Key Art (Gears 5)

Gears of War 5 beginnt düster – und zwar im wortwörtlichen Sinne: Mein Charakter findet sich zum Spielstart in einem dunklen Raum wieder, ich selbst weiß noch weniger, wo wir uns befinden, als mein aktuelles Alter Ego Del Walker. Der bittet als Erstes um mehr Licht, woraufhin plötzlich die Wände des Raumes ins Bodenlose stürzen und den Blick auf eine technische Anlage freigeben. Walker befindet sich auf einer schwebenden, an einem Hubschrauber befestigten Plattform. Der Hubschrauber setzt meinen Helden auf dem Gelände ab und ich übernehme die Kontrolle. Doch bevor es richtig losgeht, muss ich Walker erst einmal durch einen Tutorial-Parcours steuern. Der beginnt erst mal mit dem obligatorischen Rundumblick: Bewege den linken Stick und so weiter, bla bla bla. Gears 5 rechtfertigt diese Heranführung an die Steuerung damit, dass Baird – quasi der »Q« im Gears-Universum – die DeeBees kalibrieren kann, eine Art unterstützende Kampfroboter.

Auch wenn das Ganze recht nett gemacht ist, fühlen sich Gears-Veteranen von dem Tutorial möglicherweise schnell genervt. Neues gibt es hier nämlich nicht zu lernen, das kommt erst später in der Kampagne. Umso erstaunlicher schien mir, dass Gears 5 keine Option bietet, das Tutorial zu überspringen. Schließlich empfand ich die Wahlmöglichkeiten in den vorigen Gears-Teilen immer als besondere Stärke – aber dazu später mehr.

Kait geht in Deckung (Gears 5)

Menschen gut, Locust böse – oder so.

Statt einer optionalen Einführung spult Gears 5 jedenfalls erst einmal das übliche Tutorial-Standardrepertoire ab, um Neulingen den Einstieg ins Gears-Gameplay zu erleichtern. Das gelingt immerhin besser als mit dem vorangegangenen Video, das uns im Stil eines »Was bisher geschah«-Filmchens die Story des Vorgängers näher bringen soll. Wer sich im Gears-Universum nicht auskennt, versteht hier jedenfalls nur Bahnhof. Weil die Geschichte von Gears 5 aber ohnehin auf einen Bierdeckel passt – das war schließlich bei den Vorgängern auch schon so –, fällt das nur marginal ins Gewicht. Auch Serienneueinsteiger dürften sich einigermaßen schnell zurechtfinden. Falls nicht: Menschen gut, Locust böse – oder so.

Aber während die Story insgesamt ziemlich simpel gestrickt ist und den üblichen dystopischen Sci-Fi-Schemata der Vorgänger folgt, trumpft Gears 5 immerhin mit einer mehr als gelungenen Inszenierung auf – zumindest meistens. Denn während um mich herum immer irgendwas explodiert, Locust in ihre Einzelteile zerplatzen und mir Gewehrkugeln um die Ohren sausen, sieht Gears 5 nicht nur schick aus, sondern klingt auch noch super. Die musikalische Untermalung taugt ebenso viel wie die Optik, die deutsche Synchro kann sich hören lassen und die Spielumgebungen überraschen mit einem hohen Maß an Liebe zum Detail: Wenn beispielsweise im Fitnessraum der Gears-Soldaten ein zerknülltes Handtuch auf einer Hantelbank liegt oder unsere Helden sich beschweren, dass ein Kamerad seinen offenbar stark müffelnden Spind offen stehen gelassen hat, kommt ordentlich Atmosphäre auf, die zur Glaubwürdigkeit der einzelnen Level beiträgt.

Brennende Ruinen (Gears 5)

Wer mag, kann in den einzelnen Gebieten des Spiels zusätzlich auf Erkundungstour gehen und immer wieder Collectibles einsammeln, die in Form von Briefen, Zeitungsausschnitten und ähnlichen Dokumenten weitere Details zur Story verraten. Apropos Erkundungstour: Die lohnt auch deshalb, weil ihr immer wieder sogenannte Komponenten findet. Die braucht ihr, um den Roboter Jack zu verbessern, der euch im Kampf unterstützt. Diese Verbesserungen funktionieren ein wenig wie das Fähigkeitensystem aus einem Rollenspiel: Jack verfügt über eine Reihe von Modifikationen, die wir verbessern können. Dazu benötigen wir eine bestimmte Anzahl an Komponenten, mal drei, mal fünf, manchmal auch mehr. Dadurch kann Jack zum Beispiel länger getarnt bleiben oder heilt Spielercharaktere schneller.

Moment mal, Rollenspiel? Gears 5 ist doch ein Shooter! Und genau da liegt das Problem: An und für sich mag ich Spielsysteme, die dazu führen, dass mein Charakter nach und nach besser und stärker wird. In Gears 5 wirken die Verbesserungen für Jack aber irgendwie aufgesetzt – quasi, als wollten die Entwickler unbedingt das machen, was eben gerade en vogue ist, nämlich Perks. Was aber in Rollenspielen oder Action-Adventures wie Assassin’s Creed noch einigermaßen funktioniert, hat mich in Gears 5 ziemlich schnell genervt.

Der Grund dafür ist folgender: Weil ich die Komponenten, die ich für Jacks Verbesserungen brauche, nicht ergrinden kann, sondern nur an festgelegten Punkten im Spiel finde, fühle ich mich gezwungen, jeden Level nach diesen Items zu durchsuchen. Anfangs macht das wegen der Liebe zum Detail, mit der die Entwickler die Umgebung gestaltet haben, noch Spaß. Aber nach kurzer Zeit nervt es einfach nur noch: Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich Gespräche meiner Kameraden ignoriere oder Feuergefechte unterbreche, weil mir ein Raum auffällt, den ich noch nicht durchsucht habe und in dem sich vielleicht eine Komponente befindet. Das stört den Spielfluss erheblich. Weil Jacks Fähigkeiten dann noch nicht einmal besonders interessant ausfallen und lediglich Standardkost (Schild, Heilung, etc.) bieten, habe ich noch weniger Lust, den Roboter aufzurüsten.

Dass es auch anders gegangen wäre, beweist Gears 5 an den Stellen, an denen es essenzielle Fähigkeiten von Jack neu einführt: Jack bekommt im ersten Akt eine Art Stimpack, das er auf Knopfdruck aktiviert und das die Gears für kurze Zeit vor Schaden schützt. Diese Fähigkeit benötigen wir, um eine Feuerbarriere zu überwinden. Das Spiel führt den Spieler hier geschickt an die Technik heran und erlaubt danach die flexible Anwendung. Das erinnert ein wenig an The Legend of Zelda, wo wir neue Waffen auch schrittweise freischalten und kennenlernen. Deshalb ärgerte es mich beim Spielen umso mehr, dass Gears 5 noch ein zusätzliches Upgrade-Feature über die Fähigkeiten stülpt. In diesem Fall wäre weniger wirklich mehr gewesen.

Gears 5 ließ mich bei Grafik und Gameplay ähnlich zwiegespalten zurück: Wie bereits erwähnt strotzt das Spiel vor Details, es sieht auch auf der Xbox One schick aus (von ein paar nachladenden Texturen abgesehen) und bietet ordentlich Action, aber auch ruhige Passagen, in denen wir die offensichtlich liebevoll gestaltete Umgebung auf uns wirken lassen können. Die Level fallen abwechslungsreich aus, mal kämpfen wir uns durch einen Dschungel, mal durch eine brennende Stadt, mal durch eine Eislandschaft, mal durch Wüstengegenden. Doch Gears-Veteranen fällt schnell auf, dass Gears 5 auf eine deutlich buntere Farbpalette zurückgreift als die Urspiele. Mir persönlich fehlte deshalb der dreckige, düstere Look der Vorgänger – düster bleibt Gears 5 eigentlich nur in der allerersten Spielszene.

Ebenfalls anders als bei den klassischen Gears-Spielen: Wir dürfen in den Levels nicht mehr zwischen unterschiedlichen Vorgehensweisen wählen. Konnte man sich früher noch entscheiden, auf welcher von zwei vorgegebenen Routen man sich durch einen Level metzeln wollte, gibt es jetzt nur noch einen Weg. Dafür sind die Levels weniger schlauchig und insgesamt offener gestaltet. Diese neue Ausrichtung gefiel mir persönlich allerdings nicht besonders, weil sie die Einzigartigkeit der Gears-Serie aufweicht und das Spiel mehr in Richtung Mainstream-Shooter rückt. Schade.

Hammer of Dawn (Gears 5)

Dafür versteht sich das Spiel noch immer auf die Vorzüge und Raffinessen des Deckungs-Shooters, die die Gears-Serie groß gemacht haben. Das Gameplay geht durchweg flüssig von der Hand, die Steuerung fühlt sich größtenteils gewohnt gut an und das Trefferfeedback ist eine wahre Wucht. Allerdings verzichten die Entwickler auf eine Zielhilfe, was die Treffergenauigkeit für ungeübte Konsolen-Spieler mitunter ordentlich beeinträchtigen kann. Das überrascht gerade deshalb, weil Gears 5 ansonsten soviel Wert darauf legt, Serien-Neulingen den Einstieg zu erleichtern. Hier hätte das Spiel wenigstens eine entsprechende Option für Spieler bieten können, die Gears 5 einfach als entspannte Feierabendballerei ohne große Herausforderung genießen möchten. Für alle anderen gibt es schließlich die hohen Schwierigkeitsgrade und die diversen Multiplayer-Modi.

Insgesamt lässt mich Gears 5 begeistert und gleichzeitig enttäuscht zurück.

Letztere lassen übrigens – das sei in aller Kürze noch erwähnt – keine Wünsche offen: Der bekannte Horde-Modus ist ebenso an Bord wie Koop-Varianten und PvP-Kämpfe in verschiedenen Versionen auf diversen Maps. Die Kampagne ist mit bis zu drei Spielern im Koop-Modus spielbar, außerdem gibt es sowohl Online- als auch lokalen Koop.

Insgesamt lässt mich Gears 5 begeistert und gleichzeitig enttäuscht zurück: Ich hatte mit dem Shooter jede Menge Spaß. Bekannte Charaktere, die mir schon in den Vorgängern ans Herz gewachsen sind, bewegen sich durch liebevoll und detailliert gestaltete Spielumgebungen, die audiovisuell voll und ganz überzeugen. Das grundlegende Shooter-Gameplay ist allererste Sahne – die Entwickler beweisen wieder einmal, wie ein guter Deckungs-Shooter funktionieren muss. Auf der anderen Seite werde ich das Gefühl nicht los, dass das Team hinter Gears 5 sich auf Teufel komm raus, eine größere Zielgruppe erschließen will – und deshalb auch in Kauf nimmt, Veteranen mit überflüssigen Systemen, einer bunteren Farbpalette und einem aufgesetzten Tutorial vor den Kopf zu stoßen. Dadurch liefert Gears 5 am Ende eine gute, aber keine herausragende Spielerfahrung. Der neuste Teil der Serie bedient Spieler mit aalglatter und eigentlich zu perfekter Shooterkost ohne Ecken und Kanten, die sich dem Mainstream beugt und auf interessante Besonderheiten vergangener Teile verzichtet. Mehr Rücksicht auf das Serienerbe hätte Gears 5 deshalb in jedem Fall gut getan – perfekt gepolishte Spielerfahrung hin oder her.

Gears 5 ist am 10. September 2019 für Xbox One und PC erschienen.