Key Art (Anno 1800)

Statt an der Steuerschraube zu drehen, gönne ich dem Volk neuen kostengünstigen Wohnraum, um mehr Bewohner anzulocken. Heutzutage würde man mir dafür danken, aber anno 1800 war wohl doch nicht alles besser. Da wollen die neuen Einwohner plötzlich ebenfalls Bier und drohen mit Streik und in der Zeitung ist dann noch von dem großen Wurst-Debakel die Rede. Warum tue ich mir das eigentlich an und warum ist es schon wieder zwei Uhr nachts?! Diese und andere Fragen beantworte ich euch im Test zu Anno 1800.

Hinfort mit euch, gemeiner Pöbel!

So behandelt uns unser eigener Onkel, als wir nach langer Abwesenheit in die Heimat zurückkehren. Immerhin haben wir einen guten Freund im Schlepptau und eine deutlich nettere Schwester. Dumm nur, dass der Grund für unseren Besuch, der Hochverrat und die Beerdigung unseres Vaters ist. Wie ich sagte, in Anno 1800 ist alles viel sch…was?! Und damit willkommen bei dem wenig freundlichen Einstieg in die Kampagne.

Die Story von Anno 1800 beginnt dabei vielversprechend, ich habe sogar die Wahl, wie ich erste Quests angehen will. Liefere ich vermeintliche Verbrecher im Gefängnis ab, wie es mein Onkel verlangt oder lese ich einen Brief und gehe vielleicht erst einmal den Hintergründen nach. Leider hält die Kampagne dieses anfängliche Niveau nicht, weder von der Geschichte, der Quest-Menge und auch nicht von der Qualität der Missionen. Für Neulinge gibt es im Verlauf der rund 8 bis 12 Stunden Spielzeit zu wenig Hilfestellungen, zu viel Leerlauf und für Experten wird zu wenig Tiefgang geboten. Denn die Story habe ich bereits durch, als ich noch in der dritten von fünf Bevölkerungsstufen hänge.

Stadt aus der Nähe (Anno 1800)

Über Arbeitskräfte-Transport zwischen Inseln, Elektrizität, Öl, Züge und Co. erfahre ich gar nichts in der Kampagne. Da wir bei unseren ersten Inseln außerdem zwangsläufig noch kleinere oder größere Fehler begehen, empfiehlt es sich, nach Abschluss der Story die aufgebauten Städte einfach links liegen zu lassen. Das Herzstück ist und bleibt nämlich der Sandbox-Modus.

Das Endlosspiel fesselt für Stunden an den Bildschirm

Genug der Entrüstung und Enttäuschung. Im Sandbox-Modus stellen wir dafür dann, ganz nach unseren eigenen Vorstellungen, alle Details selbst ein. Wie viel Gegner sollen es sein? Wie schwer sollen uns die Kontrahenten das Leben machen? Starten wir mit einer festen Insel oder einem Schiff? Gibt es Siegbedingungen und wenn ja, wie sehen diese aus und wollen wir unser Abenteuer mit Piraten aufwerten?

Dass Anno 1800 richtig viel Spaß macht, merkt man spätestens dann, wenn einen das Spiel freundlich daran erinnert, doch mal eine Pause einzulegen. Viele der neuen Mechaniken habe ich schon in meiner Vorschau erwähnt, daher möchte ich diese hier nicht noch einmal ausführlich herunterbeten. Im Kern stehen aber fünf Bevölkerungsstufen in der Alten Welt und zwei in der Neuen Welt (Südamerika) zur Verfügung. Erfüllen wir alle Grundbedürfnisse und sind die Häuser voll bewohnt, können wir diese manuell aufsteigen lassen. Dann wollen die Einwohner mehr Güter sehen und haben höhere Ansprüche. Wenn wir das Volk obendrein glücklich machen, winken uns deutlich höhere Einnahmen und ein geringeres Streikrisiko.

Artwork; Ein Schiff steuert einen Hafen an (Anno 1800)

Ubisoft Blue Byte liefert mit Anno 1800 ein grandioses Aufbau-Strategiespiel ab.

Es gibt wieder zufallsgenerierte Karten, KI-Gegner die sichtbar bauen und Handel betreiben sowie die klassischen Handelsrouten. Ab der vierten Bevölkerungsstufe baue ich außerdem neue Anlegestellen, damit können Arbeitskräfte zwischen allen Inseln hin und her transportiert werden. Davor müssen wir immer eigene Siedlungen auf entfernten Produktionsinseln hochziehen. Ebenso neu ist auch der Punkt, dass nicht länger alle Einwohner aufsteigen sollen. Der feine Herr im Edelzwirn will sich halt nicht auf der Schweinefarm die Hände schmutzig machen, also braucht es auch später noch zahlreiche Bauern und Handwerker in der Stadt.

Extrablatt, Extrablatt: Biernotstand und aufgekündigte Handelsrechte!

Diese freundliche Zeile bringt mich auch gleich zur nächsten Neuheit in Anno 1800, die geliebte Zeitung. Pressefreiheit oder Fake-News? Die Wahl liegt bei mir, vorausgesetzt, ich habe genug Einfluss und hoffe, dass das Volk nicht merkt, dass ich ständig die Wahrheit ein wenig verdrehe. Auf aktuelle Notstände, Krankheiten, Krieg, Mängel, aber auch positive Neuigkeiten weist die Zeitung nämlich in regelmäßigen Abständen hin. Da wir unsere Einflusspunkte aber clever einsetzen und genug Polizei in der Stadt haben, führen wir kleine Anpassungen durch und stellen so etwa höhere Einnahmen oder weniger Bedarf bei der Bevölkerung sicher. Glaubt mir, die Wahrheit würde den Pöbel nur unnötig verunsichern.

Felder (Anno 1800)

Oh Mama, sieh mal, ein Killerwal, ist der nicht niedlich?!

Bevor ich aber den knuffigen »Fisch« in meinen Zoo packen kann, stehen zahlreiche gefährliche Expeditionen an. Daher und aufgrund des stets liebevoll gemeinten »Begleitschutzes« der Piraten, komme ich auch um den Aufbau einer Flotte nicht drumherum. Gefechte finden in Anno 1800 aber nur auf hoher See statt, Bodentruppen gibt es nicht, was aber im Verlauf des Spiels nicht wirklich negativ auffiel. Es gibt auch so jede Menge zu tun.

Meine Stadt wächst und wächst, plötzlich kommt Öl, die Eisenbahn und Elektrizität hinzu. Kraftwerke erhöhen die Produktivität massiv, kosten aber auch ein Vermögen und die Gleise wollen in einer Stadt verlegt werden, die dafür gar nicht gebaut war. Da kommt der Blaupausen-Modus gerade recht, mit dem ich ganze Stadtviertel oder einzelne Gebäude als Silhouetten in der Welt platzieren kann, ohne Ressourcen ausgeben zu müssen.

Überhaupt baue ich mit fortschreitender Dauer immer mehr um und versuche die Schwerindustrie möglichst komplett auszulagern. Denn nur, wenn das Volk wirklich glücklich ist – zumindest in der Hauptstadt – kann ein richtiger Touristen-Hotspot mit gewaltigem Museum und Zoo entstehen. Zierobjekte sind dabei nicht nur reine Schau, sondern ich brauche sie, um den Attraktivitätswert hochzuhalten. Das Anlegen von schönen Parks und Grünflächen wird so also zum Muss, denn die Einnahmen der Besucher sind später besonders wichtig.

Wie üblich bringt das Wachstum aber auch immer neue Hürden mit sich. Mehr Einwohner bedeuten mehr Geld, aber auch mehr Nachfrage nach Bier und Rum. Dann heißt es: An den richtigen Stellschrauben drehen und regelmäßig prüfen, ob man beim Alkohol und Wurst immer noch einen Ressourcenzuwachs verzeichnen kann. Denn ansonsten muss ich schnell nachjustieren, oder muss mit Erschrecken erblicken, wie meine positive Bilanz dahin schrumpft.

Fazit: Ubisoft Blue Byte liefert mit Anno 1800 ein grandioses Aufbau-Strategiespiel ab. Mit Kampagne, Mehrspieler-Modus und Sandbox-Option werden alle wichtigen Modi direkt zum Verkaufsstart abgedeckt und ein kostenloses Update soll noch einen richtigen Koop-Modus nachliefern. Leider kann die Story aber nicht mit der aus Anno 1404 oder dem Add-on aus Anno 1701 mithalten, dafür erfüllt das Endlosspiel aber alle meine Erwartungen. Das wunderschöne Spiel hat mich um fast um Nächte gebracht, bereits jetzt weit über 30 Stunden an den Monitor gefesselt und ich bin noch lange nicht dazu bereit, meine Stadt als perfekt zu bezeichnen und ihr den Rücken zu kehren.