscheidet sich dann aber doch ein wenig. Während man in Fallout per »VATS«-System die verwundbaren Körperteile der Gegner markieren und Aktionspunkte verteilen konnte, lässt sich in The Outer Worlds lediglich die Zeit verlangsamen. Dadurch wirken die Kämpfe nicht ganz so rollenspielmäßig und weniger taktisch, aber trotzdem spannend. Die Auseinandersetzungen profitieren sehr von den KI-Begleitern – nicht nur weil mehr Firepower zur Verfügung steht. Maximal zwei Mitstreiter lassen sich als Begleiter auswählen und per Steuerkreuz darf man diesen sogar einfache Befehle erteilen. Wobei erwähnt werden muss, dass die Kämpfe auf dem normalen Schwierigkeitsgrad viel zu leicht sind. Man sollte definitiv ein höheres Difficulty-Level wählen, damit man gezwungen ist, die taktischen Möglichkeiten auszukosten. Der größte Unterschied zu Fallout ist aber, dass man nicht nur auf einem einzigen Planeten, sondern per Raumschiff im ganzen All unterwegs ist. Okay, die Raumflüge beschränken sich auf die Darstellung eines Ladebildschirms, denn ihr wählt den Zielplaneten in einem Menü aus und das war’s.

Fazit: Die Spielwelt ist relativ trist, die Grafik etwas altbacken und wer Fallout nicht mag, sollte auch um The Outer Worlds einen großen Bogen machen. Alle anderen dürfen sich auf ein richtig schönes Oldschool-Abenteuer freuen, das mit viel Charme und Witz punktet. The Outer Worlds hat mir trotz seiner Unzulänglichkeiten deutlich mehr Spaß gemacht als Bethesdas Fallout 76.

The Outer Worlds ist am 25. Oktober 2019 für PC, PlayStation 4 sowie Xbox One erschienen und wird 2020 außerdem für Nintendo Switch veröffentlicht.