Key Art (GreedFall)

Das ambitionierte Action-RPG des französischen Studios Spiders (Technomancer, Testament of Sherlock Holmes, Bound by Flame) ist so herrlich oldschool, dass es schon wieder erfrischend wirkt. Man fühlt sich zurückversetzt in die Zeiten von Gothic 3 und Dragon Age: Origins, als Hobby-Abenteurer noch nicht mit 50.000 Quest-Markern, Lootboxen und aufgesetzt wirkenden Online-Modi belästigt wurden. Seine klassische DNA ist GreedFalls größte Stärke und Schwäche zugleich, aber dazu später mehr.

GreedFall ist in einer fiktiven Fantasy-Welt angesiedelt, die mit allerlei Problemen zu kämpfen hat. Nicht nur Umweltverschmutzung, Krieg und Überbevölkerung machen ihren Bewohnern zu schaffen, sondern auch eine unheilbare Krankheit namens Malichor. Als eines Tages die Insel Teer Fradee entdeckt wird, gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer, denn mysteriöserweise blieb das Eiland von der Malichor-Pest verschont. Wird man dort ein Gegenmittel finden? Welche Geheimnisse birgt die Insel sonst noch? Der Einstieg ins Rollenspielabenteuer kitzelt unsere Neugierde und schraubt die Vorfreude ordentlich nach oben. Als Spieler mit ausgeprägtem Entdeckerdrang können wir endlich mal wieder die zahlreichen Geheimnisse einer neuen Welt enträtseln.

Bevor wir uns der Rettung der Welt widmen, statten wir dem Charakter-Editor einen Besuch ab. Die Auswahlmöglichkeiten sind überschaubar, doch es gibt eine Geschlechteroption, die sich selbstverständlich auf Zwischensequenzen, Dialoge und so weiter auswirkt. Sobald die Anpassung des Erscheinungsbildes abgeschlossen ist, werden Punkte für Fähigkeiten, Attribute und Talente verteilt. So lässt sich die Spielfigur grob in drei Richtungen entwickeln. Wer auf Nahkampf und blanken Stahl steht, züchtet sich einen Krieger heran oder ihr verbessert Magiefähigkeiten, Schusswaffen- und Fallensteller-Skills. Man darf sich also entweder komplett spezialisieren oder einen netten Alleskönner basteln. Verskillen könnt ihr euch dabei nicht, da sich die Punkteverteilung jederzeit zurücksetzen lässt.

Bereits der erste Ausflug in die Welt konfrontiert uns mit diversen optionalen Nebenaufgaben und genau wie die Hauptmissionen, bieten diese unterschiedliche Lösungswege an. Beispielsweise treffen wir auf einen Kneipenwirt, der sich darüber beschwert, dass unser Cousin seine Einrichtung zertrümmert hat. Wir können den Schaden einfach ersetzen oder aber selbst reparieren – vorausgesetzt wir finden die entsprechenden Utensilien. Diese Entscheidungsfreiheit zieht sich wie ein roter Faden durchs gesamte Spiel, beeinflusst Dialogoptionen und unser Verhältnis zu den unterschiedlichen Fraktionen. Richtig hart wird es, wenn man über Leben und Tod bestimmter Figuren entscheiden kann. Man lernt schnell, dass die befriedigendste Option selten die weiseste Entscheidung darstellt.

Stabile Action

Die Spielfigur steuern wir aus der Verfolgerperspektive, wobei uns fast immer zwei computergesteuerte Mitstreiter folgen. Das Handling ist angenehm und flott, sämtliche Aktionen gehen gut von der Hand. Feinde lassen sich in Echtzeit wegklatschen oder man aktiviert eine Art Taktik-Menü. Dieses friert die Action ein, damit wir in Ruhe die passenden Aktionen auswählen können. Wahrscheinlich ist es Geschmackssache, aber wir haben das Menü nach einigen Versuchen einfach links liegen gelassen. In Echtzeit empfanden wir die Kämpfe als befriedigender, zumal die Sache mit dem Ausweichen und Parieren einfach gut funktioniert. In Kombination mit allerhand coolen Spezialfähigkeiten, bietet GreedFall ein unkompliziertes, aber dennoch anspruchsvolles Kampfsystem.

Viele Auseinandersetzungen lassen sich umgehen, da sich unser Held auch heimlich Zugang zu seinen Zielen verschaffen kann. Dazu gehört auch, sich von hinten an Gegner anzupirschen, um sie leise auszuschalten. Generell gilt: Bevor man buchstäblich mit der Tür ins Haus fällt, sollte man sich lieber in Ruhe nach unauffälligeren Optionen umsehen. Wer sich die Klamotten der unterschiedlichen Fraktionen besorgt, kann sich übrigens ganz frei in den von ihnen kontrollierten Gebieten bewegen. Dass unsere unkostümierten Begleiter dabei keinen Verdacht erregen, finden wir allerdings ziemlich seltsam.

Drei Krieger (GreedFall)

GreedFall hat mächtig viel Charme und man merkt, dass die Entwickler sehr viel Herzblut investiert haben.

Alles, was man braucht

GreedFall bietet keine nahtlose Open World-Erfahrung wie The Witcher 3, sondern eine Spielwelt, die aus einzelnen Abschnitten besteht. Diese sind relativ groß und über Schnellreisepunkte miteinander verbunden. Insgesamt hätten wir uns mehr optischen Abwechslungsreichtum gewünscht, denn viele Gebäude gleichen sich so sehr, dass man sich die Frage stellt: »War ich hier nicht schon mal?«. Trotzdem haben wir jede Ecke nach Items und Komponenten abgegrast, schließlich lassen sich daraus nette Ausrüstungsgegenstände craften. Damit wir nicht jede Kiste, jedes Fass und jeden Schrank nach Items absuchen müssen, ist sämtlicher Loot freundlicherweise mit einem Leuchteffekt unterlegt.

In versperrten, versteckten oder abgelegenen Orten findet sich besonders wertvolles Zeug und so wird die gründliche Erkundung der Spielwelt immer wieder aufs Neue belohnt. Manchmal müsst ihr einfach nur den passenden Schlüssel finden oder mit der richtigen Person sprechen, um Zugang zu erhalten. Es gibt aber auch Türen und Schlösser, die ein bestimmtes Skill-Level voraussetzen oder brüchige Wände, die sich nur sprengen lassen, wenn man die entsprechende Fähigkeit freigeschaltet hat.

Unterm Strich bietet GreedFall fast alles, was ein Top-Rollenspiel ausmacht. Ein tolles Kampfsystem, eine ordentliche Story mit interaktiven Dialogen und eine Spielwelt, deren Erforschung sich lohnt. Ihr werdet nicht von Optionen und Möglichkeiten erschlagen, die Crafting- und Skill-Optionen bleiben stets simpel, aber motivierend. Perfekt ist GreedFall aber nicht, denn man merkt an allen Ecken und Enden, dass die Entwickler mit begrenzten Mitteln arbeiten mussten. Die Optik der NPCs wiederholt sich ebenso wie die Innenarchitektur vieler Gebäude. Für eine deutsche Sprachausgabe hat es auch nicht gereicht, doch die englische Synchro ist top und wenigstens gibt es deutsche Untertitel. The Witcher, Skyrim und Co. wirken natürlich opulenter, doch GreedFall hat mächtig viel Charme und man merkt, dass die Entwickler sehr viel Herzblut investiert haben. Kurz: Ich habe den Kauf zu keiner Zeit bereut.

GreedFall ist am 10. September 2019 für PC, PlayStation 4 und Xbox One erschienen.