Artwork; Sekiro von hinten (Sekiro: Shadows Die Twice)

Ich habe den PS1-Titel Tenchu: Stealth Assassins geradezu vergöttert und als gemunkelt wurde, dass FromSoftware und Activision an einem Reboot arbeiten, kreischte ich wie ein kleines Mädchen bei einem Tokyo Hotel-Konzert. Im Rahmen der Game Awards 2017 wurde ein wenig aussagekräftiger Teaser mit dem mysteriösen Titel »Shadows Die Twice« veröffentlicht. War das mein erhofftes Tenchu-Reveal? Alle waren sich sicher, dass es sich stattdessen um die Ankündigung von Bloodborne 2 handelt, doch ich gab die Hoffnung nicht auf.

Paukenschlag: Auf Microsofts E3-Pressekonferenz wurden 2018 nicht nur der volle Name, sondern auch Szenen aus dem Spiel enthüllt. Darin war ein japanischer Schwertkämpfer zu sehen, der durchs feudale Japan schleicht und sich per Greifhaken auf Dächer schwingt! Jaaaaaaaa! Mehr Tenchu geht eigentlich nicht und dennoch wurde das Ganze unter dem Titel Sekiro: Shadows Die Twice präsentiert. Mir wäre Tenchu: Shadows Die Twice zwar lieber gewesen, aber von mir aus hätte es auch Benjamin Blümchen: Shadows Die Twice heißen dürfen, solange das Spiel gut ist.

Genial vertikal

Mittlerweile sind ein paar Monate vergangen und nun sitze ich hier und kann endlich selbst Hand anlegen. Sekiro fühlt sich wie eine Mischung aus Tenchu und Dark Souls an. Ich bewege mich äußerst vorsichtig durch eine sehr gut designte Spielwelt und hinter jeder Ecke lauert der Tod. Mein Greifhaken erlaubt es mir jedoch, vielen Auseinandersetzungen einfach aus dem Weg zu gehen, in dem ich mich von Dach zu Dach oder Ast zu Ast schwinge. Mehr als einmal bin ich knapp dem Tode entronnen, weil ich mich per Grappling-Hook schnell aus der Affäre ziehen konnte. Dieses praktische Werkzeug macht Sekiro deutlich einfacher und vor allem vertikaler als Dark Souls.

Tötet Gegner (Sekiro: Shadows Die Twice)

Es ist ein geniales Gefühl, in weiter Ferne einen Tempel auf dem Gipfel eines Berges zu erspähen, nur um später festzustellen, dass ich mich in den vergangenen drei Stunden tatsächlich zu dieser Tempelanlage durchgeschlagen habe. Die Greifarm-Mechanik erlaubt ein vielschichtiges Level-Design, das eine gründliche Erkundung der Umgebung mit zahlreichen Abzweigungen, versteckten Herausforderungen und Goodies belohnt. Ein großes Lob verdient auch der Abwechslungsreichtum innerhalb dieser Spielwelt. Ihr hoppst bei strahlendem Sonnenschein durch grüne Baumwipfel, schnetzelt euch durch verschneite Bergregionen, düstere Höhlensysteme und so weiter.

Harte Kost

Auch wenn ich eine Menge Zeit mit der Erkundung der großen Spielwelt verbracht habe, stehen in Sekiro ganz klar die Fights und somit auch das Kampfsystem im Mittelpunkt. Schließlich steuere ich einen mächtigen Shinobi, der einen kleinen Jungen beschützen und nebenbei ganz Nippon retten muss. Ich gestehe, dass ich zu Beginn heftige Probleme mit der anspruchsvollen Kampfsteuerung hatte. Ohne das richtige Timing sieht man in Sekiro kein Land, zudem könnt ihr nur eine geringe Anzahl von Schlägen blocken, bevor sich eure Deckung öffnet und ihr verwundbar werdet.

Im Endeffekt ist Angriff die beste Verteidigung. Statt Angriffe zu blocken, versucht ihr diese zu parieren und den Haltungsbalken eurer Gegner zu erschöpfen, um einen mächtigen Todesstoß ausführen zu können. Unterschiedliche Angriffe erfordern natürlich unterschiedliche Konter-Manöver und genau das macht Sekiros Kampfsystem so anspruchsvoll und befriedigend. Manche Feinde tragen dicke Holzschilde, andere sind mit primitiven Granatenwerfern ausgestattet und mit der Zeit lernt man, dass es für jeden Gegner eine passende Strategie sowie einen besonders wirksamen Prothesenaufsatz gibt. Oh, ich hatte ja noch gar nicht erwähnt, dass sich unser Held Sekiro, genau wie Nero in Devil May Cry 5, mit unterschiedlichen Unterarm-Prothesen ausstatten lässt.

Sekiro in der Luft (Sekiro: Shadows Die Twice)

Auch wenn das Kampfsystem keine Fehler verzeiht, lässt es dem Spieler die Freiheit, zu experimentieren und eigene Taktiken zu entwickeln.

Beispiel: Als ich mich einer großen Festung nähere, stürmt ein berittener Krieger auf mich zu. Es ist ein Zwischenboss namens General Gyobu Masataka Oniwa und sein Speer hat eine heftige Reichweite. Nach dem vierten missglückten Versuch entscheide ich mich, erst einmal die Gegend weiter zu erkunden, Loot zu sammeln und zu grinden. Im Umkreis der Festung treffe ich zufällig auf einen Händler, der eine Feuerwerksprothese im Angebot hat. Hm, vielleicht könnte ich damit ja das Pferd des reitenden Generals aufscheuchen? Meine Vermutung bewahrheitet sich und keine zehn Minuten später ist der Zwischenboss Geschichte.

Natürlich hätte ich den General auch ohne Feuerwerk-Prothese zerlegen können, so wie ein Kollege: »Nach bestimmten Angriffsserien des Reiters erscheint ein grünes Greifhakensymbol über seinem Kopf. Schnell grappeln und noch während des Fluges draufhauen. Wenn du Glück hast, erwischst du auch das Pferd und kannst weitere Schläge anbringen, bevor du wieder auf Distanz gehen musst«, erklärte er mir. Auch wenn das Kampfsystem keine Fehler verzeiht, lässt es dem Spieler die Freiheit, zu experimentieren und eigene Taktiken zu entwickeln. Das hat FromSoftware wirklich exzellent gelöst.

Selbst mit der »perfekten« Taktik bleiben die Kämpfe stets anspruchsvoll und selbst Standardgegner gefährlich – vor allem, wenn sie Alarm schlagen und ihnen weitere Schergen zu Hilfe eilen. Sekiro lehrt Bescheidenheit, denn sobald ihr einen Gegner unterschätzt, werdet ihr in der Regel mit dem Tode bestraft. Wobei der Tod relativ ist, denn ihr könnt euren Helden ja wiederbeleben. Dafür werden euch aber 50 % eurer kürzlich gesammelten Kohle und Erfahrung abgezogen. Es macht also manchmal mehr Sinn, einfach zu sterben und an einem der Speicherpunkte wieder einzusteigen. Dabei handelt es sich um Statuen, die ihr außerdem als Schnellreiseziele und Upgrade-Stationen nutzen könnt, sobald sie einmal aktiviert wurden. Glücklicherweise sind diese relativ zahlreich und fair in der großen Welt platziert.

Cooles Universalwerkzeug

Titelheld Sekiro verfügt über freischaltbare Fähigkeiten, Kampftechniken und Prothesenerweiterungen. So lässt sich etwa die Shuriken-Prothese aufwerten, damit Sekiro gleich mehrere Wurfsterne auf einmal ins Ziel schleudert. Ihr könnt die Fähigkeiten und Prothesen nach Herzenslust kombinieren, um einen »Charakter-Build« zu erschaffen, der euren persönlichen Vorlieben entspricht und für die unterschiedlichen Herausforderungen gewappnet ist. Für jedes dieser Upgrades benötigt ihr Kohle, Ressourcen oder bestimmte Items. Diese findet ihr in entlegenen Ecken der Spielwelt oder als Belohnung, wenn mächtige Gegner besiegt wurden. Es lohnt sich also die Augen offenzuhalten und die Umgebung gewissenhaft nach geheimen Zugängen und Abzweigungen abzusuchen.

Deshalb habe ich die Bestrafung durch tausend Tode wirklich sehr genossen

Fazit: Ich persönlich kann mit Dark Souls und Co nicht viel anfangen, doch Sekiro hatte mich recht schnell am Wickel. Dabei weiß ich gar nicht, ob ich es trotz oder gerade wegen des hohen Schwierigkeitsgrades liebe. Es ist auf jeden Fall anders und weniger sperrig als Dark Souls. Ich habe dennoch viel geflucht und mehr als einmal den Wunsch verspürt, den Controller an die Wand zu pfeffern. Der Motivationsfaktor war aber stets über dem Frustfaktor angesiedelt und deshalb habe ich die Bestrafung durch tausend Tode wirklich sehr genossen.