Poster (Hollywoodtürke)

2014 hat mich ein Typ namens Murat Ünal angeschrieben. Damals war ich als Gag-Autor fürs Frühstücksradio tätig und habe am laufenden Band Flachwitze wie diesen produziert: »Cameron Diaz’ Ehemann hat sich in großen Lettern CAMERON auf die Brust tätowieren lassen. Er ist offenbar ein großer Fan von Terminator und Avatar

Murat war jedenfalls auf der Suche nach einem Autor, der ihm unentgeltlich beim Schreiben eines Drehbuchs unter die Arme greift. Eigentlich wollte ich ihm antworten: »Du kannst dich gerne unentgeltlich ins Knie f*cken.« Dann fiel mir aber die goldene Regel des Mediengeschäfts ein: Sei höflich und hilfsbereit, denn man trifft sich immer zweimal im Leben. Also habe ich Murat um mehr Details gebeten.

»In Hollywoodtürke geht um einen erfolglosen türkischen Schauspieler in Berlin, der sich als Italiener ausgibt, um bei seiner Angebeteten zu landen und bessere Rollen zu bekommen. Die Grundgeschichte habe ich schon, aber sie ist noch nicht rund und ein paar Gags mehr wären auch nicht schlecht«, lautete seine Antwort.

Die Geschichte klang für mich nicht sonderlich spannend und mit deutschen Romantik-Komödien kann ich überhaupt nichts anfangen. Allerdings mag ich es, neue Sachen auszuprobieren und außerdem hatte Murat gute Argumente: »Ohne Budget ist man sehr eingeschränkt. Du kannst keinen Action-Film mit fetten Verfolgungsjagden drehen und auch kein SciFi-Feuerwerk. Für ein Kammerspiel oder Sozial-Drama brauchst du erfahrene Schauspieler und auch die kosten richtig Kohle. Zumal das deutsche Kino-Publikum total auf romantische Komödien abfährt. Uns bleibt somit gar keine andere Wahl.« Also haben wir die Köpfe zusammengesteckt und an der Fertigstellung seines Drehbuchs gearbeitet.

Alles muss man selber machen!

Mit dem fertigen Drehbuch versuchte Murat Filmstudios und Produktionsfirmen für unser Projekt zu gewinnen. Irgendwie muss man so einen Film ja finanzieren. Murat hatte bereits Erfahrungen auf Film- und TV-Sets gesammelt und wusste, dass er den Film für wenig Geld aus dem Boden stampfen kann. Es hagelte trotzdem Absagen ohne Ende. Viele Entscheidungsträger bezeichneten ihn als unerfahrenen Naivling, der keine Ahnung vom Filmgeschäft hat. Für eine Mainstream-Kino-Produktion seien zugkräftige Namen und ein fettes Budget unerlässlich. Nach unzähligen negativen Rückmeldungen fasste Murat den schweren Entschluss, den Film komplett im Alleingang zu produzieren.

Ich hatte bereits mit dem Projekt abgeschlossen, denn wie sollte man bitte einen Kinofilm ohne Budget realisieren? Murat ließ sich trotzdem nicht von seiner Vision abbringen und konnte in seinem privaten Umfeld ein paar Tausend Euro zusammenkratzen. Immer wieder gab es Rückschläge und schlechte Nachrichten: So musste der Dreh mehrmals verschoben werden, weil Leute absprangen, auf die man sich fest verlassen hatte. Bei mir wurde dann auch noch ein Gehirntumor diagnostiziert, weshalb ich mich etwas zurückzog.

Murat kroch auf dem Zahnfleisch und wusste oft nicht, wie er das Geld für den nächsten Drehtag auftreiben soll

Die Dreharbeiten im Sommer 2015 waren für alle Beteiligten extrem zermürbend – vor allem für Murat. Mangels Knete musste er alles selbst machen: Regie führen, die Hauptrolle spielen, Stullen für das Team schmieren, Drehgenehmigungen einholen, Equipment durch die Gegend fahren, Krempel auf- und abbauen. Murat kroch auf dem Zahnfleisch und wusste oft nicht, wie er das Geld für den nächsten Drehtag auftreiben soll. Er stand konstant unter körperlichem und psychischem Stress. Kein Mensch kann so viel Druck, so viele Hürden und Enttäuschungen verkraften. Dazu noch all die Hater, die nicht an ihn glauben und alles schlechtreden wollten. Ich ging fest davon aus, dass Murat einen Nervenzusammenbruch erleiden und in einer psychiatrischen Anstalt enden würde.

Ehrlich gesagt, habe auch ich an ihm gezweifelt. Er wollte unbedingt seinen Traum verwirklichen, koste es, was es wolle und das habe ich bewundert. Murat kam mir damals vor wie ein Todeskandidat, der auf dem elektrischen Stuhl sitzt und immer noch lächelt, weil er ganz fest daran glaubt, dass in den nächsten fünf Sekunden der Gouverneur mit der Begnadigung um die Ecke kommt. Ich bin halt ein Pessimist, der sofort aufgibt, wenn sich am Horizont eine dunkle Wolke abzeichnet. Ich habe ihn trotzdem unterstützt, weil wir mittlerweile Freunde waren und Freunden muss man eben helfen. Tatsächlich verschwendete ich aber keinen Gedanken mehr an den Film. Das Ding war für mich tot und Murat wollte es nicht wahrhaben.

Niemals aufgeben

Ich rechnete täglich mit dieser WhatsApp-Nachricht: »Ich habe die Dreharbeiten abgebrochen und keinen Bock mehr auf die Scheiße! Fuck u all!« Sie kam aber nie. Stattdessen drückte Murat immer mehr auf die Tube. Es schien so, als würden ihn die ausweglose Situation nur noch stärker machen. Ein paar Wochen nach Drehstart erhielt ich dann folgende Message: »Letzte Szene erfolgreich im Kasten!« Ich konnte es kaum glauben. Murat hatte es tatsächlich geschafft! Ende gut, alles gut? Nicht ganz, denn leider war niemandem klar, dass die schwersten Prüfungen noch auf uns warteten.

Murat saß nun in Berlin, mit einem riesigen Haufen Filmmaterial. Gemeinsam mit einem Cutter feilte er fast zwei Monate am Rohschnitt von Hollywoodtürke. Die Version war mit 2,5 Stunden viel zu lang und irgendwie funktionierte der Film nicht. Es wurde weiter herumgeschnippelt und siehe da: Der Hollywoodtürke bekam langsam ein Profil. Ich war positiv überrascht – nicht nur, weil der Film tatsächlich wie eine Kinoproduktion aussah. Ich fand viel erstaunlicher, dass diese auf den ersten Blick seichte Liebeskomödie eine wichtige Message transportiert: Wir haben alle mit Problemen und Vorurteilen zu kämpfen, ganz gleich, ob reich, arm, Deutscher oder Ausländer.

Ja, der verrückte Power-Murat hat sich wirklich das Schneiden selbst beigebracht

Knapp vorbei ist auch daneben

Es schien bergauf zu gehen. Ich begab mich ins Krankenhaus, wo der Gehirntumor operativ entfernt wurde. Alles lief wunderbar, doch dann kam die Hiobsbotschaft: Der Cutter musste aufhören, um sich einem anderen Projekt zu widmen. Natürlich war ihm niemand böse, schließlich hatte er massig Zeit in unseren Film gesteckt, ohne einen Cent zu verdienen. Murat musste also einen neuen Gratis-Cutter finden, der bereit war, sich für eine No-Name-Produktion aufzuopfern. Mehrere Wochen vergingen und irgendwann gab Murat die Suche entnervt auf. Stattdessen begann er damit, YouTube-Tutorials zum Thema Filmschnitt zu studieren. Ja, der verrückte Power-Murat hat sich wirklich das Schneiden selbst beigebracht. Derweil war ich als Autor für die SAT1-Show Knallerkerle tätig und habe Sketche wie diesen geschrieben.

Ein Jahr später war die Nachproduktion immer noch nicht beendet, aber Murat bereits auf der Suche nach einem Verleih. Sein großer Traum war ja nicht nur, einen Film zu drehen, sondern diesen auch deutschlandweit in die Kinos zu bringen. Er hat unzählige Klinken geputzt, Hunderte Telefonate getätigt und noch mehr Mails verschickt. Alles vergeblich. Kein Schwein war dazu bereit, den Low-Budget-Film eines absoluten Nobodys zu sichten. Wieder vergingen Monate, die von Absagen und schlechten Nachrichten geprägt waren. 2017 konnte Murat den Film auf zwei Berliner Festivals präsentieren und viel Lob ernten, aber trotzdem hat sich kein Filmverleih gemeldet. Der Ofen war endgültig aus.

Der Verrückte von der Berlinale

Murat wollte trotzdem nicht kapitulieren. 2018 besuchte er die Berlinale mit einem selbst gebastelten Hollywoodtürke-Schild, um potenzielle Verleiher auf sich aufmerksam zu machen. »Es ist mir scheißegal, ob ich mich zum Affen mache. Ich werde solange Gas geben, bis uns jemand ins Kino bringt!«, erklärte er mir am Telefon. Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen soll.

Dann passierte das Unglaubliche: Irgendein hohes Tier von 20th Century Fox zeigte sich von Murats irrer Berlinale-Performance beeindruckt und erklärte sich bereit, den Film zu sichten. Ich hatte mich mittlerweile an die Niederlagen gewöhnt und konnte mir ein Happy End überhaupt nicht mehr vorstellen. Wieder war es Murat, der die Zähne zusammenbiss, um weiter für unseren Film zu kämpfen. Als wir tatsächlich grünes Licht von 20th Century Fox bekamen, war ich immer noch total skeptisch. Ich rechnete fest mit einer weiteren Katastrophe.

»Es ist mir scheißegal, ob ich mich zum Affen mache. Ich werde solange Gas geben, bis uns jemand ins Kino bringt!«

Auf Murat wartete eine neue Mammutaufgabe, denn der Film war immer noch über zwei Stunden lang und der Verleih wollte ihn auf 90 Minuten »straffen«. Außerdem sollten das Video- und Audio-Material technisch optimiert werden. Der gesamte Prozess nahm sehr viel Zeit und Nerven in Anspruch – zumindest für Murat, denn ich saß währenddessen zu Hause und habe hauptsächlich Destiny 2 gespielt.

April 2019 wurde der Trailer von Hollywoodtürke veröffentlicht und am 13. Juni war endlich Kinostart. Zwar läuft der Film landesweit auf nur 53 Leinwänden und das Marketingbudget ist ebenfalls überschaubar, aber wir sind trotzdem glücklich. Aktuell befindet sich der Film auf Platz 20 der Kino-Charts. Kein Riesenerfolg, aber den Umständen entsprechend ganz okay.

Um es mit Murats Worten zu sagen: »Unser kleiner Film startete mit 53 Kopien auf Platz 18 und muss sich nun gegen millionenschwere Filme behaupten, die auf 600 Leinwänden gezeigt werden und eine dicke Medienpräsenz genießen. Wir hatten den drittbesten Kopienschnitt unter den Neustarts der Woche. Das ist mehr als beachtlich, schließlich gab es keine Pressevorführungen, keine Berichterstattung und in vielen Kinos hängt nicht mal ein Plakat von Hollywoodtürke. Ich hoffe immer noch darauf, dass sich unser Film herumspricht und viele Menschen erreicht.«

Ich drücke uns ebenfalls die Daumen. Eigentlich dürfte ich das gar nicht sagen, aber es ist mir egal, ob der Film gutes Geld einspielen wird oder nicht. Am Ende zählt für mich nur, dass Murat niemals aufgegeben und allen Widrigkeiten zum Trotz seinen Traum verwirklicht hat. Kein Mensch vor ihm hat es geschafft, ein Filmprojekt mit einem derart läppischen Budget zu verwirklichen und dann auch noch in die größten Kinos des Landes zu bringen. Was lernen wir daraus? Wer niemals aufgibt, kann tatsächlich alles erreichen.