Headset und Controller (Samsung HMD Odyssey+)

In den vergangenen Jahren konnte ich eine Menge VR-Systeme testen. Ich gehörte zu den ersten Backern der Oculus Rift-Kickstarter-Kampagne, habe Gear VR, PSVR, Daydream VR, HTC Vive und diverse andere Produkte gekauft. Ich würde mich als VR-Enthusiasten bezeichnen, der irgendwann einfach die Nase voll hatte. Die Technik war nicht gut genug und alle Systeme kämpften mit spezifischen Schwächen. Kompromisse überall. Zum Beispiel liebe ich das Room Scale VR-Erlebnis der HTC Vive, aber die dazugehörigen Controller machen die Steuerung mangels Analog-Stick unnötig kompliziert. Oculus Rift wird mittlerweile mit richtig coolen Touch-Controllern ausgeliefert, lässt dafür aber in Sachen Room Scale VR zu wünschen übrig. Sonys PSVR bietet auch kein raumfüllendes Erlebnis, dafür ist der Fliegengittereffekt (SDE) nicht so krass.

Davon abgesehen, war mir irgendwann der Aufwand zu groß. Ich hatte keine Lust mehr auf Kabelsalat und zig Kameras oder Tracking-Sensoren, die man aufstellen muss, um kurz mal in virtuelle Welten abzutauchen. Die Abstände zwischen den einzelnen VR-Sessions wurden deshalb immer größer. Aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen wurden Monate, also verscherbelte ich den ganzen Kram bei eBay. In ein paar Jahren, wenn die Technik ausgereifter ist, würde ich VR eine neue Chance geben – zumindest lautete so der Plan.

Und dann kamst du

Kaum war der Krempel verkauft, stolperte ich bei YouTube über das folgende Video zu Samsungs Odyssey+ Windows Mixed Reality Headset.

Es verspricht Room Scale VR ohne großen Installationsaufwand und was noch viel wichtiger ist: Kein Fliegengittereffekt. Das musste ich einfach ausprobieren! Leider ist das Teil in Europa nicht offiziell erhältlich, aber wofür gibt es Importhändler? Inklusive Versand- und Zollkosten kostete mich der Spaß etwa 550 EUR. Bei eBay finden sich mittlerweile auch deutlich günstigere Angebote.

Als das Paket endlich kam, war ich geradezu geschockt. Kein Netzteil? Keine Breakout-Box, die zwischen Headset und PC hängt? Keine externen Kameras oder Sensoren? Tatsächlich besteht das gesamte System aus einem Headset und zwei Controllern. Die Controller kommunizieren via Bluetooth mit dem Headset, welches wiederum per Kabel (HDMI 2.0 und USB 3.0) mit dem PC verbunden wird. Im Headset sind zwei Kameras integriert, die durch sogenanntes Inside-Out-Tracking die Position der Controller erkennen.

Simpel und effektiv

Die Erstinstallation nahm keine fünf Minuten in Anspruch. Kabel mit dem PC verbinden, Windows Mixed Reality-Software installieren und kurz mit dem Headset die freie Fläche ablaufen, welche als Spielbereich dienen soll. Fertig! Es ist wirklich erstaunlich wie simpel die Ersteinrichtung abläuft und ehrlich gesagt, war ich deswegen skeptisch. »Wie gut kann’s schon funktionieren, wenn das Ding so schnell eingerichtet ist?«, dachte ich.

Meine Bedenken waren schnell verflogen. Die Controller werden wirklich millimetergenau getrackt und reagieren absolut zuverlässig. Ganz gleich, ob man mit einem virtuellen Schwert schnell auf Gegner einhacken oder mit dem Golfschläger auf dem virtuellen Green gefühlvoll einlochen muss. Die im Headset integrierten Kameras scheinen einen sehr großen Winkel abzudecken, da die Controller selbst bei komplett ausgebreiteten Armen präzise erkannt werden. Kann es denoch sein, dass Vive und Rift dank externer Kameras und Sensoren präziser tracken? Vielleicht auf dem Papier, aber beim Zocken habe ich keine Nachteile bemerkt.

Bye Bye, Fliegengitter

Bei Samsungs Odyssey+ kommen zwei 3,5 Zoll große AMOLED-Panels mit einer Auflösung von jeweils 1.440 × 1.600 Pixeln zum Einsatz. Die große Besonderheit ist eine spezielle Anti-Screen-Door-Effect-Beschichtung, die das Licht der einzelnen Pixel streut, um den berüchtigten Fliegengittereffekt zu minimieren. Die Darstellungsqualität ist tatsächlich deutlich besser als bei PSVR, Oculus Rift oder HTC Vive und selbst im Vergleich zur Vive Pro hat Samungs Odyssey+ die Nase leicht vorn.

Samsung selbst spricht von einer gefühlt doppelt so hohen Auflösung und ich kann bestätigen, dass die gefürchteten schwarzen Linien zwischen den einzelnen Pixeln selbst auf großen weißen Flächen nur noch minimal sichtbar sind. Lediglich die 8K-VR-Brille von Pimax bietet eine bessere Darstellungsqualität, setzt dafür aber eine deutlich leistungsfähigere Hardware voraus.

Wichtig für Brillenträger: Ihr müsst eure Sehhilfe nicht abnehmen, da der »Innenraum« ausreichend Platz bietet. Das Headset lässt sich mit einem kleinen Rädchen der Kopfgröße des Nutzers anpassen. Auch die integrierten AKG-Kopfhörer liefern eine überzeugende Leistung. Der Sound punktet mit Klarheit und ordentlich Tiefe, die Lautstärke lässt sich über zwei Buttons an der Unterseite des Headsets regeln. Dass ein Mikrofon integriert wurde, dürfte nicht nur Cortana-Nutzer, sondern auch Multiplayer-Fans freuen.

Mann trägt Headset (Samsung HMD Odyssey+)

Ich kann bestätigen, dass die gefürchteten schwarzen Linien zwischen den einzelnen Pixeln selbst auf großen weißen Flächen nur noch minimal sichtbar sind.

In Sachen Kompatibilität hat mich Samsungs Odyssey+ ebenfalls positiv überrascht. Ich kann es problemlos und ohne Umwege mit meiner bestehende Steam VR-Bibliothek nutzen. Die meisten Titel sind offiziell mit Windows Mixed Reality-Geräten sowie den Odyssey-Controllern kompatibel. Selbst Software, die lediglich für HTC Vive optimiert wurde, lässt sich spielen, allerdings kann es hier Sinn machen, die Belegung der Tasten zu ändern. Nicht zu vergessen: Die Software Revive macht Samsungs Headset mit Oculus Rift-Titeln kompatibel. Natürlich existiert eine eigene Windows Mixed Reality-Umgebung, inklusive WMR-Store, aber das Angebot ist relativ überschaubar und für Steam VR- oder Rift-User eher uninteressant.

Kommen wir zu den Dingen, die ich nicht so gut finde:

  • Das Headset ist ziemlich frontlastig und bei längeren Sessions macht sich ein unangenehmes Druckgefühl im Stirnbereich bemerkbar.
  • Der »Sweet Spot« ist relativ klein. Ihr müsst das Headset also sehr genau positionieren, um eine optimale Darstellungsqualität zu erreichen. Man bekommt jedoch schnell ein Gefühl dafür.
  • Bei Personen mit schmalen Nasen kann sich im unteren Bereich des Headsets eine Lücke bilden, durch die Licht eindringt.
  • Da sich das Kabel nicht vom Headset trennen lässt, wird es höchstwahrscheinlich keine TPCAST Wireless Adapter-Lösung für Samsungs Odyssey+ geben.

Nach einer intensiven Testwoche kann ich behaupten: Für PC-Gamer mit VR-Faible führt an Samsungs Odyssey+ Windows Mixed Reality Headset kein Weg vorbei. Dieses Schmuckstück konnte tatsächlich meine Liebe für VR neu entfachen. Kein anderes System ist derart unkompliziert und was noch viel wichtiger ist: Die Anti-Fliegengitter-Beschichtung funktioniert tatsächlich. Wenn man bedenkt, dass ein HTC Vive Pro-System 1400 EUR kostet, dann wirkt der Preis von ca. 500 EUR geradezu lachhaft. Bleibt nur zu hoffen, dass Samsung dieses geniale Teil offiziell nach Deutschland bringt.