Key Art (Blair Witch)

Ein Geständnis vorweg: Ich bin über 30 und fürchte mich vor einem Computerspiel. Ja, Blair Witch ist »nur« ein Spiel und ich weiß ziemlich sicher, dass es keine bösen Hexen gibt. Und doch packt mich fast so etwas wie Panik, wenn ich den Titel des polnischen Entwicklers Bloober Team spiele.

Das sieht dann ungefähr so aus: Ich schleiche durch die dunklen Wälder der Black Hills, meine Taschenlampe hektisch hin und her schwenkend. Mein Blick springt nervös von Baum zu Baum. War da etwas zwischen den Bäumen, beobachtet mich jemand? Plötzlich steht meine Freundin neben dem Schreibtisch und ich entschließe mich spontan, den Nachbarn meine Sopran-Künste zu demonstrieren.

Ihr merkt es, bei Blair Witch geht mir der Arsch auf Grundeis. Und dafür muss das Spiel noch nicht einmal gruselige Effekte oder übernatürliche Phänomene aus dem Hut zaubern. Passiert das dann auch noch, würde ich vor Angst am liebsten aufspringen und im Zick-Zack davonlaufen. Aber dafür fasziniert mich die Geschichte um den verschwundenen Jungen und seinen psychisch labilen Retter dann doch zu sehr, also bleibe ich sitzen und spiele weiter.

Wald (Blair Witch)

Meine Furcht vor Blair Witch hat etwas mit meiner Prägung zu tun. Ich habe den ersten Film The Blair Witch Project anno 2000 im zarten Alter von 15 Jahren geschaut und wurde mehr oder weniger von einem Freund überredet. Ich kannte weder die Story noch die Machart und die nächste Google-Suche war immer bis zum nächsten Internetcafe entfernt.

Überhaupt, was rede ich da? Google war gerade erst drei Jahre auf dem Markt und wenn man ein totaler Freak war, suchte man höchstens mal etwas bei Yahoo. Das waren Zeiten, als die Bestinformierten unter uns eine 24-teilige Brockhaus-Sammlung im Regal stehen hatten, die sich übrigens nicht selbstständig aktualisierte. Ihr seht, es war die graue Steinzeit des Internets.

Gerüchte und ersponnene Geschichten konnte man also nicht so leicht entkräften wie heute. So erzählte mir der Freund, der Scherzkeks, bevor wir den Film schauten, dieser bestünde aus echten Aufnahmen, die im Wald gefunden wurden. Äh… okay?

Bunkeranlage (Blair Witch)

Natürlich hätte ich den Schwindel sofort bemerkt, wenn es sich bei The Blair Witch Project um einen gewöhnlichen Film gehandelt hätte. Aber der Streifen setzt auf das sogenannte Found-Footage-Format, das – wie das von den dänischen Regielegenden Lars von Trier und Thomas Vinterberg erdachte Format Dogma 95 – auf eine möglichst wirklichkeitsnahe Präsentation setzt.

Mehr noch, Blair Witch Project wurde komplett mit kleinen Handkameras gedreht und der ganze Plot dreht sich um ein paar Studenten, die in einem US-amerikanischen Wald einer Hexe nachspüren. Und sich dabei filmen.

Noch dazu haben die Filmemacher Daniel Myrick und Eduardo Sanchez eine komplexe Legende um die Hexe gesponnen, die sich an realen Orten ereignet haben soll. So war die Hexe von »Blair«, wie die echte Stadt Burkittsville angeblich zur Kolonialzeit geheißen haben soll, eine Frau, die von Kindern der Hexerei bezichtigt und anschließend im Wald dem Tod überlassen wurde. Seitdem spukt sie dort, so die Legende.

Foto (Blair Witch)

Die Original-Stadt Burkittsville gehört seit 1999 zu den Pilgerstätten sensationshungriger Horrorfilm-Fans, obgleich nichts davon auch nur annähernd wahr ist. Ein gutes Geschäft mit Souvenirs machen die Einwohner von Burkittsville trotzdem. Und auch mein Freund, der Elende, man muss es anerkennen, konnte für seinen Streich Profit aus der Hexen-Legende schlagen.

Ihr könnt euch also vorstellen, welchen Effekt dieser wilde Mix aus Täuschung und angeblicher Historie auf das Gehirn eines naiven 15-Jährigen haben kann. Ich hatte wahnsinnige Angst bei dem Film und der Schuft von einem Jugendfreund hat bis nach dem Film gewartet, um mich schließlich aufzuklären. Dieses Erlebnis hat sich derart eingebrannt, dass ich heute immer noch Grusel empfinde, wenn ich mit der Blair Witch-Story konfrontiert werde.

Aber weitaus besser funktioniert das Spiel, wenn man sich zu den Kennern und Fans der Blair Witch-Story zählt

Und heute bin ich dafür auf eine seltsame Weise dankbar, denn wir kennen das: Je älter, weiser und abgebrühter man wird, desto mehr geht einem dieses besondere kindliche Empfinden verloren. Wir haben so ziemlich alles schon mal gesehen und die Sensation von etwas gänzlich Neuem wird immer seltener.

Da freue ich mich darüber, dass mich das Spiel zu Blair Witch wieder in mein junges Ich versetzen kann. Auch wenn dieses Ich dann mit schlotternden Knien durch den Wald zuckelt, das Wohnzimmer auf Flutlichtstärke ausgeleuchtet hat und sich doch bei jedem raschelnden Laubhaufen halb zu Tode erschreckt.

Videokamera (Blair Witch)

Das muss beileibe nicht jedem Spieler so gehen. Wer die Materie nicht kennt, kann aufgrund der überzeugend erzählten Geschichte und des zunehmenden Wahnsinns des Protagonisten zwar durchaus seinen gruseligen »Spaß« mit Blair Witch haben. Aber weitaus besser funktioniert das Spiel, wenn man sich zu den Kennern und Fans der Blair Witch-Story zählt.

Zumal nicht jeder das im Spiel transportierte Gefühl der Hilflosigkeit wirklich gruselig findet. Manch einer fürchtet sich eher vor blutigem Splatter, schrecklichen Monstern oder Irren mit röhrenden Kettensägen – der nächste, so wie ich, findet den wahren Horror zwischen den Zeilen, im Unnahbaren, Unerklärlichen.

Wer also beim Lesen eines Stephen-King-Romans echte Angst verspürt oder bei einer nächtlichen Fahrt über eine einsame Landstraße insgeheim hofft, jetzt bloß keine Panne zu haben – dieser Typus könnt mit Blair Witch warm werden.

Blair Witch ist am 30. August 2019 für PC und Xbox One erschienen.